Die politische Landschaft Großbritanniens im 21. Jahrhundert war von Instabilität und tiefen Gräben durchzogen. Der Brexit, der 2016 das Vereinigte Königreich in eine neue Ära der Unsicherheit führte, ist ein eindrucksvolles Beispiel für die Unvorhersehbarkeit politischer Entscheidungen. Was zunächst als eine politische Geste von Premierminister David Cameron erschien, um die konservative Partei zu besänftigen, entwickelte sich zu einer der dramatischsten politischen Wendungen in der jüngeren Geschichte Europas. Als 51,89 Prozent der britischen Wähler für den Austritt aus der Europäischen Union stimmten, erwies sich der Ausgang des Referendums als ein massiver Schock für die Mehrheit der politischen Elite und der Öffentlichkeit.
Der Ausgang des Referendums zeigt nicht nur die Unberechenbarkeit politischer Entscheidungen, sondern auch die zunehmende Komplexität und Fragmentierung in der politischen Landschaft. Die Brexit-Kampagne wurde von dominanten, oft widersprüchlichen Kräften getragen. Die Brexit-Befürworter argumentierten, dass der Austritt Großbritanniens der Nation mehr Freiheiten bringen würde – mehr Kontrolle über Handel und Einwanderung, die Wiederherstellung der Souveränität und eine massive Einsparung an EU-Zahlungen. Das "Brexit-Bus"-Slogan, der die Einsparungen von 350 Millionen Pfund pro Woche in Aussicht stellte, sollte der breiten Öffentlichkeit vermitteln, dass der Austritt aus der EU eine wirtschaftliche Befreiung bedeuten würde.
Doch dieser Appell an die Emotionen und Ängste der Wähler konnte nicht über die tiefere Problematik hinwegsehen, dass der Brexit auch ernsthafte wirtschaftliche und geopolitische Folgen haben würde. Das Argument der "Remain"-Seite, dass Großbritanniens Wirtschaft und politisches Schicksal zu eng mit der EU verwoben waren, um einen einfachen Austritt zu vollziehen, konnte durch Fakten und Expertengutachten untermauert werden. Dennoch entschieden sich die Wähler mehrheitlich für den Austritt.
Eine der entscheidenden Wendungen in dieser Kampagne war der unkonventionelle Einsatz von Daten und Technologie, der von Dominic Cummings, dem Architekten der Leave-Kampagne, vorangetrieben wurde. Der Einsatz von Daten aus sozialen Medien, Online-Werbung und Direktmarketing war entscheidend für den Erfolg der Kampagne. Doch Cummings betont, dass nicht nur die Menge der Daten von Bedeutung war, sondern auch die Denkweise der Menschen, die diese Daten analysierten. Physiker, die aus den Bereichen Quantenmechanik und numerischer Analyse stammten, wurden in das Kampagnenteam integriert, um politische Entscheidungen zu treffen. Ihre Herangehensweise war von der wissenschaftlichen Methode inspiriert: die Identifizierung von Problemen, das Testen von Hypothesen, das Hinterfragen von Ergebnissen und das Entwickeln von Lösungen. Für Cummings war der Wert der Physiker nicht nur ihre Fähigkeit, Zahlen zu interpretieren, sondern auch ihr Ansatz, Probleme zu analysieren, ohne sich von vorgefassten Meinungen oder politischen Dogmen beeinflussen zu lassen.
Die Verwendung von Physik in der Politik ist keine triviale Angelegenheit. Sie eröffnet neue Perspektiven, wie wir politische Prozesse verstehen und wie Entscheidungen in einer zunehmend komplexen Welt getroffen werden können. Eine der Schlüsselfiguren, die diese Philosophie in die Politik einführte, war Armen Sarkissian, der von 2018 bis 2022 Präsident Armeniens war und zuvor theoretischer Physiker war. Sarkissian schlägt vor, dass Politik, wie die Quantenmechanik, nicht mehr als eine lineare und deterministische Disziplin verstanden werden kann. In seiner Theorie der "quantum politics" sieht er die Notwendigkeit, das politische System als ein Netzwerk von miteinander verbundenen, aber unvorhersehbaren Elementen zu begreifen. In einer Welt, in der Informationen individuell zugeschnitten und in sozialen Medien in personalisierten Feeds verbreitet werden, verändert sich die politische Realität durch den Akt der Beobachtung selbst – ähnlich wie in der Quantenmechanik, wo die Messung eines Teilchens dessen Zustand beeinflusst.
Das ist die neue Realität, in der wir leben: eine Welt, in der politische Entscheidungen von unvorhersehbaren Faktoren beeinflusst werden, die ebenso unklar sind wie die Position und Geschwindigkeit eines Quantenpartikels. In dieser Welt sind traditionelle Methoden der politischen Analyse und Entscheidungsfindung möglicherweise nicht mehr ausreichend. Die Quantenphysik lehrt uns, dass alles miteinander verbunden ist, und dass unsere Wahrnehmung der Realität die Art und Weise verändert, wie wir mit ihr interagieren. In der Politik, wie in der Quantenmechanik, ist es entscheidend, sich bewusst zu sein, dass unsere eigenen Überzeugungen und Wahrnehmungen die Welt um uns herum mitgestalten.
Zusätzlich zur Anwendung der wissenschaftlichen Methode in der Politik könnte es hilfreich sein, die Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Informationskanälen, Medien und politischen Entscheidungsprozessen zu betrachten. Heute ist die politische Landschaft nicht nur ein Spiel aus Parteien und Ideologien, sondern ein komplexes System aus Algorithmen, Datenströmen und individuellen Wahrnehmungen. Die Art und Weise, wie Nachrichten verbreitet werden und wie Wähler ihre Entscheidungen treffen, ist zunehmend fragmentiert und beeinflusst von der immer größer werdenden Personalisierung von Informationen. Um diese dynamischen und oft chaotischen Veränderungen besser zu verstehen, könnte es notwendig sein, den Blick auf die Synergie zwischen der politischen Welt und den Naturwissenschaften weiter zu schärfen.
Warum politische Entscheidungen oft unvorhersehbar sind: Die Rolle von Daten und menschlichem Verhalten in der modernen Politik
Die Entscheidung, welche Informationen wir erhalten, beeinflusst maßgeblich unsere Wahrnehmung und unser Verhalten. Die Art und Weise, wie Daten gesammelt und genutzt werden, hat daher tiefgreifende Auswirkungen auf politische Entscheidungen und Wahlen. Ein Beispiel dafür ist die Brexit-Kampagne, bei der die gezielte Nutzung von Daten und sozialen Medien durch die Berater von Boris Johnson und Nigel Farage nicht nur ein neues Kapitel in der politischen Kommunikation aufschlug, sondern auch die zugrunde liegenden Mechanismen menschlichen Verhaltens offenbarte. Ob diese Berater die Prinzipien der Quantenphysik genauso gut verstanden wie Sarkissian, ist fraglich. Doch ihre intuitive Handhabung von Daten und die Manipulation von Wahrnehmungen zeigen eine tiefere, beinahe physikalische Dimension politischer Prozesse.
Der grundlegende Gedanke hinter dieser „quantum view“ der Politik ist, dass der Akt der Messung, etwa das Befragen von Wählern zu ihren Absichten, das Ergebnis selbst verändert. Dies lässt sich gut mit einem Experiment vergleichen: Wenn man Menschen fragt, ob sie regelmäßig Fast Food konsumieren, geben viele an, es zu vermeiden – dennoch sind Fast-Food-Restaurants weiterhin erfolgreich und gefragt. Dieses Phänomen wird als „soziale Erwünschtheit“ bezeichnet – die Tendenz von Menschen, ihr Verhalten so darzustellen, dass es gesellschaftlich akzeptierter wirkt. Politische Umfragen unterliegen diesem Verzerrungseffekt, da Wähler häufig nicht ehrlich antworten, um ein besseres Bild von sich zu vermitteln. Der eigentliche Wert politischer Umfragen liegt nicht darin, was Wähler sagen, sondern in dem, was sie tatsächlich tun.
Das Beispiel Armenien illustriert auf eindrucksvolle Weise die „quantum quality“ politischer Prozesse. In diesem Fall mobilisierte die Diaspora-Armenier eine breite öffentliche Meinung, die den Präsidenten Serzh Sargsyan zur Rücktritt zwang. Ein solches Ereignis, bei dem eine nicht im Land lebende Bevölkerung die Politik eines Staates beeinflusst, könnte nie durch die traditionellen politischen Messmethoden vorhergesagt worden sein. Auch hier ist der Einfluss von sozialen Medien nicht zu unterschätzen. Sie ermöglichen es einer globalen Gemeinschaft, politische Prozesse in einem Ausmaß zu gestalten, das ohne die technologische Entwicklung des digitalen Zeitalters nicht möglich gewesen wäre.
Doch die Unvorhersehbarkeit von Wahlergebnissen wird nicht nur durch solche Mobilisierungen bedingt, sondern auch durch die zunehmende Komplexität der menschlichen Entscheidungsfindung, die durch psychologische und soziale Faktoren beeinflusst wird. Die Überraschungsergebnisse von Brexit und der Wahl Donald Trumps 2016 sind nicht nur das Ergebnis einer Verzerrung der öffentlichen Meinung durch Medien und Politiker, sondern auch durch unbewusste, tief verwurzelte Verhaltensmuster der Wähler. Diese Ereignisse haben gezeigt, wie stark politische Entscheidungen von subjektiven Emotionen und individuellen Wahrnehmungen geprägt sind, die sich nur schwer durch traditionelle Umfragen oder Vorhersagemodelle erfassen lassen.
Die Erkenntnisse der Quantenphysik finden in der Politik eine bemerkenswerte Parallele. Die Ergebnisse einer Wahl sind nicht nur das Produkt von logischen, rationalen Überlegungen, sondern auch von unzähligen, schwer fassbaren Einflüssen, die den Ausgang beeinflussen. Diese Erkenntnis war für Alex Siegenfeld, einen Doktoranden der Physik am MIT, ein Schlüsselmoment. Als er 2016 die Brexit-Abstimmung und die US-Wahlen beobachtete, begann er, Parallelen zwischen den Unsicherheiten der Quantenmechanik und den unvorhersehbaren Ergebnissen politischer Entscheidungen zu erkennen. Es ist, als ob jede Entscheidung in der Politik, ähnlich wie in der Quantenphysik, gleichzeitig verschiedene potenzielle Zustände annimmt, die sich erst im Moment der Abstimmung oder des Entscheidungsprozesses manifestieren.
Ein weiteres bedeutendes Element in diesem Kontext ist das Konzept des „Bayesianischen Bedauerns“, das von dem Philosophen und Statistiker Thomas Bayes im 18. Jahrhundert formuliert wurde. Es misst die Differenz zwischen dem besten möglichen Ergebnis und dem tatsächlichen Ergebnis einer Entscheidung. Übertragen auf politische Wahlen bedeutet dies, dass der ideale Kandidat, der für das größtmögliche gesellschaftliche Wohl sorgen würde, oft nicht gewählt wird. Stattdessen entscheiden sich Wähler aus einer Vielzahl von Gründen, darunter emotionaler Appell und kurzfristige Versprechungen, für Kandidaten, deren Entscheidungen langfristig weniger vorteilhaft sind. Der politische Prozess ist dadurch von Natur aus unvollständig und fehleranfällig.
Ein Paradebeispiel für diese Art von politischem Bedauern findet sich in der Brexit-Abstimmung. Trotz einer insgesamt hohen Wahlbeteiligung, bei der ältere Wähler stark vertreten waren, gab es viele jüngere Wähler, die sich zu Hause blieben und deren Stimmen das Ergebnis hätten verändern können. Doch das Bedauern betraf nicht nur die Wähler, die sich für den „Leave“-Weg entschieden hatten. Eine Umfrage von YouGov im Jahr 2022 zeigte, dass ein erheblicher Teil derjenigen, die 2016 für den Austritt gestimmt hatten, ihre Entscheidung bereuten. Diese Wähler hatten oft „protestiert“, in dem Glauben, dass die „Remain“-Seite ohnehin gewinnen würde, und fühlten sich später über die Tragweite ihrer Wahl getäuscht.
Dieses Bedauern ist jedoch nicht nur das Ergebnis einer falschen Wahlentscheidung, sondern auch die Folge der Entfremdung vieler Wähler von den traditionellen politischen Strukturen und der Kurzsichtigkeit ihrer Entscheidungen. Die permanente Veränderung des politischen Systems, wie sie durch den Brexit ausgelöst wurde, hat dazu geführt, dass viele Wähler nicht nur das Gefühl haben, eine falsche Wahl getroffen zu haben, sondern auch keinen Weg zurückfinden. Einmal getroffene politische Entscheidungen können tiefgreifende und langanhaltende Auswirkungen haben, die nicht rückgängig gemacht werden können, was den Prozess der Wahlentscheidung mit einem irreversiblen Gewicht versieht.
Was für den Leser wichtig zu verstehen ist, ist die Anerkennung der tiefen Komplexität, die mit modernen politischen Entscheidungen verbunden ist. Entscheidungen, die auf den ersten Blick rational erscheinen, sind oft von viel subtileren und weniger rationalen Faktoren beeinflusst. Dies erklärt, warum politische Vorhersagen häufig scheitern und Ergebnisse sich unerwartet entwickeln. Die Politik ist eine Bühne, auf der nicht nur die sichtbaren Akteure agieren, sondern auch unsichtbare, chaotische Elemente eine Rolle spielen, die jede Entscheidung beeinflussen und verändern. Es geht nicht nur um die Entscheidung selbst, sondern um die unzähligen kleinen Bewegungen, die uns unbemerkt und in unbekannten Richtungen führen. Der Versuch, den politischen Prozess durch herkömmliche Messmethoden oder umfragespezifische Modelle zu verstehen, übersieht oft diese komplexen, dynamischen Wechselwirkungen.

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