Die religiösen Auffassungen innerhalb der Alt-Right-Bewegung, obwohl sie in vielen Fällen von humoristischen und satirischen Elementen durchzogen sind, bieten tiefere Einsichten in die Denkweise und Ideologie vieler ihrer Mitglieder. Besonders im Zusammenhang mit dem Christentum und den Traditionen der europäischen Geschichte zeigen sich ein bemerkenswerter Widerspruch und ein tiefes Unbehagen. Führende Figuren der Alt-Right wie Richard Spencer und seine Anhänger werfen der modernen Gesellschaft vor, die wesentlichen Werte, die einst europäische Identitäten prägten, zu verwässern. Diese Bewegung tritt mit einer Mischung aus Atheismus und einer romantisierten Rückbesinnung auf eine vergangene religiöse Ära auf, wobei das Christentum, vor allem in seiner liberalisierten und “entkernten” Form, häufig als “verweichlicht” oder gar als “verraten” dargestellt wird.

Spencer selbst, der oft als der intellektuelle Kopf der Alt-Right bezeichnet wird, äußerte in einem Interview mit dem Alt-Right-Influencer Tim Gionet, dass er sich nicht als “stolzen Atheisten” sehe, sondern als einen “tragischen Atheisten”. Für Spencer symbolisiert das heutige Christentum eine leere, ästhetische Erfahrung, die aus seiner Sicht keinerlei spirituelle oder gesellschaftliche Relevanz mehr besitzt. Diese Form des Christentums habe sich zu einem oberflächlichen Ritual entwickelt, das keine wirkliche Kraft mehr besäße, um eine widerstandsfähige politische oder kulturelle Identität zu fördern. Die Kritik, die er an der modernen Religion übt, ist also nicht nur eine Ablehnung des Glaubens an Gott, sondern vielmehr eine Ablehnung der Art und Weise, wie Religion in einer zunehmend postmodernen, globalisierten Welt trivialisiert wurde.

Die Ablehnung des modernen Christentums innerhalb der Alt-Right geht über einen bloßen Kritikpunkt hinaus. Vielmehr geht es um die Wahrnehmung, dass die Werte, die diese Religion einst prägten, in einer Welt, die zunehmend von Konsumismus und Globalismus beherrscht wird, ihre Wirksamkeit verloren haben. Spencer stellt fest, dass das Christentum in seiner traditionellen Form, besonders in der Zeit des Mittelalters, für Europa eine soziale und kulturelle Stabilität schuf. Doch diese Traditionen sind heute verloren, und in ihrer Stelle trat eine entleerte Form des Christentums, die keine Orientierung mehr bieten kann.

Interessanterweise bedeutet die Ablehnung des Christentums für viele Alt-Right-Anhänger jedoch nicht zwangsläufig eine Rückkehr zu einer rein atheistischen Weltsicht. Vielmehr gibt es unter ihnen eine gewisse Nostalgie für vorchristliche, heidnische Traditionen, die sie als eine authentischere Form religiösen Lebens ansehen. In diesem Zusammenhang wird das Christentum der Moderne oft mit einer Verweichlichung verglichen, und viele Anhänger der Alt-Right favorisieren eine Rückkehr zu den religiösen Praktiken und Weltanschauungen, die Europa vor der Christianisierung prägten. Es ist diese romantisierte Vorstellung eines ‘europäischen Heidentums’, die für viele Alt-Right-Mitglieder ein attraktives, wenn auch nicht explizites Ziel darstellt.

Diese kritische Haltung gegenüber dem Christentum wird durch die Verwendung von Memes und Satire weiter verstärkt. Der Alt-Right-Meme "Pepe der Frosch" beispielsweise, in seiner Verknüpfung mit einer satirischen Religion namens Kekismus, dient nicht nur der Unterhaltung, sondern auch als Ausdruck einer tieferliegenden Skepsis gegenüber etablierten religiösen Formen. Die Verwendung von Humor, Ironie und sogar Hohn wird hier zu einem Mittel, um ernste politische und religiöse Überzeugungen zu vermitteln, während gleichzeitig die Ideologie der Alt-Right zur Schau gestellt wird. Dies ist eine zentrale Methode der Bewegung, ihre Ideen zu verbreiten: durch eine Mischung aus humorvollen, teils trollhaften Kommentaren und ernsthaften politischen Inhalten.

Es ist bemerkenswert, dass viele Anhänger der Alt-Right die religiösen Aspekte ihrer Bewegung nicht nur als humorvolle Nebensache betrachten, sondern als ein ernstes Thema, das ihre politische und kulturelle Agenda untermauern soll. In einem weiteren Interview erklärte Spencer, dass er nicht das Christentum als solches ablehne, sondern die Form des Christentums, die sich heute in westlichen Gesellschaften manifestiert hat. Diese Entwicklung führt zu einer Verflachung des religiösen Diskurses und verfehlt es, eine tiefere, verbindende Kraft zu bieten, die den europäisch geprägten Kulturraum zusammenhält. Hier wird die Bedeutung von Religion nicht nur als metaphysische Frage betrachtet, sondern als entscheidend für die kollektive Identität und das soziale Gefüge einer Gesellschaft.

Der Verlust dieser religiösen Traditionen und ihre schrittweise Ersetzung durch eine säkulare, konsumorientierte Kultur ist ein zentrales Thema innerhalb der Alt-Right. Die mangelnde Fähigkeit moderner Gesellschaften, eine kohärente, religiös fundierte Identität zu bewahren, wird von vielen Anhängern der Alt-Right als ein wesentlicher Grund für die Fragmentierung und den Niedergang der westlichen Zivilisation wahrgenommen. Für Spencer und seine Mitstreiter ist der "tragische Atheismus" nicht nur eine geistige Haltung, sondern auch ein kulturelles Symptom einer Gesellschaft, die ihre Wurzeln und Werte verloren hat.

Doch ist es in diesem Kontext wichtig zu verstehen, dass die religiösen Überzeugungen innerhalb der Alt-Right nicht monolithisch sind. Während einige Mitglieder sich stärker zum Atheismus oder zu antireligiösen Haltungen hingezogen fühlen, gibt es auch Strömungen, die versuchen, die religiösen Traditionen Europas auf eine neue, oft nostalgisch gefärbte Weise zu bewahren und zu revitalisieren. Diese Bewegungen suchen in den alten europäischen Traditionen, seien sie christlich oder heidnisch, eine Antwort auf die Identitätskrise, die viele Mitglieder der Alt-Right erleben.

Was bedeutet Religion für die Alt-Right-Bewegung und ihre Identität?

Die Alt-Right-Bewegung hat in den letzten Jahren zunehmend die Diskussion über die Rolle von Religion und kultureller Identität geprägt. Diese Debatten sind oft von einer Mischung aus Sarkasmus und pragmatischem Denken durchzogen, wobei die religiösen Überzeugungen eher als taktisches Werkzeug denn als Ausdruck persönlicher Überzeugung verwendet werden. Die Religion in der Alt-Right-Bewegung wird nicht nur als eine Glaubensfrage, sondern vor allem als ein politisches Instrument betrachtet, das die europäische Identität stärken und politische Agenden fördern soll.

Ein bedeutender Aspekt dieser Diskussion ist der sogenannte "Kekismus", der eine Mischung aus Internetkultur und einer bewusst provozierenden politischen Haltung darstellt. Kek, eine grüne Froschfigur aus dem Internet, wurde zu einem Symbol für die Alt-Right, wobei seine Darstellung auch als ein Mittel genutzt wird, um sich gegen die traditionellen Vorstellungen von Rassismus und religiösem Extremismus zu stellen. Der grüne Frosch, so argumentiert Lawrence Murray, könne in keiner Weise als ein „weißer Rassist“ betrachtet werden, was eine humorvolle, aber auch tiefere Abkehr von den klassischen Vorstellungen von rassischer Überlegenheit impliziere. In diesem Zusammenhang wird Religion als ein flexibles Konzept verstanden, das zur Unterhaltung dient und gleichzeitig tiefere politische und ideologische Botschaften transportiert.

Für viele Anhänger der Alt-Right-Bewegung stellt Religion jedoch nicht nur eine satirische Waffe dar, sondern auch eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Identität. F. C. Stoughton argumentiert, dass die Alt-Right-Positionen zu Religionen meist pragmatisch sind. Sie interessieren sich nicht für Glaubenssysteme im traditionellen Sinne, sondern vielmehr für die praktische Frage, wie diese Systeme die europäische Identität stärken können. Die Debatten innerhalb der Bewegung über religiöse Zugehörigkeiten sind dabei von der Auffassung geprägt, dass verschiedene Glaubensrichtungen die gemeinsame europäische Identität weder gefährden noch schädigen sollten. Die Religion muss vielmehr eine politische Funktion erfüllen, die auf die Erhaltung und Förderung einer ethnozentrischen europäischen Kultur ausgerichtet ist.

Die Frage, welche religiösen Traditionen für die europäische Identität der Alt-Right von Bedeutung sind, führt zur Auseinandersetzung mit dem Konzept des Paganismus. Die romantische Vorstellung von einem vorchristlichen Europa, das noch von heidnischen Glaubenssystemen geprägt war, hat in der Alt-Right-Bewegung einen bedeutenden Platz. Die Wiederbelebung des heidnischen Erbes, insbesondere des Odinismus und anderer germanischer Traditionen, wird als ein Weg angesehen, die europäische Identität von den Einflüssen des Christentums zu befreien. Diese Vorstellung von einem „authentischen“ europäischen Glauben steht in starkem Kontrast zur christlichen Tradition, die als fremd und verdorben wahrgenommen wird. In vielen Fällen gibt es jedoch auch eine Versöhnung zwischen den beiden Welten, wobei christliche Elemente als „germanisiert“ oder „europäisiert“ verstanden werden. Richard Spencer, ein prominenter Vertreter der Alt-Right, verweist auf die These von James Russell zur „Germanisierung des Christentums“, wonach das Christentum in Europa seine ursprünglichen semitischen Wurzeln hinter sich ließ und sich mit den europäisch-paganen Traditionen verschmolz.

Dieser pragmatische Umgang mit Religion zeigt sich auch in den Überlegungen von Reinhard Wolf, der betont, dass jede große Zivilisation ein vereinigendes Mythos benötigt, das ihre Werte und Identität definiert. Wolf erkennt dabei die Brüche in der europäischen Geschichte an, die mit der Einführung des Christentums und später des aufgeklärten Rationalismus zusammenhingen, und sieht in diesen „ideologischen Brüchen“ die Wurzel des gegenwärtigen Identitätsverlusts des Westens. Die Alt-Right braucht seiner Ansicht nach ein neues Mythos, das weder rein christlich noch heidnisch ist, sondern auf den fundamentalen Gesetzen der Natur basiert – Hierarchie, Identität und Evolution.

Im Kontext der Alt-Right wird die Religion oft als ein praktisches Mittel zur politischen Konsolidierung gesehen, nicht als Ausdruck spiritueller Überzeugung. Viele Anhänger sind sich einig, dass die Frage der religiösen Zugehörigkeit keine zentrale Rolle spielt, solange diese Zugehörigkeit der Stärkung der europäischen Identität dient. Die Frage, welche Religion die Alt-Right vertreten soll, bleibt jedoch unklar, da die Bewegung ein breites Spektrum religiöser und spiritueller Überzeugungen umfasst. Diese Vielfalt zeigt sich nicht nur in der Auseinandersetzung mit christlichen und heidnischen Traditionen, sondern auch in der Anerkennung der Existenz eines „spirituellen“ Vakuums, das durch die Modernität und die aufkommenden Formen des kulturellen Marxismus entstanden ist.

Die Frage nach einer „Alt-Right-Religion“ ist also weniger eine Suche nach einem neuen Glaubenssystem als vielmehr eine Reflexion über die Bedeutung von Religion als sozialer und politischer Kraft. Religion wird hier als ein Werkzeug verstanden, das einer ideologisch geeinten europäischen Gemeinschaft helfen kann, sich gegen die Herausforderungen der modernen Welt zu behaupten. Die „spirituelle“ Leere, die viele in der westlichen Welt empfinden, wird von der Alt-Right als eine Gelegenheit gesehen, um eine neue, vereinende Mythologie zu schaffen, die das europäische Erbe stärkt und gleichzeitig die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts meistert.