Die teilweise Deregulierung der Sparkassen und Bausparkassen in den USA ab 1980 schuf eine paradoxale Situation, die letztlich die Finanzkrise der Branche auslöste. Während die Zinssatzbeschränkungen für Einlagen aufgehoben wurden, um die Institute im Wettbewerb zu stärken, erhöhte dies deren Zinsaufwendungen erheblich, ohne dass die Zinserträge im gleichen Maße stiegen. Dies lag daran, dass der Großteil der Vermögenswerte der Sparkassen aus langfristigen Festzins-Hypotheken bestand, die zu Zeiten niedriger Zinsen vergeben worden waren und deren Zinszahlungen festgeschrieben blieben. Somit erhielten die Institute weiterhin Zinsen aus älteren, niedrig verzinsten Krediten, mussten aber gleichzeitig höhere Zinsen für neu angelegte Einlagen zahlen. Die daraus resultierende Verengung der Nettozinsmarge reduzierte die Profitabilität dramatisch und führte zu erheblichen Verlusten.

Ein wichtiger Punkt war, dass die Sparkassen ursprünglich keine variabel verzinsten Hypotheken anbieten durften, die sich an den aktuellen Marktzinsen orientierten. Obwohl die Gesetzgebung 1980 dies erlaubte, war es zu spät: Die bestehenden Hypotheken dominierten weiterhin die Bilanz und verhinderten eine schnelle Anpassung der Zinserträge an die gestiegenen Zinskosten.

Um die Krise zu bewältigen, reagierten Kongress und Regulierungsbehörden mit bedeutenden Gesetzen, insbesondere dem Depository Institutions Deregulation and Monetary Control Act von 1980 und dem Garn-St. Germain Depository Institutions Act von 1982. Diese Gesetze erweiterten die Geschäftsfelder der Sparkassen erheblich, erlaubten Investitionen in Konsumentenkredite, gewerbliche Immobilien und sogar in riskantere Junk Bonds. Außerdem wurde eine Politik der regulatorischen Nachsicht (forbearance) eingeführt, die eine striktere Einhaltung der Regeln vermied und teilweise sogar bilanzielle Tricks erlaubte, um die Institute solvent erscheinen zu lassen.

Diese Liberalisierung führte jedoch zu einer riskanten Ausdehnung der Kreditvergabe, insbesondere im Bereich der kommerziellen Immobilien, und zu einer verstärkten Verschuldung in wirtschaftlich volatilen Regionen wie Texas und Kalifornien. Der Zusammenbruch der Ölpreise Anfang der 1980er Jahre traf diese Regionen hart, löste Immobilienkrisen aus und ließ viele Sparkassen insolvent werden. Die zuvor erlaubte Risikoverlagerung und die schwindende Finanzkraft der Sicherungsfonds verschärften die Situation zusätzlich.

Wichtig ist zu verstehen, dass die Krise nicht allein durch die Zinssatzdifferenz verursacht wurde, sondern durch die Kombination aus deregulierten Geschäftsmodellen, unzureichender Risikokontrolle und der strukturellen Unfähigkeit, die Bilanz rasch an veränderte Marktbedingungen anzupassen. Die politischen Maßnahmen, die die Sparkassen mit immer mehr Freiheit ausstatteten, wurden begleitet von einer systematischen Tolerierung von Insolvenzen und bilanziellen Verzerrungen, was das Vertrauen in die Branche weiter untergrub.

Es ist entscheidend, die langfristige Natur der festverzinslichen Hypotheken und den daraus resultierenden „Mismatch“ zwischen den kurzfristigen, flexiblen Einlagen und den langfristigen, unveränderlichen Aktiva zu begreifen. Diese strukturelle Fehlanpassung ist eine zentrale Ursache der finanziellen Instabilität. Zudem offenbart die Geschichte, wie politische Eingriffe und regulatorische Nachsicht in Krisenzeiten zwar kurzfristig Erleichterung schaffen können, langfristig aber Risiken akkumulieren, die die Krise verschärfen. Die Sparkassenkrise zeigt exemplarisch, wie Deregulierung ohne ausreichende Kontrolle und ohne adäquate Anpassung der Geschäftsmodelle zu systemischen Finanzproblemen führen kann.

Warum versagten VaR-Modelle in der Finanzkrise – und was der Fall „London Whale“ darüber verrät

Value-at-Risk (VaR) galt lange Zeit als zuverlässiges Instrument des Risikomanagements. Doch als die Finanzmärkte 2008 kollabierten, versagten die Modelle spektakulär – und offenbarten nicht nur technische, sondern auch strukturelle Schwächen im Umgang mit Risiko. Der Glaube an die Präzision quantitativer Modelle führte zu fataler Selbstüberschätzung und in der Folge zu milliardenschweren Verlusten.

Ein zentrales Problem lag in der Beschaffenheit der Daten, mit denen die Modelle arbeiteten. Üblicherweise basiert ein VaR-Modell für tägliche Renditen auf etwa zwei Jahren historischer Daten. In den Jahren vor der Krise war der Markt jedoch außergewöhnlich stabil und durch anhaltend hohe Renditen geprägt. Es gab nur wenige schlechte Tage, und so verschoben sich die geschätzten Verteilungen nach rechts – weg von Verlusten hin zu Gewinnen. Die berechneten VaR-Werte näherten sich dem Nullpunkt an und suggerierten eine immer geringere Verlustwahrscheinlichkeit. Die Modelle unterschätzten die Möglichkeit starker Kursverluste fundamental.

Als sich Ende 2008 die Realität schlagartig änderte, sprangen die Renditeverteilungen vieler Vermögenswerte plötzlich massiv nach links. Die realisierten Verluste waren deutlich höher als prognostiziert. Doch nicht nur die Datenbasis, sondern auch die Struktur der Portfolios und die Annahmen über Korrelationen trugen entscheidend zum Versagen der Modelle bei.

In komplexen Portfolios, die Dutzende oder Hunderte verschiedener Finanzinstrumente enthalten, hängt die Risikobewertung entscheidend von der Korrelation zwischen den einzelnen Positionen ab. Solange diese Korrelationen gering sind, profitieren Investoren von Diversifikation – das Risiko wird verteilt, der VaR reduziert sich. Doch genau diese Korrelationen, die in den Modellen als stabil angenommen wurden, erwiesen sich in der Krise als extrem volatil. Als die Märkte einbrachen, bewegten sich plötzlich alle Anlageklassen synchron: Die Korrelationen strebten gegen eins, die Diversifikationseffekte verschwanden, und der tatsächliche VaR stieg sprunghaft an. Die Modelle, die auf historischen Korrelationen basierten, waren blind für diese plötzliche Konvergenz.

Inmitten dieses fundamentalen Modellversagens kam es zu Panikreaktionen an den Märkten. Händler verkauften in Eile ihre Positionen, Liquidität verschwand, und die Kurse fielen weiter. Die Überbewertung der Modellgenauigkeit hatte nicht nur zur Unterschätzung der Risiken geführt, sondern auch zur Fehleinschätzung der eigenen Handlungsfähigkeit im Ernstfall. VaR war zu einem Scheinanker geworden – trügerisch stabil in ruhigen Zeiten, katastrophal irreführend in der Krise.

Ein besonders aufschlussreicher Fall im Kontext der VaR-Problematik war der sogenannte „London Whale“. Ironischerweise betraf der Skandal ausgerechnet JPMorgan Chase – jenes Institut, das maßgeblich zur Entwicklung des VaR beigetragen hatte. Zwischen 2011 und 2012 baute ein Londoner Händler, Bruno Iksil, riesige Positionen in Credit Default Swaps (CDS) auf. CDS sind Derivate, die eine Art Versicherung gegen den Ausfall von Anleihen darstellen. Ursprünglich als Absicherungsinstrument konzipiert, wurden sie längst zu spekulativen Vehikeln umfunktioniert, mit denen kurzfristige Wetten auf wahrgenommene Kreditrisiken eingegangen werden konnten.

Iksil und sein Team im Bereich Structured Credit Portfolio (SCP) von JPMorgan glaubten, dass CDS auf europäische Unternehmen unterbewertet waren. Sie begannen massiv zu kaufen – zunächst im Rahmen der von der Konzernleitung gesetzten VaR-Grenzen von 50 Millionen Dollar pro Tag. Doch innerhalb eines Jahres vervielfachte sich das Engagement des SCP – bis zu einer Absicherungssumme von 50 Milliarden Dollar.

Besonders auffällig war Iksils Strategie, auf sogenannte Tranche-CDS zu setzen – Verträge, die Zahlungen auslösen, wenn innerhalb eines definierten Portfolios von zehn Unternehmen mindestens zwei ausfallen. Nach einem zunächst verlustreichen Engagement kehrte sich das Blatt schlagartig, als American Airlines überraschend Insolvenz anmeldete – das Geschäft wurde mit 400 Millionen Dollar Gewinn beendet.

Ermutigt durch diesen Erfolg, versuchte Iksil, seine Positionen weiter auszubauen. Doch die bestehenden VaR-Grenzen wurden nun zum Hindernis. Das SCP hatte bereits Ende 2011 eine tägliche VaR von 95 Millionen Dollar erreicht – mehr als der erlaubte Grenzwert für den gesamten Konzern. Anstatt die Strategie zu überdenken, ließ Iksil ein neues VaR-Modell entwickeln – eines, das den Risiken seiner Strategie freundlicher gesinnt war. So wurde die Berechnung des Risikos manipuliert, um mehr Spielraum für spekulative Positionen zu schaffen.

Dieses Verhalten offenbarte eine tieferliegende Schwäche: Die Illusion von Kontrolle durch Modelle kann zur bewussten Umgehung von Risikobegrenzungen führen. Die formale Existenz eines Risikomanagementsystems bedeutet nicht zwangsläufig, dass Risiken effektiv kontrolliert werden. Wenn Anreizsysteme, interne Machtverhältnisse und persönliche Überzeugungen stärker wirken als die Warnsignale der Modelle, dann werden selbst komplexeste quantitative Systeme zur Fassade.

Was in beiden Fällen – der Finanzkrise 2008 und der London-Whale-Affäre – sichtbar wurde, ist nicht nur ein Versagen der Technik, sondern ein Versagen im Verständnis von Unsicherheit. Die Annahme, dass vergangene Stabilität ein valider Indikator für zukünftige Sicherheit sei, hat sich als trügerisch erwiesen. VaR-Modelle beruhen auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die in ruhigen Marktphasen geschätzt wurden – sie sagen nichts über die Dynamik fundamentaler Brüche im System aus. Der Glaube an vermeintlich robuste Risikometriken führte zu systematischer Fehleinschätzung und verschärfte die Krise, anstatt sie zu entschärfen.

Entscheidend ist, dass der Leser versteht: Risikomodellierung kann gefährlich sein, wenn sie als präzise Vorhersageinstrumente interpretiert wird. Modelle sind abstrahierte Werkzeuge – nicht mehr und nicht weniger. Ihre Nützlichkeit hängt davon ab, wie bewusst man sich ihrer Annahmen und Grenzen ist. Stabilitätsillusionen, übermäßiges Vertrauen in historische Korrelationen und ein mangelndes Bewusstsein für Regimewechsel in den Märkten führen nicht nur zu schlechten Entscheidungen – sie schaffen systemische Risiken.