Es wurde schnell deutlich, dass er ihr aus dem Weg ging. Kein Wunder also, dass sie in ihrer Enttäuschung und Verwirrung Sir Markhams Annäherungsversuche bereitwillig annahm. Getröstet durch seine Aufmerksamkeit, glaubte sie, sich verliebt zu haben, schickte ihm naiv Liebesbriefe und erkannte seine wahre Natur erst zu spät. Der Klatsch der Gesellschaft sprach Bände. Sie wurde eilig zurück nach Beauchamp Manor gebracht, unter dem Vorwand einer Krankheit, wo man ihr vor Augen führte, wie knapp sie einer gesellschaftlichen Katastrophe entgangen war. Verzweifelt schrieb sie und flehte ihn an, zurückzukehren oder ihre Briefe zu vernichten – vergeblich. Welchen Grund er auch immer hatte, die Briefe zu behalten, es war sicherlich kein ehrenhafter.

„So, Nelson,“ sagte sie und strich sanft über seine seidigen Ohren, während er auf ihrem Schoß im Laubengang saß. „Deine Herrin war eine sehr törichte Dame.“ Seltsamerweise war es James gewesen, der sie zuerst hatte warnen wollen, doch er war zu diesem Zeitpunkt betrunken, und da sie ihm Vorwürfe machte, weil er seit ihrer Ankunft kein Interesse zeigte, hatte sie seine Worte abgetan und ihn öffentlich gekränkt. All das schien nun wie ein fernes Leben. Sie und James hatten kaum Kontakt gehabt, bis zu jener Ballnacht. Warum gerade sie an diesem Abend seine Aufmerksamkeit auf sich zog, blieb rätselhaft.

Vielleicht lag der Schlüssel in London. Was zog ihn dorthin? War es das Glücksspiel, die Trinklokale, das halbseidene Milieu oder eine bestimmte junge Erbin? James hatte ungewöhnlicherweise gesagt, er wünsche sich, sie sollten einander besser kennenlernen. Vielleicht war jetzt die Zeit dafür.

Der Butler, der die Tür von Nummer 84 in der Berkeley Square öffnete, zeigte einen Hauch von Überraschung, ließ sich aber schnell nichts anmerken. Clara stand ihm gegenüber und bemühte sich um eine eindrucksvolle Haltung. Die Anwesenheit ihrer Mutter hinter ihr, die lächelnd die jüngeren Kinder hielt, gab ihr die nötige Stärke. Sie hatte keine Nachricht vorausgeschickt, aus Angst, James könnte sie vom Kommen abhalten.

„Bitte benachrichtigen Sie Viscount Eden“, sagte sie dem Butler, „dass seine Frau, Lady Clara, mit ihrer Schwiegermutter, Lady DeVine von Beauchamp Manor, Miss Phoebe und Master William eingetroffen ist.“ Bei diesen Worten wurde der Butler freundlicher, verbeugte sich und öffnete die Tür vollständig. „Willkommen zu Hause, Lady Clara.“ So überschritt sie die Schwelle.

Man führte sie in ein großzügiges Wohnzimmer mit edler Einrichtung und prächtigen Wandbehängen. Der Butler Steadman und die Haushälterin Mrs Farleigh stellten das Personal in der Halle auf, um sich vorzustellen. In den Gesichtern der jüngeren Diener sah Clara Neugier und den Wunsch, Sir James‘ junge Frau kennenzulernen.

Nachdem sie ihre Mutter in den zugewiesenen Räumen untergebracht hatte, ging Clara, um die Pferde zu versorgen. Die Stallburschen zeigten sich überrascht, sie dort zu sehen, doch ihr Respekt wuchs, als sie sahen, wie sicher sie mit dem nervösen Pferd umging, das in der fremden Umgebung unruhig war.

Zurück im Haus fand Clara Hetty von der neuen Umgebung beeindruckt. Erschöpft von dem ereignisreichen Tag wollten alle früh zu Bett. Doch während Clara sich in ihr luxuriöses Bett fallen ließ, konnte sie nicht sofort einschlafen. Sie starrte in die Dunkelheit und dachte darüber nach, wie James wohl auf ihren unerwarteten Besuch reagieren würde. Der Schlaf war unruhig.

Am nächsten Morgen wollten Phoebe und William die Hauptstadt erkunden, doch Clara blieb zurück, um sich einer ganz anderen Aufgabe zu widmen. Madame Theresa de Chantal, eine Frau mit exquisitem Ruf, empfing sie in ihrem exklusiven Salon in der Albemarle Street. Clara enthüllte ihr Gesicht und sagte: „Lady Clara Eden. Ich möchte, dass Sie mich begehrenswert machen.“ Madame, die für ihre Klientel von Herzoginnen bis zu Adelsmätressen bekannt war, nickte wissend. „Sie sind hier richtig. Ich kann Sie zur begehrtesten Frau Londons machen. Schade, dass Sie erst spät in der Saison kommen, aber wir werden unser Bestes geben.“

Doch es waren nicht die Künste von Madame, die die gewünschte Wirkung erzielten, sondern ein Ereignis wenige Tage später in Hyde Park.

Sir James hatte sich inzwischen mit Claras Besuch abgefunden und versprach, sie bei einem Ausritt auf der Rotten Row zu begleiten – dem gesellschaftlichen Höhepunkt des Tages. Es war das erste Mal, dass sie gemeinsam öffentlich auftraten und zog große Aufmerksamkeit auf sich, nicht zuletzt wegen des feinen Rappens, den Clara ritt. Sie warf James einen triumphierenden Blick zu, als sie sah, wie die Damen, die sie zuvor abwertend betrachtet hatten, nun eifrig um ihre Bekanntschaft warben. Obwohl Clara wusste, dass dies oberflächlich war, fühlte sie sich bestätigt.

Ein Mann, der sich als Bekannter von James ausgab, hielt neben ihnen an und bat um eine Vorstellung. Nach den Höflichkeiten schwärmte er leidenschaftlich vom Pferd und stellte Fragen an Clara und James, die Clara souverän beantwortete. Mit der kühnen Bemerkung, dass er sich melden würde, falls sie „Princess“ verkaufen wolle, galoppierte er davon.

James kommentierte trocken den „unverschämten Kerl“. Clara fragte ihn lachend, ob sie sich gut geschlagen habe. Seine Antwort blieb kühl.

Ein Wagen der Duchess of Rosendale hielt neben ihnen. Die Herzogin, obgleich nun höflich, musterte Clara kühl und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Pferd. „Sind Sie sicher, dass Sie das Tier beherrschen, Lady Eden?“ fragte sie mit spitzem Unterton. Das Pferd war unruhig wegen der Nähe der Herzogin. Clara erwiderte, dass das Tier nur an den Londoner Verkehr gewöhnt werden müsse. Die Herzogin äußerte ihre Missbilligung, dass ein solch „ungeeignetes“ Tier von einer jungen Dame geritten werde, und machte abfällige Bemerkungen über ihre eigene Familie.

Sir James ließ sich nicht provozieren, und der Wagen fuhr weiter, als die Herzogin ihren Sohn sah, der eine andere Dame chauffierte. Der Viscount wirkte verlegen über die Begegnung.

Die Geschichte zeigt eindrücklich, wie gesellschaftliche Erwartungen und persönliche Entscheidungen untrennbar miteinander verwoben sind. Die Protagonistin kämpft gegen die Zwänge ihrer Zeit, während sie versucht, eigene Wege zu finden und Anerkennung zu gewinnen. Die sozialen Zwänge sind nicht nur durch äußere Umstände präsent, sondern manifestieren sich auch in den subtilen Machtspielen und in der Bedeutung von Reputation und öffentlicher Wahrnehmung.

Für das Verständnis des Lesers ist es wichtig zu erkennen, dass gesellschaftliche Normen und persönliches Verhalten in dieser Epoche oft untrennbar verbunden waren und viele Entscheidungen – besonders von Frauen – stark durch diese Normen beeinflusst wurden. Die Konflikte, die sich daraus ergeben, sind sowohl innerlich als auch äußerlich spürbar und betreffen nicht nur einzelne Figuren, sondern spiegeln größere gesellschaftliche Dynamiken wider. Die Beziehung zwischen individueller Freiheit und sozialer Erwartung ist ein zentrales Motiv, das sich durch die gesamte Erzählung zieht und das Denken und Handeln der Figuren prägt.

Wie beeinflussen gesellschaftliche Zwänge und persönliche Gefühle die Entscheidung zur Ehe?

Die Begegnung zwischen Clara und Sir James offenbart ein Spannungsfeld, das viele historische und gesellschaftliche Facetten der Ehe reflektiert. Sir James' unerwartetes Heiratsangebot, das er mit der pragmatischen Haltung eines Bündnisses begründet, widerspiegelt die damals häufig vorherrschende Auffassung von Ehe als strategisches Arrangement. Die persönlichen Gefühle werden dabei zugunsten von Familienehre, gesellschaftlicher Stellung und finanziellen Interessen oftmals hintangestellt.

Claras anfängliche Ablehnung zeigt die Kluft zwischen individuellen Wünschen und gesellschaftlichen Erwartungen. Ihre Verachtung für James’ Lebensweise und seine Reputation steht im Gegensatz zu der Tatsache, dass sowohl ihre Eltern als auch die von James eine solche Verbindung befürworten. Dies illustriert, wie Eltern und Verwandte als Vermittler und Entscheidungsinstanzen im Kontext von Eheschließungen fungierten, was den Druck auf die jungen Menschen erheblich erhöhte.

Die Erwähnung einer Verlobung von Geburt an – ein „gothischer“ Begriff, den Clara ablehnt – verweist auf ein tief verwurzeltes System von dynastischen Allianzen, das oft die persönlichen Wünsche der Betroffenen überdeckte. James’ ambivalente Haltung dazu unterstreicht, wie sich die Figuren zwischen Tradition und dem Wunsch nach persönlicher Freiheit bewegen. Seine Erklärung, die Ehe als „rein zweckmäßig“ zu betrachten, offenbart eine resignative Akzeptanz der sozialen Realitäten, die jedoch von einer unterschwelligen Rebellion gegen diese Normen begleitet wird.

Der innere Konflikt, den beide Figuren durchleben, spiegelt sich auch in ihrer gegenseitigen Einschätzung wider: Clara erkennt, dass ihr Interesse an James eher von pragmatischen Erwägungen als von Liebe geprägt ist, während James sich enttäuscht darüber zeigt, dass auch sie sich von gesellschaftlichen Erwartungen leiten lässt und nicht von romantischer Zuneigung. Dieses Wechselspiel aus Hoffnung, Pflicht und persönlicher Enttäuschung offenbart die komplexen emotionalen und sozialen Dynamiken, die hinter einer Eheschließung in solchen Kreisen stehen.

Wichtig ist auch die Rolle von Gesundheit und Verantwortung: James' Sorge um den kranken Vater und die daraus resultierende Pflichtbewusstheit gegenüber der Familie sind zentrale Motive, die sein Verhalten beeinflussen. Die Angst vor dem finanziellen Ruin und der Verlust von Ansehen wirken als starke Triebfedern, die individuelle Wünsche und Träume in den Hintergrund drängen.

Das Gespräch legt zudem offen, wie die Macht der gesellschaftlichen Konventionen die Entscheidungsprozesse diktiert, während zugleich individuelle Identitäten und Ambitionen auf dem Spiel stehen. Das Ringen um Selbstbestimmung innerhalb eines festgefügten sozialen Rahmens wird so zu einem Schlüsselthema, das sich durch die gesamte Handlung zieht.

Neben der rein narrativen Dimension verdeutlicht der Text auch subtile psychologische Einsichten: Die Maskerade der Gleichgültigkeit und die verborgenen Hoffnungen zeigen, wie Menschen mit widersprüchlichen Gefühlen umgehen, wenn sie gezwungen sind, pragmatische Entscheidungen zu treffen. Die Spannung zwischen öffentlichem Pflichtgefühl und privater Sehnsucht wird als unausweichliche Last dargestellt, die nicht nur das Individuum, sondern auch die familiären Beziehungen prägt.

Darüber hinaus ist es wichtig, die historische und kulturelle Einbettung solcher Eheschließungen zu verstehen. Die Ehe diente nicht nur der persönlichen Verbindung, sondern war ein soziales Instrument, um Macht, Vermögen und Einfluss zu sichern. Diese Aspekte formen das Verhalten der Figuren und bieten Einblick in die damaligen sozialen Strukturen und deren Auswirkungen auf individuelle Lebenswege.

Endtext