Die internationale Debatte über Arbeitsmarktstandards und deren Verbindung zu Handelsabkommen hat in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Zentrale Arbeitsrechte, die in der ILO-Deklaration verankert sind, sind mittlerweile als grundlegende Standards anerkannt, die sowohl von öffentlichen als auch privaten Akteuren weltweit als Mindestvoraussetzungen für den Arbeitsmarkt angesehen werden. Diese Rechte umfassen die Freiheit der Vereinigung, das Verbot von Zwangsarbeit und andere fundamentale Arbeitsrechte. Die Diskussion über die Verknüpfung von Arbeitsstandards und Handel hat sich jedoch weiterentwickelt, insbesondere wenn man bedenkt, dass diese Rechte inzwischen oft mit Mindestlohnbestimmungen und Gesundheits- sowie Sicherheitsvorschriften in regionale Handels- und Investitionsabkommen aufgenommen werden. Solche Vereinbarungen sind etwa im US–Kanada–Mexiko-Abkommen (USMCA) oder dem umfassenden und progressiven Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (CPTPP) zu finden.
Es bleibt jedoch fraglich, inwieweit diese Abkommen die Bedingungen für die Arbeitsverhältnisse oder die Strukturen der Arbeitsverhandlungen tatsächlich verändern können. Der zentrale Aspekt dieser Frage ist das regulatorische Umfeld des Arbeitsmarktes, das durch eine Vielzahl von Faktoren bestimmt wird. Während internationale Organisationen wie die ILO weiterhin darauf drängen, den Schutz von Arbeitskräften weltweit auszubauen, haben auch die Bretton-Woods-Institutionen, wie die Weltbank und der Internationale Währungsfonds (IWF), das Ziel, ein "günstiges" Umfeld für private Investitionen zu schaffen. Dies hat in vielen Ländern zur Förderung einer "flexiblen" Arbeitsmarktpolitik geführt, die oft mit der Dezentralisierung der Tarifverhandlungen und der Lockerung von Arbeitsplatzsicherheitsregelungen verbunden ist.
In Industrienationen wird dieser Ansatz häufig als Maßnahme zur Effizienzsteigerung der Arbeitskräfteverteilung propagiert. In Entwicklungsländern wurde diese "Flexibilisierung" jedoch meist mit der Abschaffung oder Lockerung von Arbeitsnormen verbunden, die in entwickelten Volkswirtschaften als unerlässlich für das Funktionieren des Arbeitsmarktes gelten. Die Herausforderung für diese Länder besteht darin, dass sie einerseits formale rechtliche Institutionen, insbesondere den Schutz des Privateigentums und die Wahrung des Rechtsstaats, einführen müssen, um wirtschaftliches Wachstum zu fördern. Andererseits sollen sie Arbeitsmarktinstitutionen ablehnen, die in industrialisierten Volkswirtschaften als notwendig erachtet werden, etwa die kollektiven Tarifverhandlungen oder die Festlegung von nationalen Löhnen.
Die Kluft zwischen der Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren, und den grundlegenden Arbeitsrechten hat zu erheblichen Spannungen geführt. So wurde die Vorstellung, dass die Deregulierung des Arbeitsmarktes zu einer effizienteren Nutzung der Arbeitskräfte führt, zunehmend in Frage gestellt. Kritiker, darunter Gewerkschaften und Arbeitsrechtler, argumentieren, dass die Abschaffung von Arbeitsrechten und -standards zusammen mit der gleichzeitigen Förderung von Rechten für Kapital nicht nur die sozialen und distributiven Ziele gefährdet, sondern auch die wirtschaftliche Effizienz beeinträchtigen könnte. Joseph Stiglitz, ehemaliger Ökonom der Weltbank, hat bereits lange vor der praktischen Anwendung solcher Politiken darauf hingewiesen, dass sie innerhalb der Wirtschaftstheorie widerlegt wurden.
Ein weiteres wesentliches Problem bei der Einführung von "flexiblen" Arbeitsmarktreformen ist die asymmetrische Verteilung der Verhandlungsmacht zwischen Arbeitskräften und Kapital. Märkte für Arbeitskräfte sind häufig von Informationsmängeln und kollektiven Handlungsproblemen geprägt, was zu Ineffizienzen führen kann, die durch fehlende oder unzureichende arbeitsrechtliche Regelungen verschärft werden. In solchen Fällen wird das Arbeitsrecht nicht nur als Schutzmechanismus für die Arbeitnehmer gesehen, sondern auch als Entwicklungseinrichtung, die die Effizienz der Arbeitsmarkttransaktionen fördern kann.
Insgesamt zeigt sich, dass Arbeitsrecht und die Institutionen des Arbeitsmarkts nicht nur ein wichtiger Bestandteil des sozialen Rechtsstaats sind, sondern auch einen bedeutenden Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung ausüben können. Der Weg zur Förderung eines fairen und produktiven Arbeitsmarktes muss die Balance zwischen dem Schutz grundlegender Arbeitsrechte und der Förderung von Marktmechanismen finden. Hierbei spielen sowohl die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards als auch die Schaffung von Bedingungen für eine gerechte und nachhaltige Marktwirtschaft eine entscheidende Rolle.
Wie Koloniale Handelsgesellschaften das Recht auf Land und Souveränität umformten
Die Ausdehnung von Staaten auf globale Territorien war untrennbar mit den rechtlichen Prinzipien verbunden, die den internationalen Handel und die Kolonisierung prägten. Ein wesentlicher Aspekt dieser Expansion war die Vorstellung, dass die Erhöhung des Handels eines Staates entscheidend für dessen internationale Macht und Stellung sei. Zur Förderung des Handels unterstützten Staaten Handelsgesellschaften bei der Ausbeutung von Ressourcen, Land und Menschen in Übersee. Diese Gesellschaften wurden dabei zu einer wichtigen Finanzquelle für die Regierungen. Der private Reichtum dieser Gesellschaften wurde somit zu einem staatlichen Projekt. Durch die Verleihung von Chartern konnte die Krone die finanziellen Vorteile ihrer Aktivitäten nutzen, ohne die parlamentarische Kontrolle über das Handeln der Gesellschaften zuzulassen. Zudem waren diese Gesellschaften, ausgestattet mit exklusiven Rechten, auf die Unterstützung des Königs angewiesen, was ihre Loyalität gegenüber der Krone sicherstellte.
Der Eigentumsgedanke spielte eine zentrale Rolle in diesem Projekt: Kolonialisierung fand zunächst auf den Gebieten statt, die durch das Recht des Eigentums beansprucht wurden. Die Unterstützung des Staates für diese Handelsgesellschaften umfasste eine Reihe von rechtlichen Instrumenten, die zunächst mit Monopolrechten der Charters begannen. Frühzeitig wurde den Gesellschaften nicht nur das Handelsrecht eingeräumt, sondern auch die Autorisierung, Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die für die Verwaltung der englischen Aktivitäten in den weitläufigen Gebieten zuständig waren, die den Gesellschaften zugeteilt wurden. Es wurden Regeln für den Handel mit dem Osten entworfen, Straftaten bestraft und „ungläubige“ Länder „erobert“, die nicht „häufig von Engländern besucht“ wurden.
Mit der Zeit gaben Monopolrechte den Weg für eine Vielzahl von Patenten und Chartern frei, von denen jedes unterschiedliche Rechte beinhaltete. Die Inhaber eines Patents erhielten das Recht, „alle Böden von allen Ländern und Territorien, die entdeckt oder besessen werden“, „für immer zu haben, zu halten, zu besetzen und zu genießen“. Diese Rechte beinhalteten alle Ressourcen, die auf dem Land gefunden oder kultiviert wurden, von wertvollen Metallen bis hin zur Landwirtschaft. Diese frühmodernen Formen des Eigentumsrechts waren entscheidend, um die Landnahme und -nutzung im Rahmen der Kolonialisierung zu rechtfertigen.
Im Laufe der Zeit passte sich das englische Recht des Eigentums an die neuen realen Bedingungen der Kolonialisierung an, insbesondere im Hinblick auf die rechtliche Priorisierung von Aktivitäten auf den Ländereien. Der Begriff der „Produktivität“ spielte dabei eine zentrale Rolle. Die Theorie des Eigentums von John Locke, die besagte, dass das Recht an Land und seinen Ressourcen auf „produktiver Nutzung“ beruhte, wurde als ideologische Rechtfertigung für die Aneignung indigener Gebiete genutzt. Diese Idee, dass indigene Völker durch ihre fehlende politische Organisation kein echtes Eigentum an Land beanspruchen konnten, bildete die Grundlage für die Landnahme und rechtfertigte die kolonialen Ansprüche der englischen Krone.
In Australien ignorierten die Kolonialisten bewusst die Beziehungen der indigenen Völker zu ihrem Land und die landwirtschaftlichen Praktiken, die sie ausübten. Das Land wurde in den Gesetzen der Siedlerkolonialisierung als „unbenutzt“ oder als „terra nullius“ bezeichnet, was es den Kolonialisten ermöglichte, Ansprüche auf das Land zu erheben. In den USA wurden Verträge mit den indigenen Völkern abgeschlossen, jedoch später vom Kolonisator gebrochen. Die daraus resultierenden Gesetze und die Trennung von Eigentumsrechten zwischen den Kolonialisten und den indigenen Völkern haben bis heute Auswirkungen auf die Fragen von Eigentum und Souveränität.
Eine der durch die Kolonialisten eingeführten Lehren war die des Allotments – der Aufteilung indigener Landflächen in einzelne private Parzellen, die erstmals durch den Dawes Act von 1887 umgesetzt wurde. Diese Praxis hatte weitreichende Folgen und wurde fälschlicherweise als ein Mittel zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der indigenen Völker gefeiert, obwohl sie in Wirklichkeit zu deren weiteren Entrechtung führte. Die Theorie, dass individuelle Landbesitzrechte die „Zivilisierung“ der indigenen Völker fördern würden, war im Wesentlichen eine kolonialistische Vorstellung, die mit den gleichen Ideologien operierte, die auch für andere Länder und Kolonien von Bedeutung waren.
Die Idee des privaten Landbesitzes wurde zunehmend als grundlegendes Werkzeug der Kolonialisierung und später als Methode zur Verwaltung von Staaten und Gebieten eingesetzt. So erhielten die Handelsgesellschaften nicht nur das Recht, landwirtschaftliche und mineralische Ressourcen zu beanspruchen, sondern auch, Gesetze und Verordnungen zu erlassen. Ein Beispiel für diese Ausweitung der Macht war die Virginia Company, die ermächtigt wurde, alle notwendigen Gesetze, Vorschriften und Anordnungen zur Verwaltung ihrer Kolonie zu erlassen. Diese Gesellschaft hatte somit nicht nur das Recht, den Handel zu kontrollieren, sondern auch, das Land zu regieren, Verbrechen zu bestrafen und im Falle von Aufständen das Kriegsrecht zu verhängen.
Dieser Prozess zeigt die enge Verbindung zwischen öffentlicher und privater Herrschaft, die sich in der Expansion des Empire manifestierte. Zunächst mag es den Eindruck erwecken, dass die koloniale Rechtsprechung ein klares kulturelles und rechtliches Gefälle zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten schuf. Doch mit der Zeit führte diese Struktur zu einem komplexeren Netzwerk von gegenseitigen Verpflichtungen und Interessen, die das Verhältnis zwischen den Staaten und ihren Kolonien und den in ihren Kolonien tätigen Handelsgesellschaften prägten.
Wichtig ist, dass diese Entwicklung nicht nur eine Frage der Kontrolle über Land war, sondern auch die Schaffung neuer Formen der Rechtsprechung und Governance beinhaltete. Der Zugang zu Land und Ressourcen wurde als grundlegender Bestandteil der kolonialen Macht verstanden, wobei private Unternehmen und die Krone eine symbiotische Beziehung eingingen, um die kolonialen Ziele zu verfolgen.
Wie digitale Finanztechnologien die Entwicklungsagenda gestalten: Der Einfluss unregulierter Innovationen
Die Rolle der digitalen Finanztechnologien in der Entwicklungspolitik hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Besonders hervorzuheben ist, dass eine Vielzahl internationaler Akteure, wie die Gates-Stiftung und die Mobilfunkgesellschaften Vodafone und Safaricom, in den Prozess der Schaffung und Förderung digitaler Finanzdienstleistungen in Entwicklungsländern involviert sind. Diese Akteure arbeiten eng mit internationalen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank (WB) und dem Weltwirtschaftsforum (WEF) zusammen, um digitale Finanzdienstleistungen zu fördern und deren Verbreitung voranzutreiben. Dabei wird häufig der Ansatz verfolgt, dass der digitale Sektor als Katalysator für wirtschaftliches Wachstum und Armutsbekämpfung dienen kann.
Ein besonders prägendes Beispiel dieser Entwicklung ist das mobile Bezahlsystem M-Pesa, das 2005 in Kenia ins Leben gerufen wurde. Als es zunächst entwickelt wurde, existierten kaum gesetzliche Vorgaben, die den Bereich der mobilen Zahlungen regulierten. Vodafone und Safaricom, in Zusammenarbeit mit der Zentralbank von Kenia, entschieden sich, das System von den klassischen Bankvorschriften auszunehmen, da keine traditionelle Finanzintermediation durch Banken stattfand. Dieser unregulierte Raum ermöglichte es M-Pesa, sich schnell auszubreiten und zu einem der erfolgreichsten mobilen Bezahlsysteme weltweit zu werden.
Dieser pragmatische Ansatz, der die Einführung neuer digitaler Technologien ohne formale regulatorische Hürden ermöglichte, wurde als "Test-und-Lern"-Strategie betrachtet. Sie legitimierte die Entwicklung von digitalen Finanztechnologien, indem sie ein flexibles Experimentieren ermöglichte. In der Folge expandierten solche innovativen Systeme nicht nur auf den afrikanischen Kontinent, sondern auch in andere Teile der Welt, was zu einer wachsenden Zahl unregulierter digitaler Plattformen führte. Diese Plattformen umfassen unter anderem Kryptowährungen, Blockchain-Technologien sowie neue Formen der Kreditvergabe und der Digitalisierung sozialer Unterstützungssysteme.
Die Akzeptanz und Verbreitung von digitalen Finanztechnologien gingen jedoch nicht nur mit einer technologischen Innovation einher, sondern auch mit einer Ausweitung der Akteurslandschaft im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. In diesem Zusammenhang kamen nicht nur staatliche und zwischenstaatliche Organisationen ins Spiel, sondern zunehmend auch Unternehmen und private Investoren, die ihre marktwirtschaftlichen Interessen in den Entwicklungsbereich einbrachten. Die zunehmende Rolle des privaten Sektors und der philanthropischen Initiativen von großen Unternehmen, wie beispielsweise der Gates-Stiftung, wird als einer der Schlüsselfaktoren für die Durchsetzung dieser Technologien angesehen. Diese neuen Partnerschaften zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor führten zu einer Erweiterung der internationalen Entwicklungsagenda.
Die Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDGs), die 2015 die Millenniumsziele (MDGs) ablöste, spiegelt diesen Trend wider. Sie beschreibt die Förderung von „inklusive und nachhaltigem Wachstum“ als einen zentralen Bestandteil ihrer Entwicklungsstrategie. Dabei wird der Einsatz neuer Technologien als ein zentrales Instrument betrachtet, um Entwicklungsprobleme in Ländern mit begrenzter Infrastruktur und Ressourcen zu lösen. So werden digitale Finanzdienstleistungen und andere digitale Innovationen als Schlüssel für die Bekämpfung von Armut und die Förderung von inklusivem Wachstum hervorgehoben.
Die SDGs betonen jedoch auch die Notwendigkeit, dass alle Teile der Gesellschaft – einschließlich der am stärksten benachteiligten Gruppen – von den Vorteilen des technologischen Fortschritts profitieren müssen. Die Förderung von Partnerschaften zwischen Staaten, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und anderen Akteuren soll dazu beitragen, Entwicklungsressourcen zu mobilisieren und sicherzustellen, dass niemand zurückgelassen wird. Dabei liegt der Fokus insbesondere auf der Integration von Digitalisierung in die Landwirtschaft, das Gesundheitswesen, die Bildung und die Wasserversorgung, mit dem Ziel, den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu erweitern und die Lebensqualität zu verbessern.
Dennoch bleibt die Frage nach den tatsächlichen Auswirkungen dieser digitalen Initiativen auf die Lebensrealität der Menschen im Globalen Süden weitgehend offen. In vielen Fällen fehlen empirische Belege für die erfolgreiche Umsetzung und die langfristige Wirksamkeit dieser digitalen Lösungen. Es wird zunehmend deutlich, dass die Schaffung eines geeigneten regulatorischen Rahmens für digitale Finanztechnologien und andere Innovationen im Bereich der sozialen Dienste von entscheidender Bedeutung ist. Nur durch klare, transparentere Vorschriften können die Risiken, die mit der zunehmenden Digitalisierung und der Unregulierung von neuen Technologien verbunden sind, gemindert werden.
Ein weiteres Problem, das sich mit der zunehmenden Digitalisierung der Entwicklungszusammenarbeit stellt, ist die wachsende Macht von Tech-Konzernen und ihrer philanthropischen Aktivitäten. Diese Unternehmen haben eine starke Einflussnahme auf die Gestaltung von Entwicklungsstrategien, was zu einer zunehmenden Marktvergesellschaftung der Entwicklungsziele führt. Die Kommerzialisierung von Entwicklungsprojekten, die als „Win-Win“ Lösung präsentiert werden, hat nicht nur die Dynamik der Entwicklung verändert, sondern auch die Art und Weise, wie die Verantwortlichkeit für die Ergebnisse verteilt wird. Diese Fragmentierung der Verantwortung auf zahlreiche private und öffentliche Akteure stellt ein erhebliches Problem dar, wenn es darum geht, echte und nachhaltige Veränderung in den betroffenen Regionen zu bewirken.
Die zunehmende Verknüpfung von marktwirtschaftlichen Interessen mit Entwicklungsprojekten, die als Lösung für alle Entwicklungsprobleme präsentiert werden, sollte kritisch hinterfragt werden. Auch wenn digitale Technologien das Potenzial haben, soziale und wirtschaftliche Probleme zu adressieren, ist es entscheidend, dass diese Lösungen nicht nur als kurzfristige Antworten auf komplexe Entwicklungsfragen verstanden werden. Ihre langfristigen Auswirkungen, sowohl auf die soziale Struktur als auch auf die ökologischen Rahmenbedingungen, müssen sorgfältig geprüft werden.
Wie beeinflussen Erderbeobachtungstechnologien die Entwicklung und die Messung von Ungleichheiten?
Erderbeobachtungstechnologien sind häufig im globalen Norden entwickelt worden, was ihre Fähigkeit, genau die komplexen sozialen und geografischen Realitäten des globalen Südens zu erfassen, maßgeblich einschränkt. Diese Technologien liefern Daten, die vor allem darauf abzielen, Fakten zu registrieren, wobei der Fokus auf der externen Struktur von Phänomenen wie informellem Wohnungsbau liegt. Doch diese Herangehensweise ignoriert die sozialen und kulturellen Dimensionen, die das Leben und die Nutzung von Räumen in vielen Teilen der Welt prägen.
Insbesondere in städtischen Gebieten, in denen informelle Siedlungen eine zentrale Rolle spielen, zeigt sich die Problematik der Anwendung solcher Technologien. Die Erderbeobachtungstechniken beruhen auf hochentwickelten Algorithmen und Satellitenbildern, die oft nicht in der Lage sind, die verschiedenen Arten von Lebensweisen und die Dynamik von Siedlungen adäquat abzubilden. Ein Beispiel hierfür ist die Schätzung der Lebensbedingungen in Slums: Die verwendeten Modelle, die auf Daten aus den Vereinigten Staaten basieren, können zum Beispiel nicht alle Formen von menschlichen Behausungen in Städten wie Kairo oder Khartum korrekt identifizieren. Diese Verzerrungen entstehen durch die Kluft zwischen den Entwicklungsstandards der nordischen Länder und den spezifischen Gegebenheiten in den Entwicklungsländern. Die daraus resultierenden Fehler können schwerwiegende Folgen haben, insbesondere in Bezug auf die politische und rechtliche Situation der betroffenen Gemeinden.
Die Gefahr besteht darin, dass solche Technologien, wenn sie nicht die notwendige Zustimmung der betroffenen Gemeinschaften einholen, in politisch gefährliche Instrumente verwandelt werden. Beispielsweise können Satellitenbilder, die zur Identifikation von informellen Siedlungen verwendet werden, in Konfliktgebieten dazu missbraucht werden, um Bewohner zu markieren und möglicherweise für Zwangsräumungen oder andere Repressalien zu bestrafen. Diese Technologien könnten also nicht nur als neutrale wissenschaftliche Werkzeuge missbraucht werden, sondern auch dazu beitragen, bestehende Ungleichheiten zu verstärken.
Ein entscheidender Punkt ist, dass Erderbeobachtungsdaten die sozialen und kulturellen Dimensionen des Raums nicht erfassen können. Sie messen lediglich die physische Struktur und die baulichen Eigenschaften von Gebäuden, ohne die Bedeutung dieser Strukturen für die Menschen, die sie bewohnen, zu berücksichtigen. Es fehlt eine tiefere Auseinandersetzung mit der Frage, wie Raum von den Bewohnern gemacht wird, welche kulturellen Praktiken und Formen von Widerstand in urbanen Kontexten stattfinden und welche politischen Implikationen diese haben. In vielen informellen Siedlungen ist das, was als „Wohnraum“ wahrgenommen wird, nicht nur ein Ort des Überlebens, sondern auch ein Ort des Widerstands und der Re-Signifizierung. Diese Art der „Bottom-up“-Stadtentwicklung wird von traditionellen Erderbeobachtungsdaten unsichtbar gemacht. Sie bleibt in den globalen Vergleichen und Messungen, die von großen Institutionen erstellt werden, unerkannt.
Ein anschauliches Beispiel für eine andere Perspektive auf das Thema ist die Arbeit von Cirolia, Ngwenya, Christianson und Scheba, die das „Retrofitting“ eines Krankenhauses in Kapstadt untersuchten. Ihre Forschung verdeutlicht, dass das, was aus der Sicht der Erderbeobachtung als „informelle Siedlung“ erscheinen mag, in Wirklichkeit ein Ort der Bedeutungszuschreibung und politischen Reaktivierung ist. Die Bewohner dieser Siedlungen schaffen neue Formen des Lebensraums, die nicht nur Überlebensstrategien darstellen, sondern auch Orte der Sorge und der sozialen Organisation sind.
Dies stellt die Frage, ob die Erderbeobachtungsdaten tatsächlich ausreichen, um das komplexe Geflecht sozialer und kultureller Praktiken zu erfassen, das den Raum in den städtischen Gebieten des globalen Südens prägt. Die SDGs (Sustainable Development Goals) sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung, da sie darauf abzielen, Daten zu standardisieren und zu vergleichen, um globale Entwicklungsfortschritte zu messen. Doch die umfassende Ambition der SDGs und die Herausforderungen bei der Datensammlung – viele Informationen fehlen oder sind unzugänglich – werfen einen Schatten auf die Wirksamkeit dieser Metriken. Wenn die SDGs darauf abzielen, die Welt durch ein enges Set von Kennzahlen zu messen, bleibt viel von der Komplexität der tatsächlichen sozialen Praktiken, die diese Daten abstrahieren, unberücksichtigt.
Erderbeobachtungstechnologien, obwohl sie als Werkzeuge zur Verbesserung der Entwicklung und der globalen Governance angesehen werden, hinterfragen letztlich die Machtverhältnisse, die bestimmen, welche Daten als wichtig erachtet werden und wie diese Daten verwendet werden. Diese Technologien tragen zur Schaffung einer globalen Ordnung bei, in der Entwicklungsländer zunehmend als vergleichbare Einheiten behandelt werden, deren Schicksal durch externe Metriken bestimmt wird. Doch diese Metriken sind nicht neutral. Sie spiegeln immer die politischen und wirtschaftlichen Interessen derjenigen wider, die sie entwerfen und anwenden. Die Erderbeobachtung macht sichtbar, was in den Blick genommen wird, doch sie tut dies immer aus einer spezifischen Perspektive – einer Perspektive, die in der Regel die Machtstrukturen des globalen Nordens widerspiegelt.
Für eine umfassendere und gerechtere Betrachtung der Entwicklung sollten alternative, lokale Perspektiven auf Raum und Stadtentwicklung in den Mittelpunkt gerückt werden. Es reicht nicht aus, nur die physischen Strukturen der Städte zu messen, sondern es muss auch das Verständnis für die vielfältigen sozialen und politischen Dimensionen des städtischen Lebens erweitert werden. Die Entwicklungspolitik muss sich von einer top-down Perspektive hin zu einer bottom-up Perspektive bewegen, die den Akteuren vor Ort mehr Handlungsspielraum und Mitsprachemöglichkeiten bietet.
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