Das 21. Jahrhundert hat sich bereits als das Zeitalter des individualisierten, sogenannten „lone wolf“-Terrorismus erwiesen – eine Form politisch motivierter Gewalt, die sich durch Autonomie, Unvorhersehbarkeit und den Verlust klassischer terroristischer Organisationsformen auszeichnet. Anders als frühere Wellen des Terrorismus, etwa durch hierarchisch strukturierte Gruppen, handelt es sich beim neuen Rechtsterrorismus um eine dezentralisierte, digital inspirierte und transnational vernetzte Bewegung einzelner Akteure. Diese Terroristen benötigen keine klassische Organisation oder infrastrukturelle Unterstützung – ihre Radikalisierung, Planung und Durchführung erfolgen im Alleingang, oft von der Öffentlichkeit unbemerkt, teilweise jedoch live übertragen oder digital angekündigt.

Es ist ein hausgemachter Terrorismus, „homegrown“ im wahrsten Sinne des Wortes – gewachsen in Kinderzimmern, Kellerräumen, abgeschotteten Onlineforen und Streaming-Plattformen. Die Täter stammen aus westlichen Gesellschaften, sind sozial meist isoliert, psychisch auffällig, aber nicht notwendigerweise pathologisch. Die Attentate von München 2016, Christchurch 2019 und El Paso zeigen: Der Impuls zum Töten entsteht aus einer Mischung persönlicher Frustration, ideologischer Überzeugung und dem Wunsch, sich ein digital unsterbliches Denkmal zu setzen. Dabei ist der politische Charakter dieser Gewalttaten häufig umstritten oder wird bewusst verkannt – ein Fehler, der die demokratische Gesellschaft teuer zu stehen kommen kann.

Ein zentrales Merkmal dieses neuen Terrorismus ist die gegenseitige Inspiration unter den Tätern. Es ist keine klassische Organisation, sondern eine ideologische Kontinuität, getragen von Manifesten, Livestreams, Forenbeiträgen und der gezielten Verbreitung von Taten über soziale Netzwerke. Der Attentäter von Halle 2019 bezog sich offen auf Christchurch. In seinem Livestream, gerichtet an ein anonymes Publikum, tötete er zwei Menschen und rechtfertigte seine Tat mit Antisemitismus, antifeministischem Hass und Verschwörungsideologien über eine angebliche „Zionistische Besatzungsregierung“. Diese ideologische Matrix zirkuliert in digitalen Räumen und ist an Gamer-Jargon, Popkultur-Codes und pseudowissenschaftliche Narrative gekoppelt – sie formt eine eigene Subkultur der Gewalt.

Der „Gamification“-Effekt, also die spielerische Inszenierung realer Gewaltakte nach Mustern digitaler Spiele, ist dabei keine Randerscheinung, sondern ein strukturierendes Element. Täter stilisieren sich als Avatare im „battle mode“, ihre Taten als Missionen, ihre Opfer als Punkte. Der digitale Raum bietet Rückhalt, Zuschauer, Kommentatoren und Nachahmer – eine virtuelle Bühne, die Aufmerksamkeit, Applaus und Fortsetzung verspricht. Dies führt zu einer neuen Dynamik: Die Taten sind zwar individuell verübt, aber ideologisch eingebettet in ein transnationales, loses Netzwerk. Der Einzeltäter ist kein zufälliger Amokläufer, sondern ein politischer Akteur in einem diffusen digitalen Krieg.

Der Weg zur Radikalisierung ist dabei selten plötzlich, sondern verläuft in einer schleichenden Abwärtsspirale aus Isolation, Feindbildaufbau und Identitätskonstruktion. Viele Täter stammen aus sozialen Milieus mit wenig Halt, ohne stabile Bindungen oder Erfolgserlebnisse. In den Echokammern des Internets finden sie Anschluss, Bedeutung und eine Sprache des Hasses, die ihre Welt erklärt und sie zu vermeintlichen Rettern macht. Hier entstehen hybride Ideologien, in denen Rassismus, Antisemitismus, Misogynie, Antiglobalismus und Verschwörungsmythen miteinander verschmelzen – eine gefährliche ideologische Fragmentierung, die weder links noch rechts in klassischem Sinn ist, sondern durch absolute Ablehnung demokratischer Prinzipien definiert wird.

Die Sicherheitsbehörden reagieren darauf oft zu spät oder mit einem falschen Fokus. So wurde der Anschlag von München 2016 jahrelang nicht als politisch motiviert anerkannt. Erst nach tieferer Aktenanalyse und medienübergreifenden Verbindungen wurde klar: Auch hier wirkte das ideologische Geflecht der internationalen Rechten, vermittelt über US-amerikanische Plattformen, übersehen von Ermittlungsbehörden. Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie schwer es fällt, neue Muster von Radikalisierung und Vernetzung zu erkennen, wenn man an veralteten Rastermodellen festhält.

Gesellschaftlich stellt sich die Frage nach der Verantwortung nicht nur für Sicherheitsapparate, sondern auch für Politik, Medien und Bildungsinstitutionen. Die radikale Rechte nutzt jede gesellschaftliche Krise zur ideologischen Mobilisierung – sei es Migration, Pandemie, ökonomische Unsicherheit oder technologische Entfremdung. Die Täter sind nicht „verrückt“, sondern tief eingebettet in eine politische Erzählung, die ihnen Sinn und Auftrag verleiht. Es reicht nicht mehr, sie als Ausnahmen oder Einzelfälle zu behandeln.

Entscheidend ist, dass der neue rechte Terrorismus nicht mehr allein auf nationale Kontexte beschränkt ist. Es handelt sich um eine internationale Bewegung von Einzelnen, vernetzt über digitale Kanäle, verbunden durch geteilte Feindbilder, getrieben von dem Wunsch, Geschichte zu schreiben – notfalls mit Blut. Die neue Qualität liegt nicht nur in der Tötung selbst, sondern in der strategischen Öffentlichkeitsarbeit der Täter: Manifest, Video, Hashtags – alles wird vorbereitet und verbreitet, um eine größtmögliche ideologische Wirkung zu erzielen.

Wichtig ist, dass diese Täter das Scheitern anderer nutzen, um sich selbst zu radikalisieren – aus jedem missglückten Anschlag wird ein Narrativ gesponnen, aus jeder medialen Aufmerksamkeit Kapital geschlagen. Ihre Botschaft: Jeder kann es tun, überall, jederzeit. Und genau das macht sie so gefährlich.

Wichtig zu verstehen ist, dass diese Form des Terrorismus nicht durch klassische polizeiliche Mittel allein bekämpft werden kann. Es braucht ein tiefes Verständnis der soziopsychologischen Mechanismen, der medialen Dynamiken und der ideologischen Erzählungen, die diese Täter antreiben. Der Terror der Einzeltäter ist nicht unpolitisch, sondern Ausdruck einer politisch aufgeladenen Identitätskrise moderner Gesellschaften – und als solcher muss er benannt, analysiert und strategisch bekämpft werden.

Wie gefährlich sind rechte Einzeltäter? Eine unterschätzte Bedrohung im digitalen Zeitalter

Die Vorstellung, Terrorismus sei primär das Werk gut organisierter Gruppen oder ideologischer Netzwerke, greift zu kurz. Insbesondere der rechte Einzeltäter – oft als „Lone Wolf“ bezeichnet – entzieht sich dieser herkömmlichen Kategorisierung und stellt eine Herausforderung dar, auf die Politik, Justiz und Sicherheitsbehörden bislang unzureichend vorbereitet sind. Die westlichen Demokratien, noch geprägt vom Bild des islamistischen Netzwerks oder der linksextremen Zelle des 20. Jahrhunderts, reagieren zögerlich auf die neue Realität des individualisierten rechten Terrors.

Diese Form des Terrors ist nicht das zufällige Ergebnis eines psychisch labilen Täters, sondern Teil eines globalisierten, digital vernetzten Phänomens. Der Einzeltäter mag physisch isoliert handeln, virtuell jedoch ist er Teil eines losen Kollektivs, das sich in Online-Foren, Gaming-Plattformen und nicht-verdächtigen Chatgruppen formiert. Dort findet nicht nur Ideologisierung, sondern auch strategischer Austausch statt – in einem Raum, der staatlicher Kontrolle weitgehend entzogen ist. Die Radikalisierung erfolgt autodidaktisch, oft ohne direkten Kontakt zu Gleichgesinnten. Dennoch entsteht ein Gefühl der Zugehörigkeit, das früher nur in realen Gruppierungen möglich war.

Auffällig ist der demografische Hintergrund dieser Täter: Es handelt sich fast ausschließlich um Männer, häufig junge Erwachsene in kritischen Phasen der Identitätsbildung oder Männer mittleren Alters, die sich als soziale Verlierer begreifen. Diese Täter entwickeln einen hochgradig selektiven Hass, der sich insbesondere gegen ethnische Minderheiten und Vertreter einer offenen Gesellschaft richtet. Der Angriff wird geplant, kalkuliert – mit dem Ziel, maximale symbolische Wirkung zu erzeugen.

Rechtsstaatliche Strukturen stoßen hier an ihre Grenzen. Strafrechtlich ist der Einzeltäter schwer zu fassen, da viele Gesetzgebungen Terrorismus noch immer als kollektives Delikt definieren. Das bedeutet, dass ideologisch motivierte Einzeltaten häufig nicht unter den Tatbestand „Terrorismus“ fallen, was sich auf Ermittlungen und Strafverfolgung auswirkt. Gleichzeitig arbeiten Sicherheitsdienste vielfach noch entlang nationaler Grenzen, während die Bedrohung längst transnational organisiert ist – digital, mehrsprachig, mit hoher Dynamik.

Eine weitere Schwierigkeit liegt in der Abgrenzung zwischen psychisch bedingten Amoktaten und politisch motivierten Terrorakten. Während bei ersteren individuelle Krisen im Vordergrund stehen, ist beim Lone-Wolf-Terrorismus die ideologische Komponente zentral. Die mediale und juristische Reduktion auf Persönlichkeitsstörungen oder psychische Instabilität verschleiert die politische Dimension und begünstigt eine systematische Unterschätzung der Gefahr. Diese Verkürzung entpolitisiert die Tat – und entlastet die Ideologie, die dahintersteht.

Die bestehende Präventionslandschaft ist diesem Phänomen kaum gewachsen. Sie bleibt oft reaktiv statt proaktiv, und sie fokussiert zu einseitig auf psychologische Risikofaktoren. Die politisch-weltanschauliche Radikalisierung – insbesondere im digitalen Raum – wird in der Gefahrenanalyse nicht adäquat berücksichtigt. Das macht präventives Eingreifen schwierig. Die Erkennung ideologischer Radikalisierungsmuster müsste wesentlich stärker in die Früherkennung eingebunden werden.

Rechter Einzeltäterterrorismus ist Ausdruck einer tiefer liegenden gesellschaftlichen Spaltung. Er speist sich aus Ressentiments, die in digitalen Echokammern verstärkt werden, und aus einem Gefühl des Bedeutungsverlusts in einer globalisierten Welt. Die Täter sehen sich nicht als kriminelle Außenseiter, sondern als letzte Verteidiger einer bedrohten Ordnung. Das macht ihre Taten besonders gefährlich – weil sie sich selbst als legitimiert erleben.

Nicht zuletzt liegt i

Was kennzeichnet rechtsextremen Terrorismus am Beispiel des Münchner Amoklaufs von 2016?

Der Amoklauf von David Ali Sonboly am 22. Juli 2016, exakt fünf Jahre nach den Anschlägen von Anders Breivik, stellt ein prägnantes Beispiel für die Komplexität rechtsextremer Gewalt dar. Sonboly nutzte dieselbe Waffe wie Breivik, eine Glock 17, und tötete neun Menschen, bevor er sich das Leben nahm. Auffällig ist dabei, dass alle seine Opfer einen erkennbaren Migrationshintergrund hatten, was seine Tat unmissverständlich als rassistisch motiviert kennzeichnet. Besonders markant ist, dass unter den Opfern viele Jugendliche im Alter von 14 bis 20 Jahren waren, mit türkischen und kosovarischen Wurzeln, was Sonbolys Hass auf „Fremde“ offenbart. Während seines Angriffs rief er mehrfach, dass er kein „Kanak“ sei, sondern „Deutscher“, was seine eigene verzerrte Identitätswahrnehmung widerspiegelt.

Die ideologische Verortung Sonbolys ist nicht einfach zu fassen, da seine Weltsicht nicht stringent logisch aufgebaut war. Trotz seiner Abneigung gegenüber Migranten und der von ihm selbst gepflegten islamfeindlichen Haltung, zeigte er zugleich eine gewisse Faszination für Istanbul und die türkische Kultur. Er nutzte sogar eine türkische Flagge und ein Bild von Istanbul auf einem gefälschten Facebook-Account, um potenzielle Opfer anzulocken. Diese Ambivalenz unterstreicht die fragmentierte und widersprüchliche Natur seiner Ideologie.

Sonbolys Verhalten lässt sich auch im Kontext seiner Verehrung des norwegischen Attentäters Breivik verstehen. Chatprotokolle zeigen, dass er Breivik als „Warnsignal“ und „Helden“ betrachtete, der sein „Volk“ schützen würde. Die Tatzeit wählte Sonboly bewusst am frühen Abend, ähnlich wie Breivik, was auf eine bewusste Nachahmung hindeutet. Die bayerischen Behörden bestätigen diese Beeinflussung durch Breivik, sehen jedoch auch Unsicherheiten hinsichtlich der genauen Beweggründe Sonbolys.

Die von Sonboly hinterlassenen Texte offenbaren eine menschenverachtende Ideologie, die Migranten als „Virus“ und „Untermenschen“ diffamiert, insbesondere solche mit türkischen und albanischen Wurzeln. Er beklagt den Verlust der „Standhaftigkeit“ in München gegenüber „Kakerlaken“ – ein Bild, das die Dehumanisierung der Opfer spiegelt. Sein „Manifest“ trägt den Titel „Meine Rache an denen, die mich auf dem Gewissen haben“ und ist geprägt von einer verzerrten Selbstwahrnehmung als Opfer, dessen Vaterland durch Migration „geschützt“ werden müsse. Obwohl die Staatsanwaltschaft die Tat teilweise als eine Reaktion auf jahrelanges Mobbing interpretiert, lässt sich die Tat nicht auf persönliche Motive allein reduzieren. Sonbolys Hass war ideologisch geprägt, sein Vorgehen zielgerichtet und durch eine rechtsextreme Gesinnung motiviert.

Die Isolation Sonbolys in der realen Welt kontrastiert mit seiner intensiven Beschäftigung im virtuellen Raum, wo er seine Gewaltphantasien und seinen Hass äußerte und sich mit Gleichgesinnten austauschte. Die Verbindung zwischen persönlichen Erfahrungen, ideologischer Radikalisierung und der Nutzung digitaler Räume als Resonanzboden für Hass und Gewalt wird hier besonders deutlich. Sein Fall zeigt, wie sich rechtsextremer Terrorismus als eine Mischung aus ideologischer Verblendung, persönlicher Verletztheit und sozialer Isolation manifestieren kann.

Es ist wesentlich, über die Tat hinaus die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu betrachten, die solche Radikalisierungen begünstigen. Die gesellschaftliche Debatte um Migration, Integration und Identität wird durch solche extremen Einzelfälle aufgeladen und verzerrt. Dabei dürfen weder die individuellen Ursachen noch die politischen und sozialen Kontexte ausgeblendet werden. Die Gefahr liegt darin, rechtsextreme Ideologien als bloße Ausnahmen oder persönliche Abwege abzutun, statt sie als Symptome tieferliegender gesellschaftlicher Spannungen und Diskriminierungen zu erkennen.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Opfer rechtsextremer Gewalt nicht nur Zahlen in einer Statistik sind, sondern Menschen mit Geschichten, Familien und Lebensentwürfen. Ihr Schicksal rückt die Dringlichkeit gesellschaftlicher Prävention und konsequenter Auseinandersetzung mit Rassismus und Hass ins Zentrum. Sonbolys Tat mahnt, dass rechtsextreme Gewalt nicht nur von organisierten Gruppen ausgehen kann, sondern auch von einsamen Tätern, deren Radikalisierung durch das Internet und gesellschaftliche Entfremdung verstärkt wird.

Das Verständnis für solche Taten erfordert eine interdisziplinäre Betrachtung, die psychologische, soziologische und politische Aspekte integriert. Die präventive Arbeit muss daher an verschiedenen Ebenen ansetzen: bei der Stärkung demokratischer Werte, der Förderung sozialer Integration und der kritischen Medienbildung im Umgang mit Hassbotschaften und Verschwörungsideologien.

War der Amoklauf von David Sonboly ein rechter Terroranschlag?

David Sonboly, der Täter des Münchner Amoklaufs, verkörpert ein komplexes Zusammenspiel von Persönlichkeitsmerkmalen, sozialen Erfahrungen und ideologischen Einflüssen, das eine eindeutige Kategorisierung erschwert. Zwei persönliche Treffen mit einem anderen rechtsextremen Täter offenbarten eine explizite Feindseligkeit gegenüber Ausländern, insbesondere gegenüber türkischstämmigen Personen, die Sonboly als Ziel seiner „Rache“ ausmachte. Seine Äußerungen zeugen von tief verwurzeltem Hass und einer Weltanschauung, die klar von rechtsextremen Einstellungen geprägt war.

Sonboly war kein klassischer Straftäter; er hatte keine Vorstrafen, wurde trotz längerer psychiatrischer Behandlung als nicht gefährlich eingestuft und besuchte trotz häufigem Schulwechsel kontinuierlich die Schule. Dennoch war er ein Außenseiter, der Mobbing erfuhr, was seine ablehnende Haltung gegenüber Menschen mit südosteuropäischem Migrationshintergrund stark beeinflusste. Seine auffällige Erscheinung und seine Eigenheiten, etwa das Tragen sogenannter „Mädchenkleidung“ oder sein ungewöhnliches Interesse an Bus- und Bahnfahrplänen, unterstreichen sein Anderssein. Positiv hervorzuheben sind seine Rollen als Klassensprecher und sein Ehrgeiz sowie der Wunsch, als „Spaßvogel“ akzeptiert zu werden, was eine ambivalente Persönlichkeit offenbart.

Seine psychische Verfassung war geprägt von Angstzuständen, Phobien, Depressionen und einer frühen Diagnose von Autismus. Zudem zeigte er suizidale Gedanken und aggressives Verhalten, wobei diese trotz allem von Therapeuten als nicht unmittelbar gefährlich eingestuft wurden. Sein obsessives Verhalten gegenüber einer unerwiderten Liebe und die Stalking-Versuche verdeutlichen emotionale Instabilität. Im privaten Umfeld und während seiner Schießübungen steigerte er sich in fremdenfeindliche Tiraden hinein und glorifizierte radikale politische Positionen, wie die der AfD, die seiner Meinung nach die „Reinigung“ Deutschlands herbeiführen würden.

Die Radikalisierung Sonbolys vollzog sich schrittweise und über längere Zeit. Er interessierte sich intensiv für frühere Gewalttaten und besuchte Orte vergangener Amokläufe, was auf eine gedankliche Identifikation mit solchen Taten hindeutet. Das gezielte Aufsuchen des Grabes einer türkischstämmigen jungen Frau, deren Tod er verhöhnte, belegt den gezielten Hass auf Migranten. Sein perfides Vorgehen, mittels eines gefälschten Facebook-Profils „Freunde“ zu einer tödlichen Falle einzuladen, unterstreicht die geplante, zielgerichtete und ideologisch motivierte Tat.

Die offiziellen Ermittlungen sahen in der Tat keinen politischen Terroranschlag, sondern klassifizierten sie als Amoklauf. Dabei wurde argumentiert, Sonboly sei ein psychopathologischer Einzeltäter ohne klare politische Motivation gewesen. Diese Sichtweise folgt einem weit verbreiteten psychologischen Erklärungsmodell, das politische Radikalisierung oft zugunsten persönlicher Problemlagen ausblendet. Dadurch bleiben wichtige Aspekte unberücksichtigt, wie etwa die ideologische Prägung und die politische Sozialisation.

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz stellte hingegen fest, dass die Auswahl der Opfer – allesamt mit Migrationshintergrund – einem Muster rechtsextremer Gewalttaten entspricht. Die Tat war somit keineswegs zufällig, sondern folgte einer rassistischen Logik, die in Sonbolys persönlicher Geschichte von Ausgrenzung und Hass wurzelt. Im Gegensatz zu vielen Amoktaten, die Rache an Bekannten oder Schulfreunden üben, zielte Sonboly auf eine ethnisch definierte Gruppe, was die politische Dimension seiner Tat unterstreicht.

Es ist entscheidend zu verstehen, dass die klare Trennung von Amoklauf und politisch motiviertem Terror häufig unzureichend ist. Persönliche Motivationen und psychopathologische Befunde können nicht von ideologischen Einstellungen und gesellschaftlichen Einflüssen getrennt werden. Die Radikalisierung in digital vernetzten Milieus und die Überschneidung mit rechtsextremen Ideologien schaffen ein komplexes Geflecht, das individuelle Gewalttaten politisiert.

Darüber hinaus zeigt der Fall, wie wichtig es ist, die gesellschaftlichen Bedingungen von Ausgrenzung und Mobbing sowie die Rolle psychischer Erkrankungen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu betrachten. Die Verharmlosung rechter Gewalt durch die Einordnung als „Amoklauf“ behindert das Verständnis der Gefahren, die von solcher Ideologie ausgehen. Prävention muss deshalb sowohl auf der Ebene individueller Betreuung als auch durch gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus erfolgen.