Das Recht, Grenzen zu überschreiten, kann auf verschiedene Weise verstanden werden, insbesondere als negative oder positive Rechte. Ein negatives Recht auf Migration schützt davor, dass jemand durch Zwang oder staatliche Gewalt daran gehindert wird, eine Grenze zu überschreiten. Es geht hier um Immunität gegenüber äußeren Eingriffen in die Bewegungsfreiheit. Dieses Verständnis ähnelt anderen fundamentalen Freiheitsrechten, etwa dem Recht auf freie Meinungsäußerung, das den Staat daran hindert, Pressefreiheit gewaltsam zu unterbinden, ohne jedoch zu garantieren, dass jede Meinung veröffentlicht wird. Ebenso gewährleistet das Recht auf einen Anwalt im Zivilprozess nur, dass der Staat nicht in die Wahl eines Anwalts eingreift, nicht jedoch, dass jeder Mandant zwangsläufig einen Anwalt erhält.

Ein positives Recht auf Migration hingegen fordert, dass ein Staat oder eine andere Institution aktiv handelt, um die Ausübung dieses Rechts zu ermöglichen. Dies könnte bedeuten, dass Migranten Unterstützung erhalten, etwa durch Bereitstellung von Transportmitteln oder durch Eingriffe gegen diejenigen, die Migration verhindern wollen. Analog dazu erhält ein Angeklagter in einem Strafverfahren in den USA einen Pflichtverteidiger, falls er sich keinen Anwalt leisten kann – ein positiver Anspruch auf Unterstützung.

Diese Unterscheidung ist moralisch bedeutsam, denn ein negativer Anspruch begründet vor allem die Pflicht, nicht zu schaden oder nicht zu behindern, während ein positiver Anspruch einen aktiven Unterstützungszwang mit sich bringt. Thomas Pogge argumentiert überzeugend, dass wir global eher eine negative Pflicht verletzen, indem wir Armut verursachen oder verschärfen, als eine positive Pflicht zur Hilfe nicht erfüllen. Das schärfere moralische Gewicht liegt auf der Vermeidung von Schaden gegenüber der Verpflichtung zur Hilfeleistung. Übertragen auf Migration bedeutet dies, dass es moralisch schwerer wiegt, jemandem aktiv die Grenze zu verwehren oder ihn zu bedrohen, als ihm die Mittel zur Überquerung bereitzustellen.

Eine politische Konsequenz dieser Sichtweise zeigt sich bei Maßnahmen wie Carrier-Sanktionen, die Fluggesellschaften und Schiffe finanziell bestrafen, wenn sie Personen ohne gültige Einreiseerlaubnis transportieren. Obwohl die Sanktionen formal nicht unmittelbar die Migranten zwingen, sind sie es doch, die faktisch an der Migration gehindert werden, weil die Kosten steigen und die Risiken durch Schlepper zunehmen. Diese sekundären Effekte führen dazu, dass Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, teils unverhältnismäßig hohe Risiken auf sich nehmen müssen, um europäischen Boden zu erreichen. Die Politik, die darauf abzielt, die Zahl der Asylsuchenden zu reduzieren, berührt damit auch die Rechte der Migranten, insbesondere ihr negatives Recht auf Bewegungsfreiheit.

Dabei ist es wichtig zu betonen, dass der Staat in dieser Perspektive vor allem zur Unterlassung gezwungen ist: Er darf Migration nicht willkürlich oder gewaltsam verhindern. Gleichzeitig besteht keine moralische Verpflichtung, allen Migranten aktiv eine Reise oder Aufnahme zu ermöglichen. Dennoch wird der Staat als maßgeblicher Akteur gesehen, der durch seine Handlungen oder Unterlassungen erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Migration hat und somit für die Folgen politischer Maßnahmen verantwortlich gemacht werden kann.

Neben der juristischen und ethischen Differenzierung zwischen positiven und negativen Rechten ist es für das Verständnis der Migrationsproblematik entscheidend, die praktischen Folgen dieser Rechte zu berücksichtigen. Die Beschränkung von Migrationsmöglichkeiten durch Sanktionen oder Grenzkontrollen führt nicht selten zu einer Verlagerung in gefährlichere und unregulierte Kanäle, was humanitäre Probleme verschärft. Daraus folgt, dass die Achtung des negativen Rechts auf Migration nicht nur ein abstraktes Freiheitsprinzip ist, sondern konkrete Schutzmaßnahmen erfordert, die den Schutz der Menschenwürde gewährleisten.

Ferner muss erkannt werden, dass das Recht auf Migration nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern eingebettet ist in ein komplexes Geflecht von nationalen Souveränitätsansprüchen, internationalen Menschenrechten und globaler Gerechtigkeit. Die moralische Verpflichtung, Migration nicht zu verhindern, kollidiert mit legitimen staatlichen Interessen an Grenzsicherung, öffentlicher Ordnung und sozialer Stabilität. Eine differenzierte Betrachtung dieser Spannungsfelder zeigt, dass die Abwägung zwischen negativen und positiven Rechten stets auch eine Abwägung der Konsequenzen politischer Maßnahmen sein muss.

Die Reflexion über die Natur der Rechte auf Migration wirft somit grundlegende Fragen auf: Wie weit reicht die Verantwortung von Staaten gegenüber Migranten? Welche Formen der Unterstützung können und sollen moralisch gefordert werden? Und wie kann ein rechtlicher Rahmen gestaltet sein, der die Freiheit der Bewegung schützt, ohne die staatliche Souveränität zu untergraben? Diese Fragen sind zentral für eine menschenwürdige, gerechte und realistische Migrationspolitik im 21. Jahrhundert.

Sind Sanktionen gegen Transportunternehmen eine versteckte Form der Grenzgewalt?

Die Sanktionen gegen Transportunternehmen, sogenannte carrier sanctions, stellen eine weitgehend übersehene, aber tiefgreifend bedeutende Praxis dar. Diese Maßnahmen, mit denen Staaten kommerzielle Akteure wie Fluggesellschaften oder Fähranbieter verpflichten, keine Passagiere ohne gültige Einreisedokumente zu transportieren, fungieren faktisch als eine Externalisierung staatlicher Grenzpolitik. Dabei wird der Akt der Abweisung nicht direkt vom Staat ausgeübt, sondern an private Akteure delegiert, die unter wirtschaftlichem Druck handeln – eine Form von versteckter Zwangsausübung, die moralisch kaum vom physischen Zurückdrängen an der Grenze zu unterscheiden ist.

Im Jahr 1990 weigerten sich vier große europäische Fluggesellschaften – Lufthansa, Swissair, Iberia und Alitalia – zunächst, die von der britischen Regierung verhängten Bußgelder zu zahlen. Sie argumentierten, man verlange von ihnen, als Grenzbeamte zu agieren. Die Antwort des britischen Innenministeriums war eindeutig: Wer nicht zahlt, dem droht der Entzug der Landerechte. Es handelt sich hier nicht um ein freiwilliges Arrangement, sondern um ökonomisch erzwungene Kooperation. Der Zwang bleibt bestehen, nur die Zielrichtung scheint verschleiert – nicht mehr die Migrantin wird direkt bedroht, sondern die Fluggesellschaft, welche gezwungen wird, die Migrantin auszuschließen. Das Resultat bleibt identisch: die Verhinderung der Migration durch Zwang.

Wenn wir anerkennen, dass diese Form der indirekten Exklusion im Ergebnis dieselbe Wirkung hat wie eine direkte Zurückweisung an der Grenze, dann erscheint es willkürlich, sie moralisch unterschiedlich zu bewerten. In beiden Fällen ist es die Migrantin selbst, die letztlich von einem ihr möglicherweise zustehenden Recht auf Migration abgehalten wird. Der Unterschied besteht nur in der Form der Ausführung – nicht im moralischen Gehalt der Handlung. Wird einer Person durch Drohung mit Gewalt der Grenzübertritt verwehrt, ist dies ebenso eine Verletzung eines negativen Rechts auf Bewegung wie die Weigerung eines Transportunternehmens, sie überhaupt an Bord zu lassen, weil es sonst selbst sanktioniert wird.

Allerdings existiert auch eine abweichende Sichtweise. Diese interpretiert die Sanktionen nicht als Zwang gegenüber der Migrantin, sondern lediglich gegenüber dem Unternehmen. Die Migrantin erfährt hier keine direkte Drohung; ihr wird lediglich ein Mittel entzogen – das Transportmittel. Damit verletzt der Staat nicht notwendigerweise ein negatives Recht, sondern möglicherweise ein positives: das Recht, nicht nur unbehelligt reisen zu dürfen, sondern auch unterstützt zu werden, um das Ziel erreichen zu können. Wird ein Fährdienst zwischen Bodrum und Kos eingestellt, etwa weil er unrentabel geworden ist, so gilt das gemeinhin nicht als Zwang gegenüber jenen, die diese Verbindung nutzen wollten. Der Anbieter hatte keine Verpflichtung, diese Verbindung aufrechtzuerhalten.

Doch diese Unterscheidung wird fraglich, wenn der Staat die wirtschaftlichen Bedingungen so verändert, dass der Transport nur noch unter Verlust möglich wäre – etwa durch Strafzahlungen an Transportunternehmen für das Befördern unerwünschter Personen. Hier verlagert sich der Zwang vom Individuum auf die Struktur: Der Staat erschafft Bedingungen, unter denen Mobilität faktisch unmöglich wird. Die Sanktionen sind zwar formal gegen das Unternehmen gerichtet, aber sie entfalten eine transitive Wirkung gegenüber den Migrantinnen und Migranten, denen dadurch der Zugang zum Schutzsystem verwehrt bleibt.

Die moralische Bewertung dieser Konstellationen hängt maßgeblich davon ab, wie wir das Recht auf Migration verstehen. Wird es als reines Abwehrrecht gegen Zwang interpretiert – als negatives Recht –, so verletzt der Staat es nur dann, wenn er selbst aktiv Gewalt oder Drohung einsetzt. Wird es jedoch als positives Recht verstanden, als Anspruch auf Zugang zu einem Schutzraum, dann ergibt sich daraus eine Verpflichtung anderer Akteure – Staaten oder Transportunternehmen –, konkrete Hilfe zu leisten oder zumindest keine systematischen Hindernisse zu errichten.

Diese Überlegung ist zentral für die Unterscheidung zwischen coercive interference und bloßem withholding of means. Nicht jede Erschwernis ist gleichbedeutend mit Zwang. Eine Mauer kann unüberwindbar sein, ohne dass sie selbst eine Drohung darstellt. Doch wenn die Mauer nicht nur gebaut, sondern zusätzlich mit einer bewaffneten Patrouille versehen wird, ändert sich die moralische Lage grundlegend. Der Übergang vom Erschweren zur aktiven Verhinderung durch Zwang markiert eine relevante ethische Schwelle.

Diese Differenzierung verdeutlicht die Notwendigkeit, bei der Bewertung migrationspolitischer Maßnahmen sensibel für die Form und Zielrichtung der Zwangsausübung zu bleiben. Wer Zwang ausübt, trägt die Verantwortung für die Rechtfertigung dieses Zwanges – nicht gegenüber einem abstrakten Kollektiv, sondern gegenüber genau jenen, gegen die sich der Zwang richtet. Wenn Migrantinnen ein negatives Recht auf Grenzübertritt haben, dürfen sie nicht mit Gewalt davon abgehalten werden. Haben sie ein positives Recht, dann genügt es nicht, sie bloß nicht zu behindern – dann müssen ihnen aktive Wege eröffnet werden.

Was diese Analyse schließlich verdeutlicht, ist die Notwendigkeit, die moralische Trennlinie zwischen direkter und indirekter Gewalt nicht vorschnell zu ziehen. Die faktische Wirkung für die Betroffenen zählt ebenso wie die Intention des Staates. Die Externalisierung des Grenzregimes durch ökonomischen Druck auf Dritte stellt keine moralische Entlastung dar. Vielmehr ist sie ein Instrument zur Verschleierung von Verantwortung – und damit ein ethisch umso fragwürdigeres Mittel staatlicher Migrationspolitik.

Wichtig ist dabei zu verstehen, dass die Diskussion um die moralische Qualität von carrier sanctions nicht lediglich eine juristisch-technische Frage ist, sondern tief in die Grundfragen politischer Ethik eingreift: Wer trägt Verantwortung für die Sicherung fundamentaler Rechte? Können Rechte ohne garantierte Zugangsmöglichkeiten überhaupt als Rechte gelten? Und in welcher Weise sind Staaten verpflichtet, nicht nur ihre Grenzen zu kontrollieren, sondern zugleich ihrer globalen Verantwortung für den Schutz von Menschen auf der Flucht gerecht zu werden?