Die Erzählung des Opfers von Abrahams Sohn in Genesis 22, in der Isaak seinen Vater fragt: „Hast du meiner Mutter davon erzählt?!“, während Abraham gerade dabei ist, ihn zu töten, zeigt eine facettenreiche Darstellung von Religion und Blasphemie. Abraham antwortet: „Sie? Marias Sohn, Christus bewahre!“. Diese Worte, die einer christlichen Wahrheit entsprechen, sind zugleich eine Art Fluch und eine spöttische Blasphemie. In der traditionellen christlichen Symbolik oder Typologie repräsentiert Isaak den Christus, der ebenfalls Marias Sohn ist. Doch gleichzeitig wird Abrahams Antwort zu einer heiligen Parodie: „Christus bewahre…Oh Gott, nein! Ich könnte es ihr nicht sagen, sonst würde sie mich umbringen.“ Diese Szene ist mehrdimensional: Sie ist zugleich heilig und profan, ernst und humorvoll. Isaaks Position auf dem Opferaltar könnte nicht ernster sein, doch sein humorvoller Einwand, was seine Mutter von einem Opfer in Form eines Brandopfers halten würde, bringt auch ein Lächeln hervor.
Blasphemie ist tief in der religiösen Praxis verankert und stellt eine grundlegende Herausforderung für etablierte Normen dar. Sie ist in vielerlei Hinsicht ein kreatives Moment der religiösen Ausdrucksweise, die eine Subversion und oft sogar Umkehrung der sozialen, sprachlichen, rechtlichen und ethischen Normen erfordert. So sind etwa die indischen Mystiker, die Avadhūta und die nyönpa im tibetischen Buddhismus, bekannt dafür, religiöse Etikette zu durchbrechen: Sie konsumieren unreine Substanzen, betreiben Sex, erscheinen nackt und vermeiden es gezielt, zu beten oder zu studieren. Auch der jüdische Rabbi Schabbetai Zvi (1626–1676), der sich für den neuen Messias hielt, führte „seltsame Taten“ aus, darunter das laute Aussprechen des verbotenen Namens Gottes. In der Zen-Tradition gibt es ebenfalls zahlreiche Beispiele, etwa als der Zen-Meister Wen-yen auf die Frage eines Novizen „Was ist Buddha?“ antwortete: „Ein vertrockneter Dungstock“.
Die Provokationen und blasphemischen Handlungen, die in der Geschichte der Religionen immer wieder auftauchen, haben nicht nur die religiösen Normen herausgefordert, sondern auch die breitere Gesellschaft. Die „heiligen Narren“ und Ketzer, die in der religiösen Geschichte einen bedeutenden Platz einnehmen, wurden häufig als charismatische und langlebige Figuren verehrt. Ikkyū, der exzentrische Zen-Mönch und Dichter aus Japan (1394–1481), trank übermäßig und besuchte Bordelle in seiner religiösen Robe, was ihn zu einer populären Figur in der japanischen Kultur machte. Auch der sufi Nasreddin, ein satirischer Märchenerzähler des 13. Jahrhunderts, der in der muslimischen Welt von Marokko bis Iran bekannt ist, ist ein weiteres Beispiel für die subversive Kraft der Blasphemie in der religiösen Tradition.
In der modernen Welt begegnen wir einem neuen Heiligen Narren: dem charmanten Außerirdischen PK aus dem gleichnamigen Bollywood-Film, der die verschiedenen Religionen der Welt hinterfragt und mit den religiösen Normen spielt, indem er die Regeln von Tempeln und Kirchen herausfordert. PK stellt die religiösen Dogmen in Frage und schlägt vor, dass die wahre Erkenntnis in der Transgression liege, weil die Religionen den wahren Gott verfehlt hätten. Diese provokante Darstellung eines interreligiösen Liebesdramas führt zu Protesten und Verurteilungen durch konservative religiöse Gruppen wie die Bharatiya Janata Party und den Guru Baba Ramdev, die den Film als blasphemisch brandmarkten.
Blasphemie in der religiösen und säkularen Welt ist ein komplexes und vielschichtiges Phänomen. In der westlichen Tradition des 18. Jahrhunderts klagte der Satiriker William Hone (1780–1842) über die vage Formulierung der Blasphemiegesetze, die ihn an den Tyrannen von Syrakus erinnerten, der seine Gesetze hoch oben auf den Wänden in kleinen Buchstaben schrieb, um dann brutal diejenigen zu bestrafen, die sie nicht lesen konnten. Diese vage Definition von Blasphemie bleibt auch heute ein Problem. 2012 forderte der UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit, Heiner Bielefeldt, das Ende der Blasphemiegesetze, da deren Unklarheit zu Missbrauch einlädt. Ein Bericht aus dem Jahr 2017 über Blasphemiegesetze in 71 Ländern bestätigte diese Einschätzung und stellte fest, dass Blasphemiegesetze meist vage formuliert sind und oft keine klare Definition von Blasphemie liefern. Viele dieser Gesetze erfordern auch keine Absicht des Täters, was bedeutet, dass sie schwer vorhersehbar und willkürlich angewendet werden können.
In der Bibel bezieht sich Blasphemie auf Worte, Objekte oder Taten, und diese Definition hat sich in vielen modernen Blasphemiegesetzen erhalten. In Ländern wie Pakistan, Indien und Bangladesch, die ihre Blasphemiegesetze auf dem Kolonialgesetz von 1927 basieren, wird Blasphemie definiert als „das Aussprechen eines Wortes, das Machen eines Geräusches, das Ausführen einer Geste oder das Platzieren eines Objekts im Blickfeld“. Diese vage Definition wird auch in vielen anderen Ländern wiederholt, einschließlich Zypern, Israel, Jordanien und Sri Lanka. Blasphemie und Häresie sind oft schwer voneinander zu trennen. In vielen muslimischen Staaten, wie auch in der Bibel, werden Apostasie und die Beleidigung des Propheten als Teil desselben Vergehens betrachtet. Auch in der westlichen Tradition gab es oft keine klare Unterscheidung zwischen Blasphemie und Häresie, wie dies etwa in der Zeit der Reformation der Fall war, als Protestanten den Begriff der Blasphemie gebrauchten, um sich von den Katholiken zu distanzieren.
Es ist deutlich, dass Blasphemie ein universelles und tief verwurzeltes Konzept ist, das in allen großen Religionen, aber auch in modernen säkularen Gesellschaften eine bedeutende Rolle spielt. Ob als Ausdruck religiöser Zügellosigkeit oder als Mittel der sozialen und politischen Kritik, Blasphemie bleibt ein kraftvolles und oft kontroverses Mittel, um die Normen und Wahrheiten von Gesellschaften herauszufordern.
Wie Blasphemie und Karikaturen den Körper der Heiligen beschädigen
Blasphemie ist ein Begriff, der traditionell mit verbalen Angriffen auf religiöse Überzeugungen und Figuren verbunden wird. Doch im Verlauf der Geschichte hat sich der Ausdruck der Blasphemie zunehmend von der reinen Wortkritik hin zu einer visuellen und körperlichen Demütigung entwickelt, bei der religiöse Symbole und Figuren, insbesondere in der Form von Karikaturen, verletzt und entstellt werden. Besonders seit dem späten 19. Jahrhundert sind solche Darstellungen immer kreativer und kontroverser geworden. In der heutigen Zeit sind die Grenze zwischen dem Symbolischen und dem Realen sowie die Macht von Bildern und Darstellungen von zentraler Bedeutung für den Diskurs über Blasphemie.
Es gab eine Zeit, in der es fast unvorstellbar war, Jesus oder andere heilige Figuren auf eine derartige Weise darzustellen. Die ersten Beispiele von blasphemischen Karikaturen Jesu waren verbal, so wie Thomas Woolstons Darstellung, in der Jesus wütend einen Feigenbaum verflucht, oder die Idee, dass er bei der Hochzeit in Kana so betrunken war, dass er seine eigene Mutter nicht mehr erkannte. Solche Darstellungen waren im Wesentlichen humorvolle, und oft tief kritische, Texte, aber sie begaben sich nicht auf das Territorium der visuellen Blasphemie, das in späteren Jahrhunderten populär wurde.
Im 20. und 21. Jahrhundert erlebte die Kunst jedoch eine Explosion von „blasphemischen“ Darstellungen, die sich nicht mehr nur mit der Kritik an religiösen Ideen befassten, sondern aktiv heilige Figuren und Symbole in Bildern entstellten. Kunstwerke von Paul Gauguin, wie das „Selbstporträt mit dem Gelben Christus“ (1890), oder Max Ernsts „Die Jungfrau, die das Christuskind in Gegenwart von Zeugen schlägt“ (1926), stellen einen Wendepunkt dar, der die Rebellion gegen die christliche Tradition in der Kunst verdeutlicht.
Ein weiteres bemerkenswertes Phänomen dieser Zeit war die Entwicklung von Karikaturen und Illustrationen, die religiöse Figuren direkt entstellten. Der Denker und Karikaturist George Foote machte in den frühen Jahren des 19. Jahrhunderts den entscheidenden Schritt, die Grenze zwischen „realen Personen“ und „Ideen“ zu ziehen. In seinen Schriften argumentierte er, dass Blasphemie niemandem schaden könne, da die Götter und heiligen Figuren, über die gesprochen wird, nicht „real“ sind – sie seien nur Bilder oder Ideen, wie er es auch ausdrückte, „Gespenster“ und Spuren alter Glaubensvorstellungen. Diese Sichtweise wurde von späteren Karikaturisten weitergeführt, die Blasphemie zunehmend als visuelle Zerstörung von heiligen Gesichtern und Körpern verstanden.
Die Kunsthistorikerin Sigrid Weigel weist darauf hin, dass diese Entwicklung der visuellen Blasphemie nicht nur eine Antwort auf die religiöse Tradition ist, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Bildern und Gesichtern im Allgemeinen. Die westliche Welt, insbesondere die protestantische Tradition, hat ein tief verwurzeltes Konzept von Bildern und Symbolen, das die Trennung zwischen „Ideen“ und „realen Dingen“ stark betont. In der protestantischen Liturgie sind das Brot und der Wein nicht der „wahrhaftige“ Leib und das „wahre“ Blut Christi, sondern lediglich Symbole, die auf das Göttliche hinweisen. Diese Trennung zwischen Bild und Realität hat jedoch ihre Grenzen, wie die Reaktionen auf die Karikaturen von Muhammad zeigen, bei denen die Trennung von Bild und Realität nicht immer klar erkennbar ist. Für viele ist das Bild nicht nur ein Bild – es hat tatsächlich die Macht, Schmerz und Schaden zu verursachen.
Die Verwischung der Grenzen zwischen Bild und Realität wird besonders deutlich, wenn man den Umgang mit heiligen Figuren in öffentlichen Skandalen betrachtet. In der römischen Tradition der Damnatio Memoriae, bei der die Gesichter und Körper von Verurteilten oder abgesetzten Herrschern entfernt oder entstellt wurden, liegt ein historisches Vorbild für moderne blasphemische Karikaturen. Auch die Schandbilder der Renaissance, die Verbrecher oder Vertragsbrecher in entwürdigenden Szenen darstellten, können als frühe Prototypen von Karikaturen und visuellen Blasphemien verstanden werden. Solche Darstellungen waren nicht nur eine Form der politischen Satire, sondern auch eine Methode der öffentlichen Demütigung, die sich stark auf das Bild und das Gesicht der verurteilten Person konzentrierte.
Interessanterweise sind viele der Strafen für Blasphemie und die Verurteilung von Karikaturen mit dem Körper und dem Gesicht verbunden. Das Auspeitschen von Verbrechern in der Öffentlichkeit oder das Stellen in den Pranger diente nicht nur der physischen Bestrafung, sondern auch der sozialen Demütigung. Ein weiteres Beispiel ist der Quäker James Nayler, der mit einem großen „B“ auf der Stirn markiert wurde, was ihn zu einer lebenden Karikatur machte. Die körperliche Demütigung von Blasphemikern durch die Entstellung von Gesichtern und Körpern war ein Weg, den Ruf einer Person zu beschädigen und ihre „Fama“ zu zerstören – eine zentrale Bedeutung von Blasphemie. Ein Auge für ein Auge, ein Gesicht für ein Gesicht.
In den modernen Diskussionen um Karikaturen, wie denen, die nach den Angriffen auf „Charlie Hebdo“ aufkamen, lässt sich ein ähnlicher Widerspruch erkennen. Einerseits wird betont, dass Karikaturen nur „Bilder“ seien und daher keine wirkliche Verletzung der „realen“ Person darstellen könnten. Andererseits wird das Bild einer Figur wie des Propheten Muhammad oder Jesus als extrem mächtig und verletzend wahrgenommen. Die Darstellung einer religiösen Figur in einer Karikatur kann als eine Form der kulturellen Elektroschocktherapie verstanden werden – ein gewaltsamer Akt, der sowohl auf den Symbolismus der Karikatur als auch auf die Körperlichkeit der Gemeinschaft, die sich mit der heiligen Figur identifiziert, abzielt.
In einer Welt, in der Bilder eine so zentrale Rolle spielen – vom Selfie bis zur politischen Karikatur – ist es wichtig, sich der Macht und der Wirkung von Bildern und Darstellungen bewusst zu sein. Die Grenze zwischen dem „Symbolischen“ und dem „Realem“ verschwimmt zunehmend, und die Entstellung eines Bildes oder einer Figur kann als gleichwertig zu einer realen, physischen Verletzung empfunden werden. Doch auch wenn diese Darstellungen als „nur Bilder“ abgetan werden, so sollte die Macht dieser Bilder und die damit verbundene Möglichkeit, Schmerz zu verursachen, nicht unterschätzt werden.
Wie die Blasphemie in der modernen Gesellschaft zum Werkzeug der Populärkultur und des Wirtschaftssystems wurde
Blasphemie hat sich im Laufe der Geschichte als ein dynamisches Konzept entwickelt, das weit über den ursprünglich religiösen Kontext hinausgeht. Einst war Blasphemie eine direkte Herausforderung an die religiösen Institutionen und ein Akt der Provokation gegen heilige Symbole. In der heutigen Zeit jedoch hat sie sich zu einem Phänomen gewandelt, das oftmals nicht mehr den Wert einer tiefgehenden, philosophischen oder spirituellen Auseinandersetzung mit den Heiligen Werten der Gesellschaft widerspiegelt. Vielmehr ist sie zu einem Werkzeug geworden, das für kommerzielle Zwecke genutzt wird – sei es durch Celebrities, Marken oder gar Algorithmen.
Ein deutliches Beispiel für diese Veränderung ist der Auftritt von der Sängerin Nicki Minaj, die sich absichtlich in einem Bikini vor einer Buddha-Statue ablichten ließ. Dies erinnerte an ähnliche Vorfälle, bei denen Touristen versehentlich oder aus Unwissenheit an heiligen Stätten in Sri Lanka mit unangemessener Kleidung auftraten oder sich in ähnlicher Weise mit heiligen Symbolen fotografieren ließen. Doch Minaj ging es nicht um eine provokante Religiösität oder eine philosophische Auseinandersetzung mit der Figur des Buddha. Es war vielmehr ein bewusstes Spiel mit der Empörung, das darauf abzielte, in einer übersättigten Medienlandschaft Aufmerksamkeit zu erzeugen und Likes zu sammeln. In einer ähnlichen Weise nutzte die Modemarke Benetton 2011 ein umstrittenes Poster, das einen Papst zeigte, der einen Imam küsst. Diese Form der Blasphemie ist also nicht mehr Ausdruck einer tiefgreifenden Kritik an religiösen Institutionen oder Praktiken, sondern ein Instrument der Marktlogik, das die Grenzen des Anstößigen überschreitet, um die eigene Markenidentität zu stärken und Aufmerksamkeit zu erlangen.
Der Begriff „Blasphemie“ hat sich damit von einer klar umrissenen religiösen Kategorisierung zu einem weit gefächerten kulturellen Markenzeichen entwickelt, das auch in der Kunst, der Werbung und der digitalen Medienwelt verwendet wird. Blasphemie wird nicht mehr ausschließlich als der ernsthafte Ausdruck eines individuellen oder kollektiven Aufbegehrens gegen religiöse Normen verstanden. Vielmehr ist sie zu einem ästhetischen Mittel geworden, das in den Medien eingesetzt wird, um Emotionen zu wecken und die Aufmerksamkeit einer größtmöglichen Öffentlichkeit zu gewinnen. So verwendete beispielsweise das spanische Studio The Game Kitchen 2019 in ihrem Videospiel „Blasphemous“ das katholische Gothic-Design, um die Reaktionen der Spieler zu provozieren, ohne dabei ein echtes Interesse an einer religiösen oder philosophischen Auseinandersetzung zu zeigen.
Diese neue Form der Blasphemie hat auch ihre wirtschaftliche Seite. In einer Welt, in der Algorithmen die Art und Weise, wie Inhalte verbreitet werden, kontrollieren, entstehen „Blasphemien“ in Form von Online-Konflikten, die von Influencern, Trollen und sogar von Plattformen wie YouTube und Facebook selbst angestoßen werden. Die Algorithmen dieser Plattformen sind darauf programmiert, Inhalte zu fördern, die kontrovers und polarisierend sind, da Studien gezeigt haben, dass Menschen länger auf solchen Inhalten verweilen als auf konstruktiven Diskussionen. Dies hat nicht nur dazu geführt, dass Blasphemien und Provokationen zunehmend zum Bestandteil der Online-Kultur werden, sondern auch, dass soziale Bewegungen wie #MeToo oder Black Lives Matter mit einer vehementen Gegenreaktion konfrontiert wurden – nicht, weil ihre Anliegen grundsätzlich abgelehnt wurden, sondern weil die Algorithmen Konflikte maximieren, um die Zuschauer länger zu fesseln.
Blasphemie in dieser neuen Form erfüllt die düsteren Prophezeiungen von G. K. Chesterton und T. S. Eliot, die den „neuen Gott“ der Wirtschaft und des „ökonomischen Determinismus“ als Ersatz für philosophische Überzeugungen voraussagten. Statt dass die Blasphemie durch diese ökonomischen Kräfte ausgelöscht wird, ist sie nun vielmehr ein Produkt dieser Kräfte. Es ist ein Symptom einer Kultur, in der selbst die tiefgründigsten Auseinandersetzungen mit religiösen oder moralischen Fragen nicht mehr durch individuelle Überzeugungen geprägt sind, sondern durch den Zwang zur Aufmerksamkeit und den Drang nach Popularität.
In dieser neuen Ära, in der „Blasphemien“ in Form von algorithmisch generierten Inhalten die Runde machen, wird die Frage, was „echte“ Blasphemie ist, zunehmend schwerer zu beantworten. Ist es der riskante Akt einer Aktivistin wie Inna Shevchenko, die ein religiöses Symbol zerstört, um gegen die Unterdrückung von Frauen durch patriarchale Religionen zu protestieren? Oder ist es der scheinbar belanglose Tweet eines Influencers, der sich über das tabuisierteste Thema lustig macht, nur um Klicks zu sammeln? Es ist ein Unterschied, der in der modernen Welt nicht mehr immer klar zu erkennen ist.
In dieser neuen Ära ist es wichtiger denn je, Blasphemie differenziert zu betrachten. Die Grenzen zwischen einer ernsthaften religiösen oder philosophischen Kritik und der kommerziellen Ausnutzung von Tabuthemen zur Maximierung von Medienaufmerksamkeit sind zunehmend verschwommen. In einer Gesellschaft, in der der Begriff der Blasphemie zunehmend inflationär gebraucht wird, gilt es, genau hinzusehen und zu differenzieren, ob es sich um einen ernsthaften Akt der Provokation handelt oder um ein Produkt der Medialisierung und der Wirtschaft, das aus dem Bedürfnis heraus entsteht, Aufmerksamkeit zu erregen und die eigene Markenidentität zu stärken.
Wie Blasphemie die sozialen und kulturellen Werte herausfordert und welche Auswirkungen dies hat
Blasphemien haben eine besondere kulturelle Bedeutung, wenn sie zentrale Konflikte zwischen hochgeschätzten Werten inszenieren – Werte, die auf beiden Seiten tief empfunden und klar definiert sind. Die LGBTI-Rechte-Bewegung hat beispielsweise „den schwulen Jesus“ als Symbol genutzt, um für die Überzeugung der sexuellen Freiheit und der Rechte von LGBTI-Menschen zu werben. Im Gegenzug haben sich viele Christen als Verteidiger des übergeordneten Werts der „Familienwerte“ definiert. Diese Art von Blasphemien entfaltet ihre Wirkung oft durch die provokante Art, wie sie einen Konflikt zwischen Religion und sozialen Bewegungen darstellen. Der schwule Jesus und andere sexualisierte Darstellungen religiöser Figuren sind zu den häufigsten Blasphemie-Memen nach den 1960er Jahren geworden. Sie bilden einen neuen Brennpunkt zwischen religiösen Werten und den modernen Forderungen nach sexueller Freiheit und LGBTI-Rechten, der von einem breiten Publikum verstanden wird.
Doch nicht alle Blasphemien führen zu diesen gewichtigen Konflikten um „Hyperwerte“. Viele von ihnen sind zufällig oder unabsichtlich. Ein Beispiel hierfür ist der Fall im Jahr 2011, als mehr als 100 libanesische Christen vor einem großen Modegeschäft in Beirut standen, um den Besitzer – einen schiitischen Muslim – dazu zu zwingen, ein blasphemisches Flip-Flop-Design zu entfernen. Das Design, das einen Grabstein mit einem Kreuz darstellte, brachte unabsichtlich das heilige Zeichen des Kreuzes unter die Füße des Trägers. Diese zufällige Blasphemie ist ein Beispiel dafür, wie schnell religiöse Symbole in der modernen Welt zu Blasphemien werden können, selbst wenn die Absicht nicht darauf abzielte.
Blasphemie ist ein Konzept, das stark von Zeit, Kontext und der sozialen „Ökologie“ eines bestimmten Ortes und einer bestimmten Zeit abhängt, wie der Literaturprofessor David Lawton treffend formuliert. Die Wahrnehmung von Blasphemie verändert sich mit der Zeit, ebenso wie die Medien und die Ästhetik, die mit ihr verbunden sind. Die provokanten Blasphemien des 19. Jahrhunderts wären heute in der westlichen Welt wohl kaum mehr so aufsehenerregend. Dinge, die früher nicht als Blasphemie galten, können plötzlich starke Reaktionen hervorrufen. Dies zeigt sich beispielsweise bei Monty Pythons Film „Das Leben des Brian“ aus dem Jahr 1979. Als der Film 40 Jahre später von Studenten des Blasphemie-Kurses betrachtet wurde, fanden diese vor allem die Verwendung von „Blackface“ skandalös – ein Aspekt, der in einer 2015 veröffentlichten Sammlung über den Film nicht einmal erwähnt wurde. Der wahre Skandal in einem Gedicht von Kirkup, das in den 1970er Jahren als Skandal galt, wurde nicht in seiner Darstellung von Homosexualität gesehen, sondern in der Schilderung von Nekrophilie – einem Tabubruch, der die tief verwurzelte gesellschaftliche Stigmatisierung des Coming-out als schwul in dieser Zeit widerspiegelt.
Die Definition von Blasphemie als „gotteslästerliche Rede über Gott oder heilige Dinge“ in Wörterbüchern legt nahe, dass Blasphemie ein rein religiöses Vergehen ist. Diese Annahme ist jedoch nicht korrekt, wie zahlreiche Fälle aus der Geschichte belegen. Blasphemien, die auf politische Themen, Nationalismus oder die Komplizenschaft zwischen Kirche und Staat abzielen, waren ebenso von Bedeutung. Beispiele sind etwa „Christus mit Gasmaske“ des Berliner Dada-Künstlers George Grosz, ein Werk, das in den 1920er Jahren in Deutschland für Aufsehen sorgte, oder Pier Paolo Pasolinis Film „La Ricotta“ (1962), der nicht nur die Religion, sondern auch Kolonialismus, Rassismus und die soziale Ungleichheit thematisiert. Grosz, der sich gegen den deutschen Nationalismus stellte, wurde wegen Blasphemie angeklagt, aber später von den Nationalsozialisten für seine Werke der „entarteten Kunst“ angeklagt.
Pasolini hingegen wurde 1963 in Italien wegen „Beleidigung der Religion des Staates“ verurteilt. Der Film „La Ricotta“, der eine Gruppe von Schauspielern zeigt, die eine Szene aus der Kreuzabnahme nach Jacopo Pontormo nachstellen, provozierte nicht nur religiöse Empfindlichkeiten, sondern war auch eine scharfe Satire auf die Gesellschaft, die sich von sozialer Ungerechtigkeit und kolonialer Dominanz nicht scherte. Der Film verknüpft die Heiligkeit eines biblischen Moments mit der banalen und entwürdigenden Realität eines Hungertods eines Schauspielers, was die Kritiker empörte.
Die Praxis der Blasphemie zeigt sich jedoch nie nur in ihrem Inhalt. Sie ist stets auch in einen sozialen und rechtlichen Kontext eingebettet, der häufig die Werte der Mehrheit widerspiegelt. Blasphemie ist deshalb nicht einfach eine Frage des Inhalts, sondern auch der Wahrnehmung und der sozialen Dynamik. In vielen Fällen erscheint Blasphemie, wie in den Beispielen von Grosz und Pasolini, auch dann als solche, wenn sie nicht direkt religiöse Themen behandelt, sondern politische und gesellschaftliche Themen ins Visier nimmt. Blasphemie entsteht oft in den Augen und Ohren der Empfänger und ist damit ein hochgradig subjektiiver Begriff.
Die Herausforderungen, die Blasphemien mit sich bringen, sind nie nur moralischer oder religiöser Natur. Sie beziehen sich oft auf die Frage, wer die Deutungshoheit über kulturelle Normen hat und welche Werte gesellschaftlich vorherrschen. In einer Welt, in der Blasphemien schnell als Angriff auf bestimmte Werte wahrgenommen werden, ist es wichtig, die veränderten sozialen Kontexte zu berücksichtigen und die Ursachen für die Entstehung dieser kulturellen Spannungen zu verstehen.
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