Multifamilientherapie (MFGT) beruht auf einem vielschichtigen Dialog, der auf drei Ebenen gleichzeitig stattfindet: ein innerer Dialog innerhalb jedes Teilnehmers (intrapsychisch), ein Dialog zwischen Mitgliedern derselben Familie (intrafamiliär) sowie ein Austausch zwischen Angehörigen unterschiedlicher Familien (interfamiliär). Diese komplexe kommunikative Struktur ermöglicht es, individuelle, familiäre und soziale Dynamiken simultan zu bearbeiten, was der Therapie eine besondere Tiefe und Wirksamkeit verleiht. Ursprünglich vor allem bei schizophrenen Erkrankungen angewandt, hat sich das Modell in den letzten Jahrzehnten auf zahlreiche psychiatrische Krankheitsbilder ausgedehnt – darunter affektive Störungen bei Kindern und Jugendlichen, Essstörungen sowie Depressionen bei Erwachsenen und Jugendlichen. Auch außerhalb der Psychiatrie findet die Multifamilientherapie zunehmend Anwendung, was ihre universelle Anwendbarkeit und Anpassungsfähigkeit an verschiedene kulturelle und klinische Kontexte unterstreicht.

Das multifamilientherapeutische Setting ist ein offenes, spontanes und integratives Gefüge, das unterschiedliche therapeutische Interventionen vereint. Es verbindet Prinzipien der Bindungstheorie mit postmodernen sozial-ökologischen Konzepten, wie sie beispielsweise im Open Dialogue Ansatz praktiziert werden. Die multifamilientherapeutische Gruppe fungiert als eine Art Mikrosoziät, in der Familien und Fachkräfte gemeinsam ihre Erfahrungen, Gefühle und Unsicherheiten teilen können. Dieses interaktive Umfeld fördert nicht nur das Verständnis und die Akzeptanz psychotischer Erkrankungen, sondern auch die gegenseitige Unterstützung und Vernetzung der Teilnehmer.

Ein besonders anschauliches Beispiel für die Umsetzung dieses Modells stellt das Athens Multifamily Group Therapy Programm (A-MFGT) dar, das aus der Zusammenarbeit dreier Institutionen in Griechenland entstanden ist. Ursprünglich entwickelt, um die lange Wartezeit auf Therapieplätze zu verkürzen und eine größere Zahl betroffener Familien zu erreichen, verfolgt das Programm verschiedene Ziele: Verbesserung der Symptomatik und Funktionsfähigkeit der Patienten nach der ersten psychotischen Episode, Verringerung von Rückfällen und Krankenhausaufenthalten, Bekämpfung sozialer Stigmatisierung sowie die Förderung sozialer Integration und gegenseitiger Unterstützung unter Familien mit ähnlichen Erfahrungen.

Die Behandlungsstruktur umfasst zwanzig zweistündige Gruppensitzungen, die im Abstand von zwei Wochen stattfinden. Die Teilnahme ist freiwillig und für Familien kostenfrei. Voraussetzung ist unter anderem die Einwilligung der Betroffenen und ihrer Angehörigen sowie das Fehlen schwerwiegender Komplikationen wie Substanzmissbrauch oder strafrechtlicher Probleme. Vor der Gruppenteilnahme finden ein bis zwei Einzelsitzungen pro Familie statt, in denen Informationen zum Programm vermittelt, eine Erstbewertung durchgeführt und das Einverständnis eingeholt wird.

Ein wichtiges Element des Programms ist die kontinuierliche klinische und familienbezogene Evaluation. So werden etwa psychiatrische Symptome mittels der PANSS-Skala erfasst, die familiäre Funktionalität durch den SCORE-15 Fragebogen beurteilt und traumatische Erlebnisse sowie die Fähigkeit zur reflexiven Funktion bei Familienmitgliedern systematisch erfasst. Diese umfassende Diagnostik ermöglicht eine differenzierte Einschätzung der Wirksamkeit der Therapie und hilft, individuelle wie kollektive Entwicklungsprozesse besser zu verstehen.

Der multidisziplinäre Ansatz, bei dem Sozialarbeiter, Psychologen, Psychiater und Pflegefachkräfte zusammenarbeiten, trägt wesentlich zum Erfolg des Programms bei. Er garantiert eine ganzheitliche Betrachtung und Behandlung der komplexen Herausforderungen, denen Familien nach einer psychotischen Krise gegenüberstehen. Zudem stellt das Programm einen Ort für die Ausbildung und Weiterbildung systemischer Therapeuten dar, die Interesse an der multifamilientherapeutischen Arbeit haben.

Die Multifamilientherapie geht weit über die reine Symptombehandlung hinaus. Sie schafft ein Netzwerk, in dem Betroffene und Angehörige nicht nur Hilfe erhalten, sondern auch gegenseitig lernen und sich stärken können. Sie reduziert das Gefühl der Isolation und des Stigmas, das psychische Erkrankungen häufig begleitet. Dadurch fördert sie nicht nur die individuelle Genesung, sondern auch die gesellschaftliche Teilhabe und Akzeptanz.

Es ist essentiell zu verstehen, dass psychotische Erkrankungen nicht isoliert betrachtet werden können, sondern immer in einem sozialen und familiären Kontext eingebettet sind. Die multifamilientherapeutische Arbeit nutzt diese Einbettung bewusst als Ressource. Die Vielfalt der beteiligten Familien, die sich in einem geschützten Raum begegnen, führt zu einem dynamischen Prozess des gemeinsamen Lernens und Verstehens, der über die individuelle Therapie hinaus Wirkung entfaltet.

Zusätzlich ist zu beachten, dass die multifamilientherapeutische Methode eine kontinuierliche Anpassung an kulturelle Gegebenheiten erfordert. Programme wie das in Athen zeigen, dass die Umsetzung in unterschiedlichen Ländern und Kulturen spezifische Herausforderungen und Chancen birgt, die sensibel berücksichtigt werden müssen. Nur so kann eine nachhaltige und wirkungsvolle Integration des Ansatzes gelingen.

Wie man mit emotionalen Extremen im Therapieprozess umgeht und deren Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen

Im therapeutischen Prozess ist es von zentraler Bedeutung, die inneren Widersprüche und emotionalen Extreme zu erkennen und zu kontrollieren, die das Verhalten und die Beziehungen des Patienten prägen. Diese Extreme manifestieren sich in unterschiedlichen Facetten, oft in der Form von Bindungsängsten oder dem Drang nach übermäßiger Unabhängigkeit. Ein klassisches Beispiel zeigt sich in der Geschichte von Angela, einer Klientin, die in einer wiederkehrenden Dynamik zwischen der Suche nach Nähe und dem Bedürfnis nach Autonomie hin- und hergerissen ist. Ihre Beziehungen zu nahestehenden Personen, wie ihrer Tochter oder ihrem Ex-Mann, sind von einem ständigen Wechselspiel dieser Gegensätze betroffen.

Angela hat in der Vergangenheit ihre Tochter bei einem missbräuchlichen Ehemann zurückgelassen, ein emotionaler Schritt, der durch den Drang nach Unabhängigkeit und Flucht vor Kontrolle motiviert war. Solche extremen Reaktionen können zu drastischen Handlungen führen, die, obwohl sie aus einem Moment der Emotionalität heraus entstehen, tiefere psychologische Muster widerspiegeln, die es zu verstehen gilt. Die Auseinandersetzung mit dieser inneren Zerrissenheit ist ein wesentlicher Teil der therapeutischen Arbeit. Es geht darum, diese Extreme zu erkennen und zu lernen, mit ihnen umzugehen, um das Verhalten langfristig in ein ausgewogenes und kontrolliertes Verhalten umzuwandeln.

Therapie muss nicht nur die gegenwärtigen Konflikte angehen, sondern auch die langfristige Kontrolle über diese Emotionen ermöglichen, damit der Patient ein gesundes Gleichgewicht zwischen Nähe und Autonomie finden kann. Ein Beispiel für diese komplexe Dynamik wird durch die Therapie von Raimondo verdeutlicht, einem jungen Mann, der wegen einer Kokainabhängigkeit in Behandlung ist. Raimondo’s Rückfälle und seine Schwierigkeiten bei der Trennung von seiner Familie spiegeln ähnliche psychologische Prozesse wider, wie sie auch bei Angela auftreten. Die übermäßige Bindung an seine Eltern und die Abhängigkeit von deren Bestätigung verhindern eine gesunde Autonomieentwicklung und fördern die Rückkehr zu destruktiven Verhaltensmustern.

Die Arbeit mit solchen Fällen erfordert ein tiefes Verständnis der zugrundeliegenden emotionalen Prozesse und der familiären Dynamiken, die diese Verhaltensweisen unterstützen. Bei Raimondo zum Beispiel ist es wichtig, das Spannungsverhältnis zwischen der Suche nach Nähe und der Notwendigkeit zur Trennung zu erkennen und zu bearbeiten. In solchen Fällen könnte die Einbeziehung der Familie in den therapeutischen Prozess hilfreich sein, um das Zusammenspiel zwischen den Familienmitgliedern zu beleuchten und neue, gesündere Kommunikations- und Bindungsmuster zu entwickeln.

Ein weiterer Aspekt, der während der Therapie berücksichtigt werden muss, ist die Art und Weise, wie der Patient auf äußere Herausforderungen und seine eigenen inneren Konflikte reagiert. Beispielsweise kann die Art und Weise, wie Patienten in Krisensituationen auf die Unterstützung ihrer Therapeuten angewiesen sind, wertvolle Hinweise auf ihre emotionalen Bedürfnisse und Ängste geben. Dies wird in der Supervision von weniger erfahrenen Therapeuten deutlich, die in Momenten von Unsicherheit oder Not oftmals zu schnellen Antworten oder impulsiven Interventionen neigen. Instant Messaging als eine Form der schnellen Kommunikation zwischen Therapeut und Supervisor kann in solchen Momenten eine schnelle Klärung und eine grundlegende Unterstützung bieten, die jedoch niemals den tiefgehenden Austausch einer persönlichen Sitzung ersetzen sollte.

Im Fall eines jungen Therapeuten, der mit einem hypochondrischen Patienten arbeitet, werden ähnliche therapeutische Prinzipien sichtbar. Der Patient ist emotional unsicher und neigt dazu, sich in seinen Ängsten und Paranoia zu verlieren. In solchen Fällen ist es entscheidend, dass der Therapeut das zugrunde liegende Muster erkennt und den Patienten zu einer rationaleren Auseinandersetzung mit seinen Ängsten führt, anstatt auf die akuten Notfälle zu reagieren, die der Patient ständig erzeugt. Dies erfordert eine stabile therapeutische Haltung und das Verstehen der zugrunde liegenden emotionalen Blockaden, die dem Patienten den Weg zur Heilung versperren.

Die Bedeutung von Supervision in der therapeutischen Arbeit kann nicht unterschätzt werden, insbesondere wenn der Therapeut mit emotionalen Krisen oder schwierigen Patienten zu tun hat. Eine sofortige Unterstützung durch den Supervisor in Form von Textnachrichten kann in Momenten der Unsicherheit Klarheit verschaffen, ist jedoch keine endgültige Lösung. Es ist wichtig, dass der Therapeut in der Lage ist, selbständig zu reflektieren und das emotionale Gleichgewicht zu wahren, um den Patienten effektiv durch den Therapieprozess zu begleiten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt, den der Therapeut während der Arbeit mit solchen Patienten berücksichtigen sollte, ist die Bedeutung der familiären Einflüsse auf das Verhalten des Patienten. Oftmals sind es tief verwurzelte familiäre Dynamiken, die die emotionale Entwicklung eines Menschen prägen und die in der Therapie bearbeitet werden müssen. In Fällen wie dem von Raimondo, in dem die Familie eine zentrale Rolle im psychischen Wohlbefinden des Patienten spielt, kann eine gezielte Arbeit mit den Familienmitgliedern notwendig sein, um die interpersonellen Beziehungen zu heilen und das emotionale Gleichgewicht des Patienten zu stabilisieren.

In der Arbeit mit emotionalen Extremen ist es entscheidend, dass sowohl der Therapeut als auch der Patient diese Dynamiken verstehen und lernen, sie zu kontrollieren. Nur durch die Erkenntnis und das Bewusstsein dieser inneren Widersprüche kann der Patient lernen, sich selbst zu regulieren und eine gesunde Balance zwischen Nähe und Unabhängigkeit zu finden.

Wie Online-Therapie und -Training das therapeutische Erleben verändern können: Ein Fallbeispiel aus der systemischen Ausbildung

Der Übergang von traditionellen Präsenzformaten hin zu Online-Methoden im therapeutischen Training eröffnet neue Möglichkeiten, die nicht nur die Dynamik der Interaktion verändern, sondern auch die Art und Weise, wie Therapeuten und Klienten ihre Beziehung gestalten. Besonders hervorzuheben ist die Bedeutung des emotionalen Einstimmens in einem digitalen Setting, das für viele Therapeuten und Klienten eine herausfordernde, aber zugleich bereichernde Erfahrung darstellt. In diesem Kapitel betrachten wir eine Online-Rollenspielübung, die als Beispiel für die Komplexität und Potenziale der Online-Therapie dient und gleichzeitig wichtige Einsichten in die Dynamik von virtuellen therapeutischen Beziehungen bietet.

Das Beispiel bezieht sich auf eine Online-Trainingseinheit, die im dritten Jahr einer psychotherapeutischen Ausbildung durchgeführt wurde. Die Teilnehmer dieser Einheit, angehende Therapeuten, führten eine Online-Sitzung durch, in der eine simulierte Therapie mit einer Klientin – genannt Federica – durchgeführt wurde. Federica ist eine 18-jährige Schülerin, die wegen Essstörungen in psychotherapeutische Behandlung geht. Sie ist eine Leistungssportlerin, die seit vielen Jahren rhythmische Gymnastik praktiziert, und es wird vermutet, dass dieses Umfeld ein fruchtbarer Boden für die Entwicklung und Aufrechterhaltung ihrer Essstörung war.

Die Klientin beschreibt ihre Familie als emotional komplex: Ihre Mutter wird als „starke und lebenslustige“ Frau wahrgenommen, der jedoch das Leben oft wenig gelingt, während ihr Vater ruhig und introvertiert ist, was eine gewisse Ähnlichkeit zu Federica selbst aufweist. Ihre Familie ist in vielerlei Hinsicht belastet: Sie hat eine schwierige Beziehung zu ihrer jüngeren Schwester und lebt ein eher isoliertes Leben, was ihre Essstörungen weiter verstärken könnte.

Die erste Herausforderung für den Therapeuten im Online-Setting war, die emotionale Verbindung zu Federica zu spüren. In einem traditionellen Raum hätte der Therapeut eine Vielzahl nonverbaler Hinweise – Körpersprache, räumliche Nähe und direkte emotionale Resonanz – erhalten, die ihm geholfen hätten, die Gefühle der Klientin besser zu verstehen und darauf einzugehen. In einem Online-Setting jedoch bleibt dieser unmittelbare Kontakt weitgehend aus, was eine erhöhte Abstraktion und Intellektualisierung der emotionalen Erfahrungen zur Folge hatte. Der Therapeut im Rollenspiel berichtete von einem Gefühl der „Traurigkeit“ und einer „Sehnsucht“, die Klientin physisch nahe zu haben, um ihre Emotionen besser zu spüren. Dies führte zu einer zentralen Herausforderung: Wie kann der Therapeut die emotionale Resonanz aufrechterhalten, wenn er die physische Präsenz der Klientin nicht wahrnehmen kann?

Ein weiterer Punkt, der im Verlauf des Rollenspiels auffiel, war die Schwierigkeit, die Stille zu bewältigen, die in einem virtuellen Raum entsteht. In einem realen Setting wäre der Therapeut in der Lage, nonverbale Signale wie die Körpersprache oder den Atem der Klientin zu deuten, was ihm helfen würde, die Stille zu füllen oder zu nutzen. Diese Möglichkeit fällt im Online-Rollenspiel weg. Der Therapeut fühlte sich unsicher und „künstlich“ in seiner Reaktion auf die Pausen und das Fehlen direkter, körperlicher Präsenz. Das Fehlen von physischen Hinweisen stellte einen Block für das emotionale Einstimmen dar, was zu einem gewissen Gefühl der Distanziertheit führte.

In einem solchen virtuellen Raum muss der Therapeut neue Methoden entwickeln, um eine emotionale Verbindung aufrechtzuerhalten. Der Trainer gab dem Therapeuten den Ratschlag, von der kognitiven auf eine „körperliche“ Wahrnehmung umzuschalten, die den Fokus weniger auf den rationalen Verstand als auf das „Bauchgefühl“ richtet – eine Metapher, die das intuitive Fühlen von Emotionen betont. Diese Methode wurde dann von dem Therapeuten während der Sitzung angewandt, indem er versuchte, sich auf die Gefühle der Klientin – insbesondere auf deren Traurigkeit – einzulassen. Es war ein Versuch, eine Verbindung herzustellen, die über das rein kognitive Verständnis hinausgeht und auch die emotionalen Dimensionen einer therapeutischen Beziehung im digitalen Raum berücksichtigt.

Nach der Sitzung wurde eine Gruppendiskussion mit den anderen Auszubildenden und den Lehrenden geführt. Dabei teilten die Teilnehmer ihre eigenen Eindrücke und reflektierten über die Schwierigkeiten und Chancen, die in der Online-Therapie auftraten. Eine der zentralen Erkenntnisse war, dass die physische Abwesenheit des Patienten sowohl eine Herausforderung als auch eine Möglichkeit darstellt. Für einige war das Fehlen der körperlichen Präsenz des Klienten eine Hürde, um sich emotional auf die Sitzung einzulassen, während andere entdeckten, dass sie sich gerade durch das Fehlen physischer Ablenkungen besser auf die verbalen und emotionalen Aspekte der Therapie konzentrieren konnten.

Ein Teilnehmer bemerkte, dass die Möglichkeit, in einer Gruppe zu reflektieren, wie es in einer Online-Trainingseinheit möglich war, eine tiefe und aufschlussreiche Erfahrung darstellte. Trotz der technologischen Einschränkungen empfanden viele die Online-Übung als eine wertvolle Gelegenheit, die Grenzen und Möglichkeiten des digitalen Therapie-Settings zu erproben und ihre eigenen Ängste und Ambivalenzen gegenüber der Technik zu erkennen. Insbesondere das Thema der emotionalen Resonanz in der Online-Therapie – und wie dies in einer Entfernung von der physischen Präsenz des Klienten erreicht werden kann – war ein zentrales Thema in der Nachbesprechung.

Es zeigte sich, dass Online-Therapie nicht nur mit technischen Herausforderungen behaftet ist, sondern auch tiefgreifende neue Wege des emotionalen Verständnisses erfordert. Therapeuten müssen lernen, ihre eigene emotionale Reaktion und ihre Fähigkeit zur Empathie im digitalen Raum neu zu definieren. Der Verlust der direkten physischen Präsenz kann durch verstärkte Aufmerksamkeit auf verbale Kommunikation und die Nutzung neuer metaphorischer Werkzeuge, wie das Einsetzen von Farben und anderen Sinneseindrücken, ausgeglichen werden. Die Teilnahme an einem solchen Rollenspiel ermöglichte es den angehenden Therapeuten, die Feinheiten dieser emotionalen Arbeit zu verstehen und neue Perspektiven zu entwickeln, wie sie sich auch in einem digitalen Raum mit ihren Klienten verbinden können.

Es bleibt festzuhalten, dass diese Erfahrung den Teilnehmenden eine wertvolle Gelegenheit bot, sich der emotionalen Dimension der Online-Therapie zu nähern und zu erkennen, dass digitale Formate, bei aller Unmittelbarkeit, tiefgehende emotionale Begegnungen ebenso ermöglichen können. Doch der Schlüssel liegt in der Fähigkeit der Therapeuten, ihre Wahrnehmung zu schärfen und neue Wege der Verbindung zu finden, die auch in einer digitalen Welt echte Empathie und therapeutische Unterstützung bieten.

Wie wahrnehmen Klienten und Therapeuten Veränderungen in der Online-Therapie im Vergleich zur Face-to-Face-Therapie?

Im Hinblick auf die Bewertung von Veränderungsprozessen berichteten sowohl Paare als auch Familienmitglieder von einer größeren Verbesserung der Symptome als von ihren Therapeuten wahrgenommen wurde (Abb. 3.16). Die Ergebnisse der Forschung im Bereich der systemischen Online-Therapie zeigen ein interessantes Bild, da die Wahrnehmung von Veränderungen durch Klienten in der Regel positiver ausfiel als die der Therapeuten. Insbesondere in der multipersonalen Therapie, die Paare und Familien umfasst, war eine höhere Zufriedenheit bei den Klienten zu verzeichnen, während die Therapeuten eine differenziertere Sichtweise entwickelten, welche in vielen Fällen eine begrenzte Wahrnehmung der emotionalen und nonverbalen Dynamik der Klienten aufwies.

Die empirische Untersuchung brachte keine signifikanten Unterschiede zwischen der Bewertung der Online-Therapie und der Face-to-Face-Therapie zutage. Trotzdem zeigte sich eine ähnliche Tendenz in der positiven Beurteilung der Wirksamkeit der Online-Therapie durch Therapeuten und vor allem durch Klienten. Es ist jedoch anzumerken, dass diese Daten aufgrund der kleinen Stichprobe und der spezifischen Umstände während der Pandemie (COVID-19) nicht ohne weiteres verallgemeinert werden können. Besonders die Tatsache, dass Therapeuten überwiegend aus dem Milaner Modell der systemischen Therapie stammten und eine eher dialogische, weniger aktivierende Therapieform bevorzugten, könnte erklären, warum diese Therapeuten die Online-Therapie als weniger problematisch empfanden als Kollegen, die einen erfahrungsorientierten oder strukturellen Ansatz verfolgten.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die unterschiedliche Erfahrung von Therapeuten und Klienten mit digitalen Plattformen. Therapeuten, besonders die mit mehr als zehn Jahren klinischer Erfahrung, gaben oft an, wenig Erfahrung mit der Online-Therapie zu haben, was jedoch nicht die allgemeine Wahrnehmung von Klienten widerspiegelt, die häufig angaben, gut mit digitalen Plattformen vertraut zu sein. Diese Diskrepanz legt nahe, dass die Therapieausbildung in Bezug auf digitale Technologien möglicherweise noch unzureichend ist, während die Klienten aufgrund ihrer gewohnten Nutzung von digitalen Kommunikationsmitteln eine größere Anpassungsfähigkeit zeigten.

Besonders auffällig war die Wahrnehmung der emotionalen Verbindung zwischen Klienten und Therapeuten in der Online-Therapie. Zwar wiesen beide Gruppen – Therapeuten und Klienten – in ihren Bewertungen positive Eigenschaften der Online-Therapie auf, doch die Klienten erlebten eine stärkere emotionale Verbindung als die Therapeuten. Dies könnte auf die neue Form der Intimität zurückzuführen sein, die die Online-Kommunikation in bestimmten Kontexten fördert. Die Tatsache, dass in der Pandemie auch der direkte Blickkontakt während Face-to-Face-Sitzungen durch Masken und Abstand eingeschränkt war, könnte einen Einfluss auf die therapeutische Beziehung gehabt haben, sodass in der Online-Therapie die nonverbalen Signale des Gesichtsausdrucks möglicherweise deutlicher erkennbar und für die Therapeut-Klient-Interaktion wertvoller wurden.

Ein zusätzliches wichtiges Element in der Wahrnehmung von Veränderungen ist die Frage der Sicherheit und des therapeutischen Bündnisses. Bei den Klienten war das Gefühl von Sicherheit und Bindung im Online-Setting sogar höher als in der Face-to-Face-Therapie. Diese erhöhte Sicherheit könnte teilweise mit der verringerten physischen Präsenz und der fehlenden direkten Beobachtung von Körpersprache zusammenhängen. Therapeuten, die diese nonverbalen Hinweise im Online-Format nicht vollständig wahrnehmen konnten, gingen möglicherweise von einer weniger wirksamen Behandlung aus. Klienten hingegen, die in der Lage waren, ihre eigenen Fortschritte zu beurteilen, berichteten häufiger von Verbesserungen.

Die geringe Anzahl an multipersonalen Online-Therapien, insbesondere in der Arbeit mit Paaren und Familien, lässt sich mit der zunehmenden Komplexität in solchen Settings erklären. Therapeuten berichteten, dass sie bei der Arbeit mit mehr als einer Person online vor größeren Herausforderungen standen, was möglicherweise dazu führt, dass diese Therapiemodalität für Paare und Familien weniger attraktiv erschien. Zudem könnte das Fehlen einer stabilen „Containment“-Umgebung in der Online-Therapie zu einer geringeren Bereitschaft geführt haben, solche Formate in der Familien- und Paartherapie zu etablieren.

Neben diesen spezifischen Ergebnissen sollte nicht vergessen werden, dass eine Reihe von Therapeuten und Klienten die Online-Therapie auch als weniger bedrohlich empfanden, da die "virtuelle Präsenz" die Möglichkeit zur Enthemmung und ein gewisses Maß an anonymisierter Kommunikation bot, was es manchen Patienten erleichterte, über schwierige Themen zu sprechen. Die Beobachtungen in der Literatur, dass Online-Therapien zu einer größeren Offenheit führen können, wurden hier bestätigt und legen nahe, dass in bestimmten Fällen das Online-Format tatsächlich therapeutische Vorteile bieten könnte.

Die vorliegenden Ergebnisse aus der Forschung zum Thema Online-Systemische Therapie legen nahe, dass sowohl Klienten als auch Therapeuten das Potenzial der digitalen Therapieformen stärker anerkennen. Trotzdem sind weitere Studien erforderlich, um das komplexe Zusammenspiel von Technologien, Therapeutenstrategien und Klientenreaktionen besser zu verstehen und zu erfassen. Ein tieferes Verständnis darüber, welche Faktoren die Wahrnehmung von Veränderung und Wirksamkeit beeinflussen, könnte dazu beitragen, zukünftige Online-Therapieangebote noch gezielter zu entwickeln.

Wie wirken Partnerschaftskonflikte auf die psychische und physische Gesundheit?

Die Qualität einer Partnerschaft hat weitreichende Auswirkungen auf das Wohlbefinden der beteiligten Personen, und insbesondere auf das psychische und physische Wohl der Kinder. Geringe Partnerschaftsqualität wird häufig durch ein subjektives Gefühl der Unzufriedenheit und des Unglücks geprägt, was zu langanhaltenden psychischen Belastungen führen kann. Diese Belastungen manifestieren sich nicht nur in den betroffenen Partnern selbst, sondern auch in deren unmittelbarem Umfeld, vor allem in den Kindern. Zahlreiche Studien zeigen, dass Kinder, die in Haushalten mit konstanten Partnerschaftskonflikten aufwachsen, sowohl in ihrer sozialen als auch in ihrer emotionalen Entwicklung signifikante Beeinträchtigungen erfahren. Es wird deutlich, dass Partnerschaftskonflikte nicht nur zu individueller Erschöpfung führen, sondern auch erhebliche gesellschaftliche und gesundheitliche Kosten verursachen.

Darüber hinaus zeigen Untersuchungen, dass die Folgen einer Trennung oft mit somatischen und psychischen Symptomen einhergehen, die sich sogar in einem erhöhten Suizidrisiko manifestieren können. Für die betroffenen Paare können die Auswirkungen der Trennung weit über die Beziehung hinausgehen. Sie verändern häufig auch die Beziehungen zu Verwandten und gemeinsamen Freunden und können die beruflichen sowie sozialen Netzwerke der getrennten Partner nachhaltig stören. Diese sozialen und emotionalen Herausforderungen werden häufig von einer Verschlechterung der physischen Gesundheit begleitet.

Die Notwendigkeit, Paare zu unterstützen, um Konflikte zu überwinden und die Partnerschaft auf eine gesunde Grundlage zu stellen, ist daher von zentraler Bedeutung. Paartherapie bietet einen strukturierten Rahmen, um sowohl akute als auch chronische Konflikte in Partnerschaften zu adressieren. In der Therapie werden häufig Themen wie Kommunikation, Vertrauen, Affären, sexuelle Intimität und die Vereinbarkeit von Elternschaft und Partnerschaft beleuchtet. Dabei zeigt sich, dass Paartherapie vor allem dann von Erfolg gekrönt ist, wenn ein Partner mit psychischen Problemen oder sexuellen Funktionsstörungen zu kämpfen hat. Ziel der Therapie ist es, die Kommunikation und die beziehungsdynamischen Fähigkeiten beider Partner zu stärken.

Ein besonders eindrucksvolles Ergebnis der Forschung zur Paartherapie ist die hohe Effektivität der verschiedenen therapeutischen Ansätze. Studien belegen eine hohe Erfolgsquote, wobei die Effektstärken von mäßig bis hoch reichen, je nach angewandter Methode. Es gibt eine Vielzahl an therapeutischen Ansätzen, wie z. B. kognitive Verhaltenstherapie, psychoanalytische oder systemische Therapie, die als gleichermaßen wirksam gelten. Doch trotz dieser nachgewiesenen Wirksamkeit scheuen sich viele Paare, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Weniger als 15 % der Paare, die in einer Partnerschaftskrise stecken, suchen tatsächlich Paartherapie auf, obwohl etwa ein Drittel aller Paare Beziehungsprobleme haben. Gründe für diese Zurückhaltung sind vielfach psychologischer und praktischer Natur: die Angst vor Stigmatisierung, der Mangel an Zeit oder die Schwierigkeiten, Kinderbetreuung zu organisieren, spielen hier eine Rolle.

Die digitale Ära hat jedoch zu einer Veränderung in diesem Bereich geführt. Immer mehr Menschen suchen nach Lösungen im Internet, um ihre Lebensqualität und ihre psychische Gesundheit zu verbessern. Im Jahr 2021 besaßen weltweit etwa 6,4 Milliarden Menschen ein Smartphone, und in Deutschland nutzen etwa 35 % der Bevölkerung kostenpflichtige mobile Anwendungen zur Verbesserung ihrer Gesundheit. In Ländern wie den USA, China oder Indien liegt dieser Anteil sogar noch höher. Diese Entwicklung hat das Feld der digitalen Gesundheitsangebote, wie Internet- und mobile Interventionen (IMIs), revolutioniert. Diese Programme bieten eine flexible Möglichkeit, psychische Gesundheitsprobleme eigenständig anzugehen, und können eine wertvolle Ergänzung zu traditionellen Therapieformen darstellen. IMIs sind häufig standardisierte, theoriegestützte Programme, die über Internetbrowser oder mobile Apps zugänglich sind. Sie bieten eine Vielzahl von Anwendungen in Bereichen wie Prävention, Beratung, Behandlung und Nachsorge.

Ein weiterer Vorteil von IMIs ist die Möglichkeit, sie als ergänzende Maßnahme zur klassischen Therapie zu nutzen, eine sogenannte „blended care“-Herangehensweise. Hierbei werden die digitalen Interventionen genutzt, um Wartezeiten auf einen Therapieplatz zu überbrücken, die Therapie vorzubereiten oder den Fortschritt nach der eigentlichen Behandlung aufrechtzuerhalten. Diese Form der Therapieintegration kann besonders für Paare, die in ihrer Beziehung anstehen, eine niedrigschwellige Möglichkeit zur Unterstützung bieten. Dennoch bleibt der Zugang zu qualifizierter, evidenzbasierter Paartherapie weiterhin eine Herausforderung, da der rechtliche Rahmen für die Praxis in vielen Ländern unklar ist und die Versorgung oft fragmentiert bleibt.

Zusätzlich zu diesen praktischen Aspekten ist es wichtig, dass Paare, die Unterstützung suchen, sich der Wirksamkeit und der zugänglichen Optionen bewusst sind. Die Scheu, Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist oft ein Hindernis, das durch eine breitere Aufklärung und niedrigschwellige Angebote wie digitale Therapien verringert werden könnte. Paare müssen lernen, dass die frühzeitige Auseinandersetzung mit ihren Konflikten und die Bereitschaft zur Veränderung die Lebensqualität und die psychische Gesundheit aller Beteiligten erheblich verbessern kann.