Die virtuelle Paartherapie hat nicht nur neue technische Herausforderungen mit sich gebracht, sondern auch die therapeutische Beziehung zwischen Klient:innen und Therapeut:innen grundlegend transformiert. Besonders bedeutsam ist in diesem Zusammenhang das Phänomen der Telepräsenz – das subjektive Empfinden, der andere sei real und gegenwärtig, obwohl die Interaktion rein digital erfolgt. Manche Paare berichten, dass ihnen die emotionale Nähe und das Gefühl von Sicherheit im digitalen Raum fehlen. Sie empfinden die Abwesenheit des Körpers, die fehlende Körpersprache und die räumliche Distanz als Hindernis für den Aufbau einer tragfähigen therapeutischen Allianz.
Gleichzeitig jedoch kann das digitale Setting auch Vorteile bieten. Einige Klient:innen erleben die virtuelle Sitzung wie einen "Hausbesuch", was paradoxerweise ein stärkeres Sicherheitsgefühl vermitteln kann als der formelle Rahmen eines Praxisraums. Die vertraute Umgebung des eigenen Zuhauses erlaubt es ihnen, sich zu öffnen und verletzliche Emotionen zuzulassen, was in einem fremden therapeutischen Raum unter Umständen nicht möglich gewesen wäre. Dabei zeigt sich, dass das Gelingen der Online-Therapie eng mit der Fähigkeit zur Herstellung von Telepräsenz zusammenhängt.
Der Begriff der therapeutischen Grenze erhält im virtuellen Kontext eine neue Dimension. Während einige Paare die klare Struktur des Settings schätzen – den festen Termin, die formale Ansprache, die Distanz zum Alltag – bevorzugen andere durchlässige Grenzen. Diese äußern sich in der Flexibilität, Sitzungen an unterschiedlichen Orten durchzuführen, sich währenddessen zu bewegen oder die Atmosphäre informell zu gestalten. Dadurch wird das therapeutische Setting nicht nur digital, sondern auch situativ rekonfiguriert.
Das Modell des "virtuellen Dritten", das auf Basis dieser Beobachtungen entwickelt wurde, veranschaulicht die vielschichtigen Dynamiken zwischen Paar, Therapeut:in, Technologie und gesellschaftlichem Kontext. Es basiert auf zwei ineinandergreifenden theoretischen Dreiecken: dem sozio-ökologischen Technologieverständnis und den Kernelementen der Online-Paartherapie. Das erste Dreieck integriert soziale Konstruktion, ökologische Systemtheorie und das Technology Acceptance Model. Es verweist darauf, dass Technologie nicht neutral ist, sondern immer in kulturelle, normative und soziale Systeme eingebettet bleibt.
Vor der COVID-19-Pandemie war für viele Paare die Vorstellung, Therapie online durchzuführen, irritierend. Der Mangel an physischer Präsenz ließ die Intervention künstlich erscheinen. Erst durch die Notwendigkeit der Umstellung während der Pandemie wandelte sich die kollektive Wahrnehmung. Therapeut:innen wie Klient:innen entwickelten neue Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien, wobei zentrale Faktoren wie Benutzerfreundlichkeit, Sinnhaftigkeit und ethische Sicherheit zunehmend in den Vordergrund rückten.
Das zweite Dreieck des Modells bezieht sich auf die Kernkomponenten: Telepräsenz, therapeutische Allianz und therapeutische Grenzen. Telepräsenz fungiert hier als Fundament – ohne sie ist es kaum möglich, eine vertrauensvolle Beziehung oder klare therapeutische Rahmenbedingungen aufzubauen. Diese Erkenntnis lässt sich mit philosophischen und psychologischen Konzepten der Präsenz in Beziehung setzen. Levinas verstand die wirkliche Anwesenheit des anderen als Voraussetzung ethischer Begegnung, Rogers betonte die Bedeutung kongruenter Präsenz für die therapeutische Beziehung, und Yalom sah in der authentischen Verbindung den Schlüssel zu Heilung.
Mit dem Wegfall des physischen Raumes in der Online-Therapie wird die symbolische Funktion des Settings umso deutlicher. Licht, Raumgestaltung, Nähe oder Distanz – all das entfällt oder muss digital kompensiert werden. Therapeuten stehen vor der Aufgabe, durch Haltung, Sprache und Online-Präsenz ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit zu erzeugen. Dies verlangt ein hohes Maß an medialer und emotionaler Kompetenz, da digitale Kommunikation ein permanentes Austarieren von Nähe und Distanz erfordert.
Die Online-Therapie ist kein bloßer Ersatz für physische Begegnung, sondern eine eigenständige Form der therapeutischen Arbeit, die neue Räume für Beziehung, Reflexion und Veränderung eröffnet. Doch sie erfordert auch eine kritische Auseinandersetzung mit Fragen von Macht, Sichtbarkeit und Zugang. Denn nicht alle Klient:innen haben die gleichen Voraussetzungen, sich in diesem Format sicher und gesehen zu fühlen.
Wichtig ist zudem, dass die Fähigkeit zur Telepräsenz nicht nur technisch bedingt ist, sondern tief in der subjektiven Erfahrung verankert liegt. Es geht nicht nur darum, eine stabile Internetverbindung herzustellen, sondern um die Frage, ob emotionale Präsenz über den digitalen Kanal erfahrbar gemacht werden kann. Dies setzt voraus, dass Therapeut:innen sich selbst als Teil eines erweiterten, technologievermittelten Raums begreifen und ihre professionelle Rolle entsprechend reflektieren. Die therapeutische Allianz entsteht in diesem Modell nicht trotz der digitalen Distanz, sondern durch eine bewusste Gestaltung des digitalen Zwischenraums.
Wie das Modell der Familientherapie im digitalen Raum funktioniert: Ein systemischer Ansatz für soziale Dienste und Familien
Die Arbeit mit Familien im Kontext sozialer Dienste ist komplex und herausfordernd, insbesondere wenn es darum geht, Unterstützung anzubieten, die sowohl effektiv als auch einfühlsam ist. Ein systemischer Ansatz, wie er in der Familientherapie angewendet wird, hat sich als besonders hilfreich erwiesen, um die Dynamik von Familien zu verstehen und therapeutische Interventionen zu gestalten. Ein solches Modell wurde in einer virtuellen Familientherapieklinik entwickelt, die als Antwort auf die Herausforderungen der Covid-19-Pandemie und der begrenzten physischen Räumlichkeiten innerhalb sozialer Dienste entstand. Seit April 2021 bietet diese Online-Plattform Familien und Fachkräften eine neue Art der Unterstützung an, die auf dem Mailänder Modell der Familientherapie (Selvini Palazzoli et al., 1980) basiert.
Diese virtuelle Klinik verfolgt einen integrativen und flexiblen Ansatz, der auf den Prinzipien der systemischen Therapie beruht. Das Team, bestehend aus Fachleuten aus verschiedenen Bereichen des sozialen Sektors, einschließlich Familientherapeuten und Sozialarbeitern, bringt ein breites Spektrum an Erfahrungen und Perspektiven ein. Dies fördert ein tiefes Verständnis der vielfältigen Bedürfnisse der Familien und ermöglicht es, gezielte therapeutische Interventionen zu entwickeln. Die Mitglieder des Teams bringen nicht nur ihre Fachkompetenz, sondern auch ihre persönlichen Erfahrungen und kulturellen Hintergründe in die Therapiearbeit ein, was eine reflektierte und kritische Auseinandersetzung mit sozialen Unterschieden und Privilegien ermöglicht.
Ein wesentlicher Bestandteil des Modells ist die Verwendung eines "reflektierenden Teams", das während der Sitzungen hinter dem Bildschirm agiert. Dieses Team nutzt Techniken wie Hypothesenbildung, Zirkularität und Neugier, um den therapeutischen Prozess zu unterstützen. Die Sitzungen erfolgen in einem strukturierten, aber flexiblen Format: Nach einer Vorbereitungsphase folgt die Familientherapiesitzung, gefolgt von einer Reflexion des Teams, in der die eingesetzten Methoden und die nächsten Schritte besprochen werden. Diese Struktur ermöglicht es, systemische Perspektiven zu integrieren und gleichzeitig Raum für kreative und anpassungsfähige Lösungen zu lassen.
Ein weiteres zentrales Element des Modells ist die Bedeutung der Transparenz und der offenen Kommunikation, sowohl innerhalb des therapeutischen Teams als auch mit den Familien und den beteiligten Fachkräften. Zu Beginn jeder Sitzung erfolgt eine Einführung, bei der die sozialen Fachkräfte ihre Sichtweisen, Hoffnungen und Ziele teilen können. Dies fördert ein vertrauensvolles Umfeld und stellt sicher, dass alle Beteiligten ein klares Verständnis von den Zielen und Erwartungen der Therapie haben. Diese Offenheit ist besonders wichtig, um eine Grundlage für die Diskussion von Vertraulichkeit zu schaffen. Die Begrenzung der Vertraulichkeit, insbesondere in Fällen mit potenziellen Sicherheitsbedenken oder laufenden Gerichtsverfahren, wird klar kommuniziert. Dies ermöglicht es, ein Gleichgewicht zwischen therapeutischer Sicherheit und der Notwendigkeit, potenziell gefährliche Informationen zu teilen, zu wahren.
Die Bedeutung der Vertraulichkeit und der therapeutischen Grenzen wird in der Arbeit mit Familien, die möglicherweise mit sozialer Unsicherheit oder rechtlichen Herausforderungen konfrontiert sind, noch verstärkt. Für die Familien ist es entscheidend, dass sie verstehen, dass nicht alle Informationen, die während der Therapiesitzungen geteilt werden, an die sozialen Fachkräfte weitergegeben werden, es sei denn, es gibt dringende Sicherheitsbedenken. Gleichzeitig müssen die Sozialarbeiter verstehen, dass therapeutische Gespräche ein gewisses Maß an Vertraulichkeit erfordern, um den Raum für eine offene und sichere Kommunikation zu gewährleisten.
Das Ende der therapeutischen Arbeit mit einer Familie ist ebenso wichtig wie der Beginn. Die Reflexion über das Ende der Therapie sollte nicht unterschätzt werden. Verschiedene Diskurse über das Ende – wie Verlust, Heilung, Übergang, Erleichterung oder Transformation – können das Verständnis und die Erfahrung der Familien beeinflussen. In Kontexten, in denen die Familientherapie als Teil eines sozialen Interventionsplans vorgeschrieben wurde, kann das Ende der Therapie für die Familie als Erleichterung erlebt werden, besonders wenn die therapeutische Arbeit dazu beiträgt, dass die Familie weniger oder keine weitere Unterstützung durch soziale Dienste benötigt.
Die Integration der verschiedenen fachlichen Perspektiven, der systemischen Methoden und der Sensibilität für kulturelle und soziale Unterschiede stärkt nicht nur die Effektivität der Therapie, sondern auch das Vertrauen zwischen Therapeuten, Sozialarbeitern und Familien. Diese dynamische Herangehensweise ermöglicht es, Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten und kreative Lösungen zu entwickeln. Das virtuelle Format, das eine breitere Teilnahme und Flexibilität ermöglicht, trägt zur Erreichbarkeit und Effektivität bei, indem es die physische Distanz überwindet und mehr Fachkräfte in den Prozess einbezieht.
Das Modell der Familientherapie, das in dieser virtuellen Klinik angewendet wird, zeigt, wie sich der Bereich der sozialen Arbeit und der psychotherapeutischen Interventionen weiterentwickeln kann. Es hebt hervor, wie wichtig es ist, Vielfalt nicht nur in den Teams zu fördern, sondern auch diese Diversität in die therapeutische Arbeit einzubeziehen, um eine tiefere Verbindung und ein besseres Verständnis für die Familien zu ermöglichen. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Aufbau von Vertrauen und die klare Kommunikation von Grenzen in der therapeutischen Beziehung entscheidend sind, um die Sicherheit und das Wohl der betroffenen Familien zu gewährleisten.
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