Die politische Landschaft der USA wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend von einer spezifischen Erzählung geprägt, die die weiße Mehrheit als Opfer einer verlorenen Kontrolle über das Land darstellt. Diese Erzählung trat besonders deutlich während der Präsidentschaft von Barack Obama zutage, dessen Hautfarbe als sichtbare Manifestation vergangener kolonialer Ungerechtigkeiten interpretiert wurde. In diesem Kontext wurde der Rassismus nicht länger als unterschwelliger oder maskierter Zustand akzeptiert, sondern als offenes, aggressives Phänomen. Slogans wie „Make America Great Again“ und „Take our country back“ wurden zum Symbol dieses politischen Rückgrats. Das „Again“ im MAGA-Slogan ist dabei von zentraler Bedeutung, da es die Vorstellung von einer angeblich goldenen Ära Amerikas beschwört, die nie für alle Menschen in den Vereinigten Staaten „groß“ war. Die Frage, wann und für wen Amerika „groß“ war, bleibt dabei häufig unbeantwortet.

Die politische Reaktion auf die Wahl von Donald Trump als Präsident war nicht überraschend. Schon am Tag nach den Wahlen 2016 diskutierten Studierende an der George Washington University über die politischen und gesellschaftlichen Folgen des Wahlergebnisses. Ein auffälliges Merkmal dieser Diskussion war die Erkenntnis, dass die Feindseligkeit gegenüber nicht-weißen Körpern keine plötzliche Wendung in der amerikanischen Politik darstellte, sondern eher eine Fortsetzung einer Gesellschaft, die nie vollständig mit den materiellen Vorteilen aus Genozid, Sklaverei, Kolonialismus und imperialistischen Projekten abgeschlossen hatte. Die Studierenden befürchteten, dass Trump den weißen Rassismus befeuern und die weiße Vorherrschaft stärken würde – und ihre Befürchtungen sollten sich bestätigen.

Um solche tief verwurzelten sozialen Konflikte zu bewältigen, reicht es nicht aus, auf einen weichen, individualisierten, neoliberalen Multikulturalismus zurückzugreifen. Es bedarf einer tiefgreifenden, radikalen Auseinandersetzung mit den historischen und strukturellen Ursachen dieser Ungerechtigkeiten. Eine entscheidende Lücke in der Analyse amerikanischer Liberalismusgeschichte ist die Rolle der weißen Arbeiterklasse. Diese Gruppe, die sich über die Farbe ihrer Haut Macht verschaffte, ist sozial und geografisch isoliert, ohne Zugang zu Bildung und wirtschaftlichen Aufstiegschancen. Diese Menschen wurden von der liberalen Politik der letzten Jahrzehnte vernachlässigt, die sich primär auf die Rechte von Minderheiten konzentrierte und die weiße Arbeiterklasse als statisch und selbstverständlich betrachtete.

Die Geschichte des amerikanischen Liberalismus – von Abraham Lincolns Emanzipationsproklamation bis hin zu den großen sozialen Programmen der 1930er und 1960er Jahre – ist stark mit dem Versprechen einer gesellschaftlichen Umgestaltung verbunden. Diese Programme, wie das New Deal von Franklin Roosevelt oder die Bürgerrechtsgesetze unter Lyndon B. Johnson, sollten tiefgreifende Veränderungen bringen. Doch die weiße Arbeiterklasse blieb weitgehend außen vor. Ihre Erfahrung, trotz Hautfarbe und vermeintlichem Privileg ohne wirtschaftliche Mobilität zu sein, ist ein bedeutender Teil der Trumpschen Wählerschaft.

Das Scheitern des Liberalismus, diese Wählerschaft zu integrieren, wurde von Trump geschickt ausgenutzt. Unter dem Versprechen, industrielle Arbeitsplätze zurückzuholen, insbesondere durch die Wiederbelebung von „King Coal“ und die Rückkehr der Stahlproduktion, spielte Trump auf eine vergangene Ära an, die längst von der modernen Industrie und den neuen Technologien überholt wurde. Die Realität der Zukunft ist jedoch geprägt von Robotik, Künstlicher Intelligenz und Nanotechnologie – Sektoren, die mit der traditionellen Industriekultur nichts gemein haben.

Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Wiederbelebung von alten Produktionsmodellen eine Lösung für die Probleme der weißen Arbeiterklasse darstellen könnte. Ein solcher Ansatz ignoriert die tiefgreifenden Veränderungen in der globalen Wirtschaft und die schwindende Bedeutung der traditionellen Industrien. Diese falsche Nostalgie verkennt die Realität eines sich schnell verändernden Arbeitsmarktes, der zunehmend durch Technologien geprägt wird, die viele Arbeitsplätze obsolet machen werden. In diesem Zusammenhang ist es ebenso problematisch, die rassistischen Narrative, die Trump und andere populistische Führer wie Nigel Farage propagieren, weiterhin als Antwort auf diese Herausforderungen zu betrachten.

Trump und Farage teilen eine ähnliche Ideologie, die von einer Angst vor dem Verlust weißer Identität und Macht geprägt ist. Sie rufen nach der Wiederherstellung einer angeblich „großen“ Vergangenheit, die nie für alle in ihrer Gesellschaft von Bedeutung war. Ihre Rhetorik stellt die fortschrittlichen Bewegungen als Bedrohung für den gesellschaftlichen Status quo dar und fördert ein starkes Gefühl der „Verteidigung“ gegenüber allem, was als fremd oder bedrohlich wahrgenommen wird. Doch diese Rhetorik übersieht die Tatsache, dass die wahre Bedrohung nicht von „fremden“ Kulturen oder ethnischen Gruppen ausgeht, sondern von einer Gesellschaft, die sich zunehmend von der sozialen und wirtschaftlichen Realität der Mehrheit ihrer Bürger entfremdet.

Die politische Landschaft, in der Figuren wie Trump und Farage aufsteigen, ist durch die Schaffung von Feindbildern und die Schürung von Ängsten gekennzeichnet. Diese Art der Politik ist nicht nur gefährlich, sondern auch destruktiv, da sie die tiefere, historische Wahrheit über Kolonialismus, Sklaverei und die sozialen Ungerechtigkeiten der Vergangenheit ausblendet. Diese „vergessene“ Geschichte wird von denjenigen, die sich durch rassistische und nationalistische Erzählungen mobilisieren lassen, ignoriert oder absichtlich umgeschrieben, um ihre eigene Macht und Privilegien zu sichern.

Es ist entscheidend, diese Mechanismen zu verstehen und zu erkennen, dass die politischen Herausforderungen, mit denen westliche Gesellschaften heute konfrontiert sind, nicht durch einfache Rückblicke auf eine vermeintlich „bessere“ Vergangenheit gelöst werden können. Vielmehr erfordert es eine radikale Auseinandersetzung mit der Gegenwart und eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte. Nur so kann der teuflische Zyklus von Rassismus, Nationalismus und wirtschaftlicher Ungleichheit durchbrochen werden.

Wie hat die Kultur des Populismus das Verständnis von Verantwortung und Demokratie verändert?

Die Verantwortungslosigkeit und der Mangel an Weitblick, die die wirtschaftlichen und politischen Eliten durchzogen haben, sind nicht nur Entfremdung von moralischen Verpflichtungen, sondern auch das Ergebnis öffentlicher Subventionen, die private Gewinne durch die Absicherung von Risiken im öffentlichen Sektor unterstützten. Das ungebremste Streben nach Profit, gepaart mit politischer Gleichgültigkeit, führte zu einer Verlagerung der Aufmerksamkeit von der kritischen Auseinandersetzung mit drängenden gesellschaftlichen Fragen hin zu einer Kultur des unreflektierten und ungerechten Blamierens.

Diese Verschiebung wird oft unter dem Schlagwort „too big to fail“ beschrieben, ein Motto, das ursprünglich zur Rechtfertigung von Bankenrettungen und privaten Unternehmenssubventionen genutzt wurde und mittlerweile zu einem Leitmotiv für die gesamte amerikanische Gesellschaft geworden ist. Die klare Lektion, die aus der Finanzkrise gezogen werden sollte, wurde jedoch ignoriert. Stattdessen wurde die Vorstellung verbreitet, dass die USA niemals scheitern könnten, was in der Realität jedoch nicht zutrifft. Es gibt immer noch die Möglichkeit eines Scheiterns, und im Falle eines solchen Scheiterns wird die Welt sich auch weiterhin weiterentwickeln können.

In diesem politischen Umfeld nahm Donald Trump als der Inbegriff einer neuen Ära Gestalt an, einer Zeit, in der die militärische, wirtschaftliche und politische Macht der USA in eine Phase des Niedergangs eintrat. Trump, ein Mann ohne jede Regierungserfahrung, der seine Familie in Schlüsselpositionen einsetzte und sich als „Außenseiter“ darstellte, war nur die Spitze des Eisbergs einer Kultur, die von wütenden, fehlgeleiteten Schuldzuweisungen geprägt war. Es war vor allem eine Kultur von verängstigten und xenophoben weißen Menschen, die die Konsequenzen der Dekolonisierung und des Postkolonialismus zu bewältigen versuchten.

In dieser Zeit war der Umgang mit politischen Figuren wie Jeremy Corbyn in Großbritannien ein weiteres Beispiel für den scharfen und oft irrationalen Angriff auf diejenigen, die sich für eine gerechtere Welt einsetzten. Corbyn, der in seiner langen Karriere gegen Apartheid kämpfte und für den Pazifismus eintrat, wurde sowohl von der Linken als auch der Rechten angegriffen. Ein weiteres Beispiel für diese erschreckende Form der politischen Feindseligkeit war die Behandlung von Hillary Clinton, die als einzige „schuldige“ Figur in einem Spiel von patriarchalischen und geschlechtsspezifischen Diskriminierungen dargestellt wurde.

Das Bild, das von politischen Akteuren wie Clinton und Corbyn gezeichnet wird, ist der eines durch und durch rationalen und gerechten Denkens. Doch dieser rationale Ansatz ist im politischen Mainstream kaum mehr zu finden. Stattdessen erleben wir, wie „Bullshit“ als tiefgründige Weisheit verstanden wird. Eine wissenschaftliche Untersuchung hat gezeigt, dass besonders politisch konservative Menschen dazu tendieren, Unsinn als tiefgründig zu empfinden. Diese Fehleinschätzung ist eine Folge einer politischen Kultur, die den Intellekt und die kritische Auseinandersetzung mit der Realität unterdrückt und stattdessen populistische und einfache Narrative bevorzugt.

Der massive Rückgang der industriellen Arbeitsplätze, die steigenden Kosten im Bildungsbereich und die Vernachlässigung der primären Gesundheitsversorgung sind nur einige der Variablen, die zu diesem politischen Chaos beigetragen haben. Doch statt den wahren Ursachen dieser Probleme ins Auge zu sehen, wurde die Wut in der Gesellschaft auf unwichtige Themen und falsche Schuldzuweisungen gelenkt. Derartige Tendenzen destabilisieren nicht nur die demokratische Ordnung, sondern schwächen auch das Vertrauen in die Institutionen, die eigentlich für die Aufrechterhaltung der sozialen Gerechtigkeit zuständig sind.

Die politische Landschaft, die durch Globalisierung und technologische Innovationen geprägt ist, ist weit komplexer als es populistische Narrativen gerne darstellen. Die Diskussion um Arbeitsplätze ist eine, die oft die Auswirkungen von Automatisierung und einer sich wandelnden Wissensgesellschaft ignoriert. Jobs verschwinden nicht nur, sie verändern sich grundlegend. Das Phänomen der „techo-nomischen Zeit“, wie es Nick Land beschreibt, verdeutlicht, dass die Verquickung von Technologie und Wirtschaft neue Herausforderungen für die Gesellschaft schafft. Diese Veränderungen sind nicht nur für die USA von Bedeutung, sondern betreffen die gesamte westliche Welt. Die Frage nach der sozialen Verantwortung und den globalen Zusammenhängen wird somit umso dringlicher.

Besonders nach den Ereignissen des 11. September 2001 ist die Rechtfertigung von Gewalt als Mittel zur Terrorismusbekämpfung weit verbreitet. Doch gleichzeitig wird durch diese Gewalt der Nährboden für neue Formen von Terrorismus selbst geschaffen. Der brutale Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox, die von einem Nazi-Sympathisanten getötet wurde, weil sie Flüchtlinge unterstützte, ist ein Beispiel für die erschreckende Realität einer Gesellschaft, die von einem rücksichtslosen Nationalismus geprägt ist.

Die Auseinandersetzung mit diesen komplexen Fragen erfordert mehr als nur oberflächliche Diskussionen. Sie verlangt eine tiefere, kritischere Auseinandersetzung mit der Verantwortung, die jeder Einzelne, die Gesellschaft und die politischen Akteure für den Zustand der Welt tragen. Nationalismus, Protektionismus und Militarismus sind die Leitlinien einer politischen Kultur, die längst überholt sein sollte. Die Politik des Populismus, die auf der Personenkult und der Instrumentalisierung von Ängsten basiert, führt nur zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft und verstärkt die Probleme, die eigentlich angegangen werden müssten.

Wie die Ideologien die gesellschaftliche Veränderung behindern und was Bildung wirklich leisten kann

Es ist keine bloße Fantasie, dass Bildung das Bewusstsein transformieren kann. Lernprozesse haben das Potenzial, soziale Veränderungen zu bewirken oder zumindest ein höheres Maß an sozialem Bewusstsein zu erzeugen. Doch in der Realität zieht die Hegemonie – sei es in ihrer gramscianischen oder poulantzianischen Form – das „progressive“ Denken zu den dominierenden Ideologien der Gegenwart. Die „Rückeroberung“ und „Kolonialisierung“ von Unterschieden minimiert das Unbehagen und die Unruhe, die diese Unterschiede hervorrufen. Ideologien der Normalisierung sind allgegenwärtig und wirken schädlich: Sie beschneiden, zerschneiden und zerstören Unterschiede, die mit den dunklen Geschichtskapiteln der Kolonialisierung, des Rassismus, des Patriarchats und der Homophobie verbunden sind.

Traditionelle Intellektuelle gehören zum „System“; sie bieten Informationen, die für Förderagenturen und Stiftungen angenehm sind. Konventionelle Forschung erhält Gelder, um den Status quo zu stabilisieren. Aufstiegsmöglichkeiten und akademische Ernennungen hängen oft von solcher finanzierten Forschung ab. Doch radikale, unbequemere, schwierige Forschung kann nicht finanziert werden. Gramscis Vorstellung des „organischen Intellektuellen“ passt nicht in dieses „System“. Aaron Samuel Zimmerman brachte diese Unterscheidung treffend auf den Punkt, als er sagte: „Traditionelle Intellektuelle sind selten so unabhängig oder autonom, wie sie glauben.“

Standardisierung, statt echter Standards, wird zunehmend befördert. Trump Studies zeigen auf, dass im „Interregnum“ – jener Zeit des Übergangs und der Unsicherheit – eine unaufhörliche Konfusion und Ambiguität herrschen. In einer Zeit, in der die lange Dauer und das historische Verständnis der Annales-Schule nicht mehr zur Verfügung stehen, wird der Fokus auf die kurzen, transitorischen Momente gelenkt, die Bedeutung in der Unordnung schaffen. Ein einzelner Tweet kann so in eine bedeutungsvolle Mikronarrative umgewandelt werden. In den vergangenen Jahrzehnten haben die sozialen und politischen Systeme nicht nur ihre Stabilität verloren, sondern auch jegliche klare Orientierung.

In diesem Kontext ist es entscheidend zu erkennen, dass es keinen „normalen“ oder „stabilen“ Zustand des politischen Verhaltens gibt, auf den man nach den aufkommenden Rissen und dem langsamen Verfall der 2010er Jahre zurückkehren kann. Die Ablehnung von Erklärungen führt dazu, dass es kaum ein Verständnis für die Gründe gibt, warum bestimmte abweichende Ereignisse und Führer überhaupt aufgetaucht sind. Brian Culkin stellte fest: „Weder Trump noch seine Unterstützer wussten in der Regel, was ihr Problem war oder was sie überhaupt wollten.“ In einer Welt, in der die Probleme und Wünsche nicht klar artikuliert werden, sind keine Lösungen zu finden. Und die dog whistle politics – die Rhetorik des Rassismus, Sexismus, Homophobie und Xenophobie – werden von den Bildschirmen der sozialen Medien immer lauter und verbreiten sich weitgehend ohne Konsequenzen.

Bildschirme und die digitale Welt haben neue soziale Formen hervorgebracht. Trump, mit seiner Herkunft im Fernsehen, hat seine Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu polarisieren, auf Plattformen wie Twitter übertragen, wo es einfacher ist, Hass und Respektlosigkeit zu verbreiten. Dies liegt an der „sozialen Prophylaxe“ der Bildschirme, die es einfacher macht, Feindseligkeit und Intoleranz zu äußern, als in der realen Welt – sei es in einem Bus, einem Restaurant oder einem Zug. Doch sobald solche Ansichten öffentlich gemacht werden, sei es durch Kameras oder soziale Medien, gibt es eine gewisse Scham und öffentliche Zurschaustellung. Dies führt jedoch nicht immer zu einer Abkehr von solchen Einstellungen. Im Gegenteil: Extremansichten finden in den unendlichen Weiten des Internets Gleichgesinnte, die sich gegenseitig bestärken und die bestehenden Grenzen immer weiter verschieben. Die Sprache der Normalisierung extremistischer Ansichten, wie sie durch populistische Slogans wie „Make America Great Again“ verkörpert wird, trägt dazu bei, diese Meinungen zu verharmlosen und zu legitimieren.

Populismus funktioniert durch eine Technik der Neutralisierung. Slogans wie „Make America Great Again“ werden so oft wiederholt, dass sie irgendwann als selbstverständlich wahrgenommen werden, wodurch grundlegende, kritische Fragen wie „War Amerika jemals groß?“ oder „Was bedeutet es überhaupt, groß zu sein?“ blockiert werden. Diese Technik verhindert die Auseinandersetzung mit den tieferen, oft unangenehmen Fragen und verschärft die Entfremdung der Gesellschaft.

Es wird zunehmend schwieriger, sich gegen diese Strömungen zu stellen. Wissenschaftliche Institutionen und die Geisteswissenschaften befinden sich in einer Krise. Die Universitäten sind von Finanzkapitalismus und berufsorientiertem Denken diktiert, was die Entwicklung schwierigen Wissens erschwert. Auch die kulturellen Studien, die einst ein Bereich der radikalen Analyse von Machtstrukturen und sozialen Ungerechtigkeiten waren, haben ihre ursprüngliche Ausrichtung auf die politischen und sozialen Bedingungen verloren und sind durch ein übermäßiges Augenmerk auf Identitätspolitik ersetzt worden. Diese Verschiebung in den Geisteswissenschaften hat das Potenzial, die ganze Disziplin zu entkräften, wenn sie nicht wieder mit der praktischen und politischen Auseinandersetzung mit der Realität verbunden wird.

Es ist also notwendig, die Kultur- und Sozialwissenschaften zu erneuern. Diese Erneuerung erfordert einen Rückgriff auf die grundlegenden, oft schwierigen Fragen, die die ursprünglichen kulturellen Studien zu stellen versuchten, und die Betonung der politischen Wirtschaft in der Populärkultur. Solange die Forschung auf einfache Identitätsfragen und oberflächliche Repräsentationen fokussiert bleibt, werden die komplexen sozialen und politischen Herausforderungen, die uns heute beschäftigen, nicht effektiv angegangen. Der Paradigmenwechsel muss von innen kommen – aus den Disziplinen selbst. Doch dieser Schritt erfordert Mut, Komplexität und ein tiefes Engagement für eine Gesellschaft, die sich nicht in den flachen, harmlosen Oberflächen der populistischen Rhetorik auflöst.

Wie lässt sich das Konzept des "Interregnums" in der politischen und sozialen Philosophie verstehen?

Das „Interregnum“ ist ein politisches und soziales Konzept, das oft als eine Übergangsphase zwischen zwei Regierungen oder zwei unterschiedlichen politischen Ordnungen verstanden wird. Es bezeichnet die Zeit des „Nicht-Regierens“, in der keine stabile Machtstruktur existiert. Doch das Interregnum ist nicht nur eine Periode der Machtvakuums, sondern auch eine Zeit, die eine grundlegende Ungewissheit und das Fehlen klarer Werte mit sich bringt. Die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand, in dem sie sich nicht sicher ist, wie sie sich orientieren soll, und ihre traditionellen Systeme der Ordnung scheinen obsolet oder zumindest hinterfragt.

Die Bedeutung dieses Konzepts wurde insbesondere von Philosophen wie Zygmunt Bauman und Antonio Gramsci hervorgehoben, die darauf hinwiesen, dass Zeiten des Interregnums die soziale und politische Wahrnehmung drastisch verändern können. Bauman beschreibt das Interregnum als eine Zeit der „Unsicherheit“ und „Unklarheit“, in der die bestehenden sozialen Bindungen brüchig werden und der Einzelne gezwungen ist, sich neuen Denkansätzen und neuen Arten des Zusammenlebens zu öffnen. Das Fehlen einer klaren politischen Führung oder eines stabilen Systems kann sowohl als Chance für Transformation als auch als Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt wahrgenommen werden.

In dieser Phase, wenn alte politische Strukturen zusammenbrechen oder einem raschen Wandel unterworfen sind, entsteht ein paradoxes Gefühl der Freiheit und gleichzeitig der Instabilität. Dies ist besonders relevant in Zeiten wie denen, die durch die Präsidentschaft von Donald Trump geprägt sind. Der Übergang von einer scheinbar „alten“ politischen Ordnung zu einer neuen, noch unklar definierten Ordnung, brachte eine Vielzahl an Herausforderungen für die politische Theorie und die politische Praxis mit sich. Dabei wurde auch die Philosophie von Jean Baudrillard und Slavoj Žižek nicht ausreichend berücksichtigt, obwohl ihre Konzepte von Simulacra und politischer Inkontinenz tiefere Einsichten in den Zustand des Interregnums ermöglichen könnten.

Das Interregnum ist eine Periode, die es erfordert, dass das bestehende Wissens- und Wertsystem in Frage gestellt wird. Die etablierten Philosophien, die für den sozialen und politischen Diskurs entscheidend waren, können nicht einfach auf eine neue politische Realität übertragen werden. So wird in den politischen Debatten über Trump und die Auswirkungen seiner Präsidentschaft oft die Frage gestellt, ob die politische Philosophie in der Lage ist, mit den neuen, oft unübersichtlichen Realitäten umzugehen. Es ist eine Zeit, die die intellektuelle Welt auf die Probe stellt: Der Übergang zu einer neuen politischen Ordnung ist nicht nur eine Frage von Macht und Repräsentation, sondern auch von den Mechanismen des Wissens, der Wahrheit und der Legitimation.

In einer solchen Phase zeigt sich auch, wie die politische Philosophie, die die Gesellschaft zu lenken versuchte, zunehmend an Relevanz verliert, da sie den veränderten Bedingungen nicht mehr gerecht wird. Das Wissen, das bislang als unumstößlich galt, erscheint in dieser Übergangsphase zunehmend unzureichend. Der Diskurs über Demokratie, Macht und Gerechtigkeit muss ständig neu verhandelt und auf die sich wandelnden Gegebenheiten angepasst werden. Der gesellschaftliche Wandel in Zeiten des Interregnums fordert nicht nur die politischen, sondern auch die intellektuellen Institutionen heraus, da sie gezwungen sind, mit dem fortwährenden Fluss von Information und Desinformation umzugehen, der in der heutigen Medienlandschaft allgegenwärtig ist.

Es wird klar, dass das Verständnis von Demokratie und politischer Legitimität in Zeiten des Interregnums von einer Vielzahl an Faktoren beeinflusst wird. Die Demokratie als politisches System erfordert nicht nur eine stabile Regierung, sondern auch die aktive und informierte Teilnahme der Bürger. Doch in einem Zeitalter, in dem Falschinformationen und populistische Narrative die öffentliche Meinung prägen, muss die Gesellschaft neue Wege finden, um den politischen Diskurs zu sichern und den Wert des Wissens und der Wahrheit zu verteidigen.

Ein entscheidender Punkt in der Analyse des Interregnums ist, dass diese Übergangsphasen nie nur „vorübergehende“ Zustände sind, sondern sie die Möglichkeit bieten, die grundlegenden Strukturen einer Gesellschaft neu zu denken. In der modernen politischen Philosophie wird zunehmend deutlich, dass es nicht nur um die Wiederherstellung einer alten Ordnung geht, sondern auch um die Schaffung einer neuen Form von politischer und sozialer Koexistenz. Dabei müssen die bestehenden philosophischen Paradigmen, die oft auf Stabilität und Kontinuität abzielen, überdacht werden, um die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern.

In diesem Kontext ist es wichtig, das Konzept der „Schwellenzeit“ zu verstehen, das in verschiedenen kulturellen und politischen Diskursen thematisiert wird. Diese Zeit des Übergangs ist nicht nur durch politische Unsicherheit, sondern auch durch eine Unsicherheit der sozialen Werte und Normen geprägt. Die Frage, wie Gesellschaften mit diesen Unsicherheiten umgehen, hängt nicht nur von politischen Führern ab, sondern auch von den Werten, die in der Gesellschaft als grundlegend angesehen werden.

Der Übergang von einer politischen Ordnung zu einer neuen ist nicht nur eine Zeit des politischen Umbruchs, sondern auch eine Zeit der kulturellen Reflexion. In solchen Perioden wird klar, dass die Entwicklung einer neuen politischen Ordnung nicht ohne die Weiterentwicklung der sozialen und kulturellen Wahrnehmung stattfinden kann. Das Wissen, das in der Vergangenheit als sicher galt, muss ständig hinterfragt werden, um mit den neuen Herausforderungen der Gegenwart Schritt zu halten.