Die Frage, wie ein Staat mit der Zuwanderung umgehen sollte, ist weit mehr als eine logistische oder politische Herausforderung; sie berührt grundlegende moralische Prinzipien der Gleichheit und Gerechtigkeit. In dieser Diskussion betrachten wir Migranten, die keine vorrangigen Ansprüche auf Einreise in das Zielland haben. Sie befinden sich nicht in einer Situation, die einen besonderen Schutzanspruch nach den vorherigen Überlegungen rechtfertigen würde. Ihre Rechte sind in ihren Heimatstaaten ausreichend geschützt, und sie machen keinen speziellen Anspruch geltend, der sie zur Rettung durch den Staat, in den sie einreisen möchten, berechtigen würde. Das bedeutet, dass ihr Ausschluss aus einem Land, in das sie einwandern wollen, keine unmittelbare Verletzung ihrer grundlegenden Rechte darstellt.

Doch auch wenn ein Ausschluss diesen Migranten nicht direkt Unrecht zufügt, stellt sich die Frage, ob der Staat in seiner Entscheidung, wer aufgenommen wird und wer nicht, nicht auf eine Weise handeln sollte, die einem Prinzip der moralischen Gleichheit entspricht. Wäre es etwa gerechtfertigt, ein System einzuführen, das nur bestimmten Gruppen von Migranten zugute kommt, auch wenn keine der betroffenen Personen einen vorrangigen Anspruch auf Einreise hat? Wenn man sich beispielsweise vorstellt, dass ein Staat ein Programm startet, bei dem nur bestimmte Personengruppen – etwa weiße männliche Staatsbürger – von einem Vorteil profitieren, würde das als ungerecht und diskriminierend wahrgenommen. Die Ungerechtigkeit eines solchen Programms ließe sich am besten durch den Verweis auf die Ungleichbehandlung und die Schaffung von moralisch ungleichen Bedingungen erklären.

Ein solches Beispiel macht deutlich, dass die Gerechtigkeit eines Auswahlverfahrens nicht nur von der Existenz eines politischen Status abhängt, der den begünstigten Personen bestimmte Rechte gewährt. Moralische Gleichheit, so wie sie im Liberalismus verstanden wird, fordert, dass alle Menschen – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft – als moralische Subjekte respektiert werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass sie die gleichen politischen Rechte wie Bürger des betreffenden Landes haben müssen, aber die Grundsätze der Gerechtigkeit verlangen, dass ihre moralische Würde nicht verletzt wird. Ein liberaler Staat darf daher nicht willkürlich über die Rechte von Migranten entscheiden, sondern muss sicherstellen, dass die Gründe für die Entscheidung nicht nur gerecht, sondern auch für alle Beteiligten nachvollziehbar und gerechtfertigt sind.

Die Beziehung, die ein potenzieller Migrant zu einem Staat hat, ist eindeutig anders als die eines bereits ansässigen Bürgers. Der Migrant ist noch nicht Teil der Zivilgesellschaft, unterliegt noch nicht denselben Steuergesetzen und hat keine Möglichkeit, die juristischen Mechanismen des Staates zu nutzen. Doch es ist auch falsch, diese Migranten als völlig Fremde im politischen Sinne zu behandeln. Sie haben durch ihre freiwillige Entscheidung, einen Antrag zu stellen und sich den juristischen Verfahren des Staates zu unterwerfen, eine Beziehung zum Staat aufgebaut. Diese Entscheidung bringt sie in eine gewisse Zwangslage, da sie sich in den Entscheidungsbereich eines Staates begeben, der letztlich über ihre Aufnahme entscheidet. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Staat diese Zwangsbeziehung nach Belieben ausnutzen darf.

Die moralische Verantwortung des Staates in diesem Zusammenhang verlangt, dass er diese Migranten nicht als moralisch ungleich behandelt. Wenn er Entscheidungen über ihre Aufnahme trifft, so müssen die Gründe für eine mögliche Ablehnung auf der Grundlage von Prinzipien der moralischen Gleichheit gerechtfertigt werden. Es dürfen keine diskriminierenden oder willkürlichen Kriterien angewendet werden, die nicht auch von den abgelehnten Personen als akzeptabel anerkannt werden könnten. Das Prinzip der moralischen Gleichheit verlangt also, dass der Staat jede Entscheidung über die Aufnahme eines Migranten nur dann trifft, wenn sie auf einer gerechten, nicht abweisbaren Begründung beruht, die allen potenziellen Migranten zugemutet werden kann.

In der Praxis bedeutet dies, dass der Staat zwar das Recht hat, die Einwanderung zu regulieren und zu begrenzen, aber er muss sicherstellen, dass das System der Auswahl gerecht ist und auf rationalen, moralisch vertretbaren Gründen basiert. Der Staat muss also Kriterien entwickeln, die nicht willkürlich sind und die die Menschenwürde aller Betroffenen respektieren.

Was dies in der konkreten Anwendung des Einwanderungsrechts bedeutet, ist nicht immer leicht zu bestimmen. Die Gründe, die zu einer Entscheidung führen, müssen immer den moralischen Status jedes einzelnen Migranten als gleichwertige Person anerkennen. Doch während die Rechte und Pflichten der Bürger eines Staates ein relativ komplexes System von Verpflichtungen und Garantien erfordern, ist der Fall der Migranten im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit wesentlich einfacher und klarer. Die Entscheidung des Staates über die Aufnahme eines potenziellen Migranten erfordert keine umfassenden politischen Garantien und Rechte, sondern lediglich eine klare und transparente Entscheidung, die die moralische Gleichheit der Antragsteller respektiert. Es geht darum, diese Entscheidung nicht als ein Mittel der Benachteiligung oder Diskriminierung zu nutzen, sondern als eine faire und nachvollziehbare Maßnahme, die von allen Beteiligten als gerecht angesehen werden kann.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass das Kriterium der "vernünftig abweisbaren Gründe" nicht als eine Einladung zur Beliebigkeit verstanden wird. Es bedeutet vielmehr, dass der Staat eine klare, kohärente und nachvollziehbare Begründung für seine Entscheidungen liefern muss, die für die abgelehnten Migranten nachvollziehbar ist und die ihnen nicht das Gefühl gibt, als moralische Ungleiche behandelt worden zu sein. Der Staat hat die Verantwortung, den Migranten als vollwertige moralische Subjekte zu behandeln, selbst wenn sie noch nicht in den vollen politischen Status eines Bürgers eingetreten sind.

Wann sollte der Staat auf das Recht auf Asyl verzichten? Eine moralische Betrachtung von Migration und Gnade

In der Diskussion um Migration und Asyl steht immer wieder die Frage im Raum, ob der Staat das Recht auf Aufnahme von Migranten verweigern darf. Dabei stellt sich nicht nur eine empirische, sondern auch eine tief philosophische Frage: Sollte der Staat eine rigorose Grenzpolitik verfolgen, auch wenn dies zu einer Verweigerung des Rechts auf Familie und ein Zuhause für die Migranten führt? Ein zentraler Punkt, der hierbei zu berücksichtigen ist, ist, dass Gnade und Mangel an Barmherzigkeit zwei verschiedene, aber miteinander verwobene Themen darstellen. Auch wenn Staaten das Recht haben, Einwanderung zu regulieren, stellt sich die Frage, wie weit diese Regulierung mit den moralischen Pflichten eines Staates gegenüber den Bedürftigen und Verletzlichen im Einklang steht.

Ein häufiger Einwand gegen die Gewährung von Asyl oder die Regularisierung von Migranten ohne gültige Papiere ist die Befürchtung, dass dies zu einer weiteren Zuwanderung führen könnte. Doch hier gibt es zwei Perspektiven: eine empirische und eine philosophische. Die empirische Sichtweise geht davon aus, dass Migration in vielen Fällen durch die bestehenden wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen verschiedenen Ländern bedingt ist. Für viele Migranten steht nicht die Aussicht auf eine zukünftige Legalisierung im Vordergrund, sondern der unmittelbare Wunsch, der Armut und Gewalt in ihrem Heimatland zu entkommen. Migration ist daher häufig ein Überlebensmechanismus und keine langfristig geplante Entscheidung.

Die philosophische Antwort auf die Bedenken von Kritikern wie King basiert auf der Vorstellung, dass das Verfolgen einer strengen Einwanderungspolitik – auch wenn sie effektiv wäre – die moralischen Pflichten eines Staates vernachlässigen könnte. Ein Beispiel: Wenn wir hypothetisch annehmen, dass das Verbot von "Überqueren der Straße" (Jaywalking) durch die Einführung der Todesstrafe für den ersten Verstoß durchgesetzt würde, kämen wir schnell zu dem Schluss, dass eine solche Strafe sowohl grausam als auch unangemessen wäre. Auch wenn diese Maßnahme in gewissem Sinne „effektiv“ wäre, wäre sie moralisch unvertretbar. Auf diese Weise lässt sich auch die Kritik an der Weigerung, Migranten in das Land zu lassen, als eine Handlung der mangelnden Barmherzigkeit deuten, selbst wenn sie nicht zwangsläufig ungerecht ist. Es wäre, in anderen Worten, eine Entscheidung, die die moralischen Werte eines Staates in Frage stellt – und zwar nicht nur in Bezug auf Migranten, sondern auch in Bezug auf die Staatsbürger, deren Werte und Verhältnisse unter dieser Politik leiden.

Die Situation wird jedoch noch komplexer, wenn man bedenkt, dass nicht alle Migranten gleich sind. Ein großer Teil der undocumented migrants hat legitime Gründe für ihre Migration, etwa aufgrund von politischer Verfolgung, Naturkatastrophen oder anderen Formen von Ungerechtigkeit in ihren Herkunftsländern. Diese Menschen haben unbestreitbare Rechte, die nicht nur als ein moralisches Gebot, sondern auch als eine politische Pflicht angesehen werden müssen. Auch wenn diese Pflicht nicht immer in jedem Einzelfall angewendet wird, stellt sich die Frage, wie Staaten in solchen Situationen mit den moralischen und politischen Verpflichtungen gegenüber Migranten umgehen sollten.

Im Rahmen dieser moralischen Überlegungen ist auch die Familienzusammenführung ein zentraler Punkt. Die Unterscheidung zwischen den Rechten von Ehepartnern und den Rechten von anderen Familienmitgliedern (wie etwa Kindern oder Geschwistern) ist hierbei von Bedeutung. Ein Staat könnte rechtlich gesehen die Einreise von Ehepartnern aus anderen Ländern verweigern, ohne dass dies als inhärent ungerecht betrachtet wird. Doch die Verweigerung könnte als grausam und unsensibel angesehen werden, da sie einem grundlegenden menschlichen Bedürfnis nach Zuneigung und Nähe widerspricht. Dies gilt insbesondere, wenn es um die Integration und das Wohlergehen der Gesellschaft insgesamt geht. Es ist nicht so sehr eine Frage der Gerechtigkeit im engen rechtlichen Sinn, sondern eine Frage der Barmherzigkeit.

Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass das Konzept der Gnade nicht notwendigerweise im Widerspruch zur Gerechtigkeit steht, sondern vielmehr als eine Form der Besserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts betrachtet werden kann. In einer idealen Welt würden Staaten Migration nicht nur durch Gesetze, sondern auch durch eine ethische Perspektive auf die Rechte des Individuums und die Bedürfnisse der Gesellschaft regeln. Gnade bedeutet hier nicht, dass einem Migranten aufgrund seines Status ein Recht auf Aufenthalt zugestanden wird, sondern vielmehr, dass der Staat in bestimmten Fällen als Handlungsfähigkeit für das Wohl seiner Bürger und der Migranten selbst agiert.

Die Entscheidung, den Ehepartner eines Bürgers in das Land zu lassen, kann als eine Form der Gnade verstanden werden, selbst wenn der Migrant keine rechtliche Anspruch auf Aufnahme hat. Diese Form der Gnade trägt zu einem größeren sozialen Zusammenhalt bei und respektiert gleichzeitig die tiefe Bedeutung zwischenmenschlicher Bindungen. Ein Staat, der solche Bindungen anerkennt, zeigt eine Haltung der Mitmenschlichkeit, die über rein rechtliche Erwägungen hinausgeht.

Doch auch hier ist Vorsicht geboten: Nicht alle Beziehungen können gleichermaßen als "besonders" betrachtet werden. Es gibt viele Arten von Beziehungen – Freundschaften, berufliche Partnerschaften – die ebenso wertvoll sein können wie die von Ehepartnern. Ein zu enges Verständnis von Gnade, das ausschließlich auf familiären Bindungen basiert, könnte andere bedeutende Beziehungen übersehen. Gnade in diesem Zusammenhang bedeutet, dass der Staat in der Lage ist, nicht nur vorhersehbare Kategorien wie Familie zu berücksichtigen, sondern die Bedeutung von Beziehungen im Einzelfall zu verstehen und zu fördern.

Es muss außerdem bedacht werden, dass ein Land, das aus pragmatischen oder politischen Gründen Migration einschränkt oder verweigert, dies nicht unbedingt aus einer Haltung der Unbarmherzigkeit tut. In vielen Fällen könnten Staaten versuchen, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den moralischen Imperativen des Schutzes und der Unterstützung von Migranten und den praktischen Bedürfnissen ihrer eigenen Bevölkerung zu finden. Wenn ein Land jedoch systematisch die Möglichkeit zur Familienzusammenführung verweigert, könnte dies als moralische Mängel in seiner Politik angesehen werden.

Insgesamt geht es darum, ein Gleichgewicht zwischen rechtlicher Gerechtigkeit und moralischer Gnade zu finden. Diese Balance ist entscheidend für die Gestaltung einer Einwanderungspolitik, die sowohl gerecht als auch menschlich ist, und die den Bedürfnissen derjenigen gerecht wird, die Hilfe suchen.