Die Aufarbeitung des Amoklaufs am Olympia-Einkaufszentrum in München zeigt exemplarisch, wie schwierig und langwierig die Anerkennung und das Verständnis für rechten Einzeltäterterrorismus sind. Über drei Jahre nach dem Anschlag dauerte es, bis Behörden, insbesondere das bayerische Innenministerium, die Bedrohung durch sogenannte „Lone Wolves“ überhaupt wahrnahmen – ohne jedoch den Begriff selbst zu verwenden. Dabei ist das Phänomen hochbrisant und steht im Zentrum einer unzureichend geführten Debatte sowohl in der Politik als auch in den zuständigen Behörden. Trotz zahlreicher Indizien und internationaler Verbindungen wurde etwa die Kommunikation des Täters David S. über Online-Plattformen wie Steam oder TeamSpeak nicht ausreichend verfolgt. Die fehlende Kooperation zwischen deutschen Ermittlungsbehörden und internationalen Stellen, insbesondere den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden, offenbart eklatante Mängel im Umgang mit digitalen und transnationalen Radikalisierungsprozessen.

Die Einstufung der Tat als „unpolitische Amoktat“ entsprach lange Zeit einer Fehlinterpretation, die das politische Motiv im Hintergrund weitgehend ignorierte. Der Täter, dessen Herkunft aus dem Iran zunächst mit einem vermeintlichen Widerspruch zwischen seiner „arischen“ Selbstwahrnehmung und fremdenfeindlichen Einstellungen erklärt wurde, widerspricht damit der gängigen Vorstellung, wonach politische oder rechtsextreme Motive klar zugeordnet werden können. Das Beispiel illustriert, wie heterogen und vielschichtig rechte Radikalisierung sein kann und warum vereinfachende Zuschreibungen der Gefahr nicht gerecht werden.

Die These, dass Terroristen keine pathologischen Einzeltäter, sondern ideologisch motivierte Akteure sind, zeigt sich insbesondere in ihrem Bedürfnis, ihre Taten durch Pamphlete, Videos oder Bekennerschreiben zu legitimieren. Diese Täter agieren nicht aus einer psychischen Verwirrung heraus, sondern folgen einem rationalen, wenn auch radikalen und destruktiven Gedankengang. Die historische Analyse, etwa durch Barbara Zehnpfennig, weist darauf hin, dass radikale Ideologien wie im „Mein Kampf“ keine chaotischen Gedankenkonstruktionen, sondern systematisch entwickelte Weltanschauungen darstellen, die in der Praxis gewaltsam umgesetzt werden.

Ein zentrales Problem in der öffentlichen Wahrnehmung ist die psychologische Verdrängung: Terrorakte werden gern als das Werk „kranker“ oder „fremder“ Personen dargestellt, um die schmerzliche Erkenntnis zu vermeiden, dass der Terror im eigenen gesellschaftlichen Umfeld entstehen kann. Diese Verkennung erschwert effektive Prävention und trägt dazu bei, dass rechte Gewalt unterschätzt wird. Rechter Terror lebt von der Idee einer ethnischen Überlegenheit, die mit militanten Mitteln durchgesetzt werden soll, um gesellschaftliche Zeichen zu setzen. Die gesellschaftliche Debatte, die vor allem Flüchtlinge betrifft, spiegelt diese Polarisierung wider und macht die Auseinandersetzung mit dem Thema umso dringlicher.

Die Fälle von Jo Cox in Großbritannien und Luca Traini in Italien verdeutlichen, dass rechte Gewalt kein nationales, sondern ein europaweites und internationales Problem ist. Die Zunahme von Verschwörungstheorien und radikalisierten Einzeltätern zeigt, wie tief gesellschaftliche Spaltungen und politische Entfremdung gehen können. Rechte Einzeltäterterroristen agieren meist isoliert, doch sie sind Teil eines größeren ideologischen und sozialen Gefüges, das sich im Internet und darüber hinaus manifestiert.

Wichtig ist, dass Terrorismus nicht als ein rein psychopathologisches Phänomen verstanden wird, sondern als eine komplexe kulturelle Herausforderung, die das Selbstverständnis moderner Gesellschaften auf die Probe stellt. Einseitige Stigmatisierungen oder vereinfachende Pathologisierungen verhindern eine angemessene Analyse und erschweren den Aufbau wirksamer Gegenstrategien. Es gilt, die vielfältigen Facetten rechter Radikalisierung zu erkennen und den internationalen Charakter digitaler Netzwerke in der Terrorprävention zu berücksichtigen. Nur durch eine umfassende, interdisziplinäre Herangehensweise kann rechter Terrorismus effektiv bekämpft und zukünftige Anschläge verhindert werden.

Wie entsteht ein „Lone Wolf“ – und warum ist er gefährlich?

Die Figur des „Lone Wolf“, also des Einzeltäters mit terroristischem Hintergrund, ist längst mehr als ein romantisiertes Konstrukt des medialen Diskurses. Sie ist Ausdruck eines sich verändernden sicherheitspolitischen Umfelds, in dem individuelle Radikalisierung und ideologische Selbstermächtigung in den Vordergrund treten. Das Bild des einsamen Wolfs, der jenseits institutioneller Strukturen und ohne erkennbare organisatorische Anbindung agiert, erscheint zunächst paradox – denn selbst im Tierreich ist der Wolf ein soziales Wesen. Doch gerade dieser Kontrast unterstreicht die psychologische und gesellschaftliche Isolation, in der sich diese Täter oft befinden.

Die Wehrsportgruppe Hoffmann, eine in den 1980er Jahren verbotene paramilitärische Organisation mit rechtsradikalem Hintergrund, veranschaulicht exemplarisch die strukturelle Macht solcher Gruppierungen. Disziplinierung, Uniformität, Feindbilder – dies alles diente der politischen und physischen Vorbereitung auf einen „Kampf gegen die Demokratie“. Der Staat unterschätzte diese Form der Kaderbildung, da der Fokus in jener Zeit fast ausschließlich auf die linke Bedrohung gerichtet war. Ein historisches Versäumnis, das sich heute in neuer Form wiederholt, wenn islamistischer Terror als Hauptbedrohung dargestellt wird und rechtsextreme Gewalt marginalisiert erscheint.

Das Narrativ des „einsamen Wolfs“ ist besonders perfide, da es mit seiner animalischen Konnotation einen naturalistischen Zugang suggeriert – als handle es sich bei solchen Tätern um unkontrollierbare Ausnahmewesen. Doch Wölfe sind Rudeltiere, keine Einzelgänger. In der realen Welt wird ein Wolf, der allein jagt, meist verstoßen oder ist schwach – und doch bleibt er gefährlich, vor allem für ungeschützte Ziele wie Schafherden. Die Analogie trifft somit: Der „Lone Wolf“ ist kein charismatischer Rebell, sondern ein abgedrängter, verletzter, häufig kranker Akteur, der im Schutz der Anonymität ideologischen Fanatismus kultiviert.

Sein ideologisches Weltbild entsteht selten im luftleeren Raum. Es speist sich aus drei wesentlichen Sphären: erstens aus gesellschaftlich vorhandenen, oft unterschwelligen oder normalisierten Haltungen, zweitens aus medialen Diskursen und Verschwörungstheorien, die über digitale Netzwerke permanent zirkulieren, und drittens aus konkreten Kontakten zu Szenen oder Einzelpersonen, die die gleiche Weltsicht teilen. Die daraus resultierende persönliche Ideologie ist selten systematisch, aber hochgradig emotionalisiert – eine ideologische Skulptur aus Frustration, Ressentiment und Größenphantasien.

Dabei unterscheidet sich der „Lone Wolf“ fundamental vom klassischen politischen Aktivisten. Letzterer bleibt, selbst im Extrem, innerhalb eines Rahmens, der auf kollektiven Bezug, auf Organisationsstrukturen und Öffentlichkeit setzt. Der „Lone Wolf“ hingegen instrumentalisiert Ideologie als persönlichen Verstärker. Der Hass ist kein Mittel, sondern ein Ziel. Ihm geht es nicht um Verhandlung oder Sichtbarkeit, sondern um Vernichtung – legitimiert durch ein individuelles Weltbild, das in sich geschlossen und gegen Korrektur immun ist.

Zentral ist das Konzept des „Triggers“ – eines Auslösers, der das latente Gewaltpotenzial in konkrete Aktion überführt. In der Geschichte linker Gruppen wie der RAF waren solche Ereignisse deutlich benennbar: der Tod Ohnesorgs, das Attentat auf Dutschke. Doch was ist der Trigger für einen isolierten Täter, der sich keinem Kollektiv zugehörig fühlt? Die Forschung spricht hier von subjektiv empfundenen Erniedrigungen, von einem diffusen Gefühl der Entfremdung, von dem Moment, in dem persönliche Kränkungen durch ideologische Rechtfertigung sublimiert werden.

Radikalisierung ist, wie Peter A. Neumann betont, meist ein sozialer Prozess. Auch sogenannte Einzelgänger werden nicht im Vakuum radikal. Freunde, Mentoren, Online-Foren, ideologische Texte – sie alle wirken als Verstärker, als Inkubatoren extremistischer Weltbilder. Die Vorstellung, dass der Terrorist als solitärer Geist handelt, übersieht dabei systematisch den Einfluss kollektiver Narrative, die auch ohne direkte Kontakte wirken.

Der „Violent True Believer“, wie ihn Jens Hoffmann beschreibt, ist kein Racheengel und kein Amokläufer im klassischen Sinn. Sein Ziel ist nicht die emotionale Explosion, sondern die politisch aufgeladene Handlung. Sein Gewaltakt ist rational durchdrungen von einer „höheren“ Mission, deren Legitimität sich aus einer selbstgebauten Realität speist. Gerade deswegen ist der Hinweis auf psychische Instabilität als Hauptmotiv gefährlich verkürzend – auch Wahnsinn kann methodisch sein, wenn er sich ideologisch einbettet.

Wichtig ist, den Unterschied zwischen Terror, Amok und psychotisch motivierter Gewalt klar zu ziehen. Der „Lone Wolf“ handelt nicht aus plötzlicher Raserei. Seine Tat ist vorbereitet, motivisch aufgeladen und symbolisch. Selbst wenn der Täter psychisch instabil ist, bleibt seine Ideologie die Richtschnur seines Handelns – nicht ein Kontrollverlust, sondern ein erschütternder Akt der Selbstermächtigung gegen eine Welt, die ihm feindlich erscheint.

Es ist entscheidend zu erkennen, dass der Begriff „Lone Wolf“ weniger eine empirische Kategorie als ein rhetorisches Konstrukt ist – oft benutzt, um institutionelles Versagen zu kaschieren, ideologische Netzwerke zu relativieren und Täter zu pathologisieren, anstatt sie politisch einzuordnen. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Begriff ist deshalb ebenso notwendig wie eine genauere Analyse der individuellen wie kollektiven Radikalisierungsprozesse, die ihn hervorbringen.

Endtext.

Wie gefährlich sind Einzeltäter im Rechtsextremismus? Eine Analyse des Anders Behring Breivik Falls

Der Fall Anders Behring Breivik hat eine neue Dimension des Einzeltäter-Terrorismus aufgezeigt und bewiesen, wie gefährlich einzelne Täter sein können – vergleichbar mit organisierten Terrorgruppen. Am 22. Juli 2011 verübte Breivik zwei Anschläge in Norwegen: Zunächst sprengte er eine Autobombe im Regierungsviertel Oslo, wenige Stunden später ermordete er als vermeintlicher Polizist verkleidet auf der Insel Utøya gezielt junge Sozialdemokraten. Insgesamt fielen 77 Menschen seinem Angriff zum Opfer, über 200 wurden verletzt. Die Wahl seiner Opfer war dabei höchst gezielt: Junge Menschen mit migrantischem Hintergrund aus einer politischen Jugendorganisation. Anders als bei Amokläufen, die oft impulsiv und chaotisch verlaufen, handelte Breivik kalkuliert, mit einer sorgfältigen Planung über fast ein Jahrzehnt.

Sein politisches Motiv war eindeutig: Breivik propagierte eine rechtsextreme Ideologie, die Europa als von einer „marxistisch-islamischen Verschwörung“ bedroht sieht. In seinem mehr als 1.500 Seiten umfassenden Manifest skizzierte er eine „Reinigungskrieg“-Vorstellung, die Europa vor einem Untergang durch den Einfluss des Islams und des „kulturellen Marxismus“ retten solle. Obwohl seine Argumentation inhaltlich oft wirr und unbeholfen wirkte, verbreitete sich sein Manifest weit und fand Nachahmer, was den „Copycat-Effekt“ unterstreicht. Breivik inszenierte sich als Führungsfigur, obwohl er tatsächlich isoliert war und keine Beweise für eine angebliche organisierte Struktur seiner „Ritter des Tempels“ vorlagen. Die Justiz fand keinerlei Belege für konspirative Treffen oder Unterstützergruppen, was die typische Einsamkeit von Einzeltätern bestätigt.

Der Hintergrund Breiviks offenbart eine lange Geschichte von sozialer Isolation, Misserfolgen und psychischen Auffälligkeiten. Bereits in der Jugend zeigte er auffälliges Verhalten, fehlende Empathie und konfliktreiche Beziehungen, insbesondere zu seiner Mutter, mit der er ein ambivalentes Verhältnis pflegte. Seine ablehnende Haltung gegenüber Frauen und sein Idealbild einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft spiegeln sich in seinem Manifest wider. Trotz mehrfacher gescheiterter Versuche, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen – sei es politisch, beruflich oder sozial – verfolgte er unbeirrt das Ziel, als „Gewinner“ wahrgenommen zu werden. Seine Versuche, sich durch Mitgliedschaften in Parteien oder Organisationen wie den Freimaurern gesellschaftliche Zugehörigkeit zu sichern, scheiterten.

Breiviks Leben war geprägt von einer Mischung aus narzisstischer Selbstüberschätzung und sozialer Entfremdung, kombiniert mit einer extremistischen Ideologie. Seine Terrorakte waren das Resultat einer langjährigen, systematischen Vorbereitung, die finanzielle Mittel, umfangreiche Recherchen und psychische Vorbereitungen umfasste. Er nutzte dabei nicht nur rohe Gewalt, sondern auch psychologische Manipulation, indem er zwischen gezieltem Töten und Verschonen variabler Opfer differenzierte. Sein Anschlag zeigte, dass Einzeltäter mit entsprechender Ideologie, Vorbereitung und Kalkül massiven Schaden anrichten können – mit einer Opferzahl und Wirkung, die mit organisierten Terrorgruppen vergleichbar ist.

Es ist wichtig zu verstehen, dass solche Einzeltäter oft in tiefgreifender sozialer Isolation agieren, die ihre ideologische Radikalisierung begünstigt. Ihre narzisstische Selbstwahrnehmung und der Wunsch nach Anerkennung treiben sie dazu, spektakuläre und grausame Taten zu planen, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Ihre Opferwahl ist selten zufällig, sondern Ausdruck einer selektiven politischen oder ideologischen Feindseligkeit. Der Umgang mit derartigen Tätern erfordert daher eine umfassende Analyse ihrer psychologischen, sozialen und ideologischen Motivationen, um präventiv eingreifen zu können.

Darüber hinaus verdeutlicht der Fall die Gefahr der Verbreitung extremistischer Inhalte über das Internet, insbesondere über Plattformen, auf denen Täter und ihre Ideologien vernetzt werden. Die Radikalisierung findet oft in der Einsamkeit statt, doch durch digitale Medien entsteht eine vermeintliche Gemeinschaft, die die Täter in ihrem Wahn bestärkt. Für den Leser ist es daher zentral, nicht nur die Tat selbst, sondern auch die langfristigen Prozesse der Radikalisierung, der sozialen Isolation und der ideologischen Verbreitung zu begreifen. Nur so kann das Phänomen der Einzeltäter-Terroristen in seiner Komplexität erfasst und gesellschaftlich wirkungsvoll begegnet werden.