Der Einfluss der Anthropologie auf die Kriegsführung und ihre Verbindung zu den militärischen Strategien der USA, insbesondere im Irak und in Afghanistan, wirft grundlegende ethische und praktische Fragen auf. In den letzten Jahren wurde die militärische Anthropologie immer häufiger als Werkzeug zur Verbesserung der militärischen Einsätze verwendet. In Programmen wie dem Human Terrain System (HTS), das 2007 ins Leben gerufen wurde, wurden Anthropologen eingesetzt, um das kulturelle Wissen der Bevölkerung vor Ort zu nutzen. Die Frage war, wie dieses Wissen die militärische Strategie beeinflussen könnte, insbesondere in Konflikten, bei denen kulturelle und gesellschaftliche Dynamiken eine Rolle spielen.

Zu Beginn war das HTS-Programm ein Versuch, den Militärs eine bessere Verständigung mit den lokalen Bevölkerungen zu ermöglichen. Anthropologen sollten nicht nur kulturelle Daten sammeln, sondern auch psychologische Profile der einheimischen Bevölkerung erstellen, um potenzielle Gefahren zu identifizieren und militärische Strategien entsprechend anzupassen. Diese Art der Anthropologie wurde mit einer enormen finanziellen Investition von 725 Millionen Dollar betrieben und beschäftigte bis zu 500 Personen. Der Zweck war es, Informationen zu sammeln, die zur Verbesserung der militärischen Effizienz und zur Vermeidung von Konflikten durch tiefes kulturelles Verständnis beitragen könnten. Doch mit dem Rückzug der Mehrheit der US-Truppen aus den Kriegsgebieten wurde das Programm 2014 eingestellt.

Die ethischen Implikationen dieser Praxis sind jedoch nicht zu übersehen. Der Einsatz von Anthropologen in einem militärischen Kontext führt zu einem grundlegenden Konflikt mit den traditionellen Werten der Disziplin, die auf Objektivität und Unabhängigkeit beruhen. Wie kann ein Anthropologe, der im Auftrag des Militärs arbeitet, weiterhin als neutrale Beobachterin oder neutraler Beobachter wahrgenommen werden, ohne seine eigene Integrität zu gefährden? Dies stellt eine existenzielle Herausforderung für das Fach dar, da der Verdacht auf eine Verquickung von Wissenschaft und Militär jederzeit bestehen könnte.

Es stellt sich die Frage, ob diese Form der angewandten Anthropologie, die ursprünglich als eine Möglichkeit zur Konfliktbewältigung und zum besseren Verständnis des "Feindes" gedacht war, die Disziplin insgesamt gefährdet. Es ist wahrscheinlich, dass in der Zukunft neue Formen der Militäranthropologie entwickelt werden, die weniger offensichtlich mit militärischen Interessen verknüpft sind, aber dennoch den gleichen kulturellen Kontext berücksichtigen. Eine Möglichkeit ist es, das Wissen über lokale Kulturen weiterhin in Kriegszonen zu nutzen, ohne dass dies die moralische Unabhängigkeit der Anthropologen gefährdet.

Ein weiterer Bereich, in dem die Anthropologie eine zunehmend zentrale Rolle spielt, ist die forensische Anthropologie. Diese Disziplin beschäftigt sich mit der Identifizierung und Analyse von menschlichen Überresten, um wichtige Informationen über Tod, Alter, Geschlecht und die Umstände des Todes zu liefern. Diese wissenschaftliche Methodik ist nicht nur für Kriminalfälle von Bedeutung, sondern spielt auch eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen und der Identifikation von Opfern von Massenverbrechen. Forensische Anthropologen sind daher eine unverzichtbare Ressource in der internationalen Zusammenarbeit und bieten wertvolle Unterstützung bei der Wiederherstellung von Gerechtigkeit und der Aufklärung von Verbrechen.

Ein exemplarisches Beispiel für forensische Arbeit ist die Untersuchung von menschlichen Überresten, die durch archäologische Ausgrabungen oder andere methodische Forschungen entdeckt werden. Der Prozess beginnt mit der Bestimmung der biologischen Merkmale der Überreste. Die Analyse des Schädels und des Beckens kann Aufschluss darüber geben, ob die Überreste zu einem männlichen oder weiblichen Individuum gehören. Es gibt charakteristische Merkmale, wie zum Beispiel die Form des Schambeins, die beim männlichen Skelett eher herzförmig und beim weiblichen Skelett kreisrund ist. Ebenso gibt die Beschaffenheit des Schädels Hinweise auf das biologische Geschlecht. Der Zahnstatus und die Skelettmerkmale liefern darüber hinaus Informationen zu Alter und Gesundheitszustand der Person zum Zeitpunkt ihres Todes.

Neben der biologischen Identifikation spielen auch methodische Analysen eine Rolle bei der Feststellung des Todeszeitpunkts. Insekten wie Fliegen oder Maden kommen unmittelbar nach dem Tod und beginnen, die Leiche zu besiedeln. Ihre Entwicklungsstadien können eine präzise Bestimmung des Todeszeitpunkts ermöglichen. Wenn die Überreste bereits älter sind, müssen andere Methoden wie DNA-Tests oder chemische Analysen eingesetzt werden, um das Alter der Überreste weiter einzugrenzen.

Ein wichtiger Aspekt der forensischen Anthropologie ist der Beitrag zur Aufklärung von Massenkatastrophen und Menschenrechtsverletzungen. In den letzten Jahrzehnten hat diese Disziplin eine verstärkte humanitäre Dimension angenommen. So haben forensische Anthropologen zunehmend eine Schlüsselrolle bei der Identifizierung von Opfern von Massenvernichtungen und Kriegen übernommen. Die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und Menschenrechtsaktivisten hat dazu beigetragen, dass die Opfer solcher Verbrechen nicht anonym bleiben und Gerechtigkeit für die Opfer hergestellt wird.

Die zunehmende Bedeutung der forensischen Anthropologie zeigt sich auch im politischen Bereich. Die Einführung von Gesetzen wie dem Native American Graves Protection and Repatriation Act (NAGPRA) im Jahr 1990, das vorschreibt, dass menschliche Überreste von indigenen Völkern an die entsprechenden Gemeinschaften zurückgegeben werden müssen, verdeutlicht die gesellschaftliche Relevanz der Anthropologie im Bereich des Rechts und der Gerechtigkeit. Forensische Anthropologen spielen eine entscheidende Rolle dabei, diese gesetzlichen Bestimmungen umzusetzen und sicherzustellen, dass die richtigen Verfahren eingehalten werden.

Es ist auch zu erkennen, dass die Fähigkeiten der forensischen Anthropologen immer vielfältiger werden. In einer Welt, die zunehmend von Globalisierung und internationalen Konflikten geprägt ist, sind ihre Methoden unverzichtbar für die Bewältigung der Herausforderungen, die sich aus der Aufklärung von Verbrechen und der Identifikation von Opfern ergeben. Ihre Arbeit erstreckt sich weit über die akademische Welt hinaus und hat tiefgreifende gesellschaftliche Implikationen.

Wie können Entwicklungsprozesse in ländlichen Gesellschaften besser verstanden werden?

Die Vorstellung von ländlichen Gesellschaften als statischen, isolierten Einheiten, die wenig oder keine Wechselwirkungen mit der modernen Welt haben, ist weit verbreitet, doch die Realität dieser Gesellschaften ist viel komplexer. Robert Redfield, ein Pionier der modernen Anthropologie, prägte den Begriff der „kleinen Gemeinschaft“, um das Leben in ländlichen Gesellschaften zu beschreiben. Er betrachtete diese Gemeinschaften als relativ stabile, homogene Einheiten, die durch ein gemeinsames, traditionelles Wirtschaftssystem zusammengehalten werden. Das Leben in solchen Gemeinschaften war weitgehend selbstgenügsam, organisiert in Alters- und Geschlechtergruppen, und viele Generationen lebten und arbeiteten auf denselben Feldern.

Redfield ging davon aus, dass diese ländlichen Gesellschaften wenig in der Lage waren, die großen, übergeordneten Kräfte der Weltwirtschaft zu beeinflussen. Sie existierten in einem Zustand der relativen Unabhängigkeit, jedoch innerhalb eines Netzwerks von regionalen Märkten und Verbindungen zu anderen Teilen der Welt. Für ihn stellte diese „kleine Gemeinschaft“ eine Art Frühform menschlicher Gesellschaft dar, die sich von den größeren, komplexeren Gesellschaften der Industrieländer unterschied. Doch Redfield glaubte auch, dass diese Gemeinschaften im Wesentlichen resistent gegenüber äußeren Veränderungen waren, da sie sich in einem stabilen, selbstgenügsamen Zustand befanden.

Diese Vorstellung von ländlichen Gemeinschaften als isolierte, sich nicht verändernde Einheiten wurde später von anderen Anthropologen wie Oscar Lewis und Sidney Mintz weiter untersucht und hinterfragt. Lewis reiste 1951 nach Tepoztlán, einem mexikanischen Dorf, das Redfield als Modell für die „kleine Gemeinschaft“ genutzt hatte, und korrigierte Redfields Annahmen. Lewis argumentierte, dass diese Gemeinschaften nicht so harmonisch und selbstgenügsam waren, wie Redfield angenommen hatte. Vielmehr standen sie in komplexen Beziehungen zu größeren regionalen und globalen Kräften, was ihre soziale und wirtschaftliche Struktur beeinflusste. Die Menschen in Tepoztlán waren nicht nur von lokalen Bedingungen abhängig, sondern auch von den weltwirtschaftlichen Kräften, die den Handel und die Produktion in der Region prägten. Diese Einsicht führte zu einem grundlegenden Umdenken in der Entwicklungsanthropologie.

Sidney Mintz, ein weiterer prominenter Anthropologe, baute auf den Arbeiten von Redfield und Lewis auf, indem er begann, die Verbindungen zwischen ländlichen Gesellschaften und der globalen Wirtschaft durch die Analyse von Waren wie Zucker und Kaffee zu untersuchen. Mintz' Arbeit, insbesondere seine Studie „Sweetness and Power“, zeigte auf, wie die globalen Märkte die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in ländlichen Gesellschaften beeinflussten. Durch die Untersuchung solcher Produkte konnte er die Verflechtungen zwischen der lokalen Landwirtschaft und dem internationalen Handel aufdecken. Mintz’ Ansatz erweiterte die Perspektive auf Entwicklung und legte den Grundstein für eine neue Richtung in der anthropologischen Forschung, die zunehmend den globalen Kontext in die Analyse einbezog.

Ein weiteres Konzept, das in der Entwicklungstheorie von entscheidender Bedeutung ist, ist die Vorstellung vom sogenannten „Dritten Welt“. Dieser Begriff wurde 1952 von Alfred Sauvy geprägt und bezeichnete die Länder, die weder dem kapitalistischen Modell der USA noch dem sozialistischen Modell der Sowjetunion zugehörig waren. Diese Länder befanden sich oft in einer Art geopolitischem Vakuum und wurden als Entwicklungsländer betrachtet. Der Begriff „Dritte Welt“ hat heute eine problematische Konnotation, da er die komplexe Realität der globalen Südhalbkugel vereinfacht und vereinnahmt. Viele dieser Länder sind jedoch nicht isoliert und „unterentwickelt“, sondern sie sind integrale Bestandteile des globalen Wirtschaftssystems.

Ein zentraler Bestandteil der Entwicklungstheorie ist die Annahme, dass es eine universelle Linie des Fortschritts gibt, die alle Gesellschaften entlang eines Spektrums von „traditionell“ zu „modern“ durchlaufen müssen. Walt Rostows fünfstufiges Modell des wirtschaftlichen Wachstums, das den Übergang von einer traditionellen Landwirtschaftsgesellschaft zu einer „Hochverbrauchsgesellschaft“ beschreibt, ist ein typisches Beispiel für diese Denkweise. Laut Rostow muss eine Gesellschaft in den „Take-off“-Stadium eintreten, bei dem sie eine bestimmte Schwelle in Bezug auf Investitionen und Wirtschaftswachstum überschreiten muss. Erst dann könne die Gesellschaft in die Phase des „hohen Konsums“ eintreten, in der Wirtschaft und Wohlstand automatisch wachsen.

Doch der Realitätscheck für diese Theorien erfolgte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Weltwirtschaft entwickelte sich anders als erwartet, und viele Entwicklungsländer durchliefen nicht den linearen Fortschritt, den die Modernisierungstheorie vorhersagte. Viele Länder stießen auf ernsthafte Probleme, als sie versuchten, sich an das Modell des kapitalistischen Wachstums anzupassen. Der globale Kapitalismus, der sich seit den 1940er Jahren aus der Konferenz von Bretton Woods heraus entwickelte, schuf ein System, das in einigen Bereichen Wohlstand brachte, in anderen jedoch bestehende Ungleichheiten vertiefte.

Die Entwicklungstheorie von Bretton Woods und die Prinzipien der internationalen Entwicklungsfinanzierung, die von Institutionen wie der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds unterstützt werden, sind von großem Einfluss. Doch der Preis für die Entwicklung war oft hoch: Länder, die Finanzhilfen erhielten, mussten oft harte wirtschaftliche Reformen durchlaufen, die mit hohen sozialen Kosten verbunden waren. Der so genannte „Dritte Welt“ war der Schauplatz eines internationalen Wettbewerbs um Ressourcen, was den Entwicklungsländern oft mehr Schaden als Nutzen brachte.

In der heutigen Zeit erkennen viele Anthropologen, dass die Prinzipien der internationalen Entwicklung nicht universell sind. Die Komplexität von Entwicklung lässt sich nicht mehr nur in einem einfachen Schema von „Armut“ und „Reichtum“ abbilden. Der Fokus hat sich inzwischen auf die Beziehungen zwischen verschiedenen Ländern und den globalen Markt verschoben, und es wird zunehmend anerkannt, dass Entwicklung ein dynamischer Prozess ist, der nicht nur von der Übertragung westlicher Modelle abhängt, sondern auch von den lokalen Bedingungen, der Geschichte und den internationalen Verbindungen.

Ein wichtiger Punkt, der in der Entwicklungstheorie oft übersehen wird, ist die Tatsache, dass wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten nicht einfach durch westliche Interventionen beseitigt werden können. Die Komplexität von Entwicklung erfordert ein tieferes Verständnis der lokalen Kultur, der politischen Dynamik und der globalen Netzwerke, die jede Gesellschaft prägen. Der Begriff der „Entwicklung“ muss daher hinterfragt und neu definiert werden, um die wahren Herausforderungen einer globalisierten Welt zu erfassen.

Wie beeinflussen moderne Theorien die Entwicklung von Gesellschaften und die Rolle der Anthropologie in diesem Prozess?

In den frühen Phasen der Diskussion über wirtschaftliches Wachstum war es weit verbreitete Ansicht, dass westliche Kulturen den biologischen und kulturellen Höhepunkt der menschlichen Evolution darstellten. Diese Vorstellung prägte die Entwicklungstheorien der Zeit, welche davon ausgingen, dass sich alle Gesellschaften nach diesem Modell entwickeln sollten. Allerdings wurde diese Annahme im Laufe der Zeit zunehmend kritisch hinterfragt. Anthropologen begannen, die Überzeugungen der Moderne neu zu bewerten, was in den 1960er und 1970er Jahren zu einer Reihe von Kritiken an der Modernisierungstheorie führte.

Ein prominenter Kritiker war der Scholar und Aktivist Walter Rodney, der in seinem Werk How Europe Underdeveloped Africa die Modernisierungstheorie scharf kritisierte. Rodney untersuchte die sozioökonomischen und historischen Dynamiken der Entwicklungsländer und zeigte auf, wie die Entwicklungsprogramme des Westens, die unter dem Vorzeichen der Modernisierung standen, tatsächlich unter Entwicklung produzierten. Er dokumentierte, dass diese Programme in vielen Fällen von den Metropolen aus in sogenannte "dritte Welt"-Länder exportiert wurden, um dort vor allem die Ressourcengewinnung zu optimieren. So entstanden zwar punktuelle Entwicklungen wie Schulen, Straßen und Gesundheitskliniken, jedoch ohne eine grundlegende, nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen für die breite Bevölkerung.

Unterdessen wiesen Theoretiker wie Andre Gunder Frank auf die Widersprüche der Modernisierungstheorie hin. Sie entwickelten die Dependency-Theorie, die die Weltwirtschaft als ein ausbeuterisches Netzwerk von Metropolen und Satelliten darstellt. In diesem globalen System sind die "dritten Welt"-Länder in einer Abhängigkeitsbeziehung verstrickt, in der sie nur in sehr eingeschränktem Umfang in die globale Wirtschaft integriert sind. Sie sind daher auf kurzfristige Entwicklungsinitiativen angewiesen, die kaum in der Lage sind, tiefgreifende, strukturelle Veränderungen zu bewirken.

Diese Theorien führten zu einer Neubewertung der Ansätze der internationalen Entwicklung. Die moderne Entwicklungstheorie, insbesondere im Kontext der von den Vereinten Nationen 2000 verabschiedeten Millennium-Entwicklungsziele (MDGs), strebt eine tiefere und umfassendere Verbesserung der globalen Lebensbedingungen an. Die MDGs beinhalten unter anderem Ziele zur Bekämpfung extremer Armut und Hunger sowie zur Förderung der Geschlechtergleichstellung. Fortschritte werden anhand realer Indikatoren wie der Einschulungsrate von Mädchen und der Frauenrepräsentation in nationalen Parlamenten gemessen. Diese messbaren Ziele bieten einen Ansatz, der in der Praxis zunehmend als realistisch angesehen wird.

Die heutige Entwicklungstheorie ist dabei ein vielschichtigerer und dynamischerer Ansatz als die früheren Theorien der Modernisierung. Anthropologen spielen dabei eine Schlüsselrolle als Vermittler und Berater in der Umsetzung von Entwicklungsstrategien. Doch diese Anthropologen sind sich auch der Limitationen solcher Programme bewusst. Es wird zunehmend betont, dass Entwicklungsinitiativen nicht nur technologischen und wirtschaftlichen Wandel herbeiführen sollten, sondern auch soziale und kulturelle Transformationen berücksichtigen müssen.

Neben diesen klassischen Theorien und Modellen ist auch die Kulturelle Ökologie eine wichtige Denkrichtung, die die komplexen Wechselwirkungen zwischen Kultur und Umwelt untersucht. Im Zentrum steht die Vorstellung, dass die natürliche Umwelt zwar bestimmte Handlungsmöglichkeiten bietet, jedoch menschliche Wahl und kulturelle Anpassungen eine ebenso entscheidende Rolle spielen. Kulturelle Ökologie kritisiert die deterministische Sichtweise, dass Kulturen ausschließlich durch Umweltfaktoren bestimmt werden, und betont stattdessen die Rolle von "möglichen" Anpassungen und menschlichen Entscheidungen.

Der Anthropologe Julian Steward war maßgeblich an der Entwicklung dieser Theorie beteiligt. Er betrachtete die Kulturen nicht als monolithische Einheiten, sondern als auf ihre spezifischen Umweltbedingungen angepasste Systeme. In den 1950er Jahren konzentrierte sich seine Arbeit darauf, wie Gesellschaften ihre Subsistenzstrategien entwickelten und wie diese im Laufe der Zeit auch andere kulturelle Aspekte wie Sprache und soziale Organisation beeinflussten. Diese Betrachtungsweise wurde später von Robert Netting weiterentwickelt, der in seiner Feldforschung in Nigeria die landwirtschaftlichen Techniken von Kleinbauern untersuchte und dabei die Bedeutung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken wie Terrassenbau und organischer Düngung hervorhob.

Diese Theorien und ihre empirischen Studien bieten wertvolle Einblicke in die Verbindungen zwischen Kultur und Umwelt, die für die Entwicklung von Gesellschaften entscheidend sind. Sie belegen, dass Entwicklungsprozesse nicht nur durch externe wirtschaftliche oder technologische Eingriffe vorangetrieben werden, sondern dass auch kulturelle und ökologische Anpassungen eine zentrale Rolle spielen. Die Erkenntnisse aus der Kulturellen Ökologie und der Dependency-Theorie sind somit entscheidend, um ein tieferes Verständnis für die vielschichtigen Prozesse der modernen Entwicklung zu erlangen.

Es ist unerlässlich, dass zukünftige Entwicklungsansätze diese komplexen Zusammenhänge berücksichtigen und darauf aufbauen. Ohne eine umfassende Betrachtung der Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft, Kultur, Wirtschaft und Umwelt bleibt jede Entwicklungsmöglichkeit unvollständig und potenziell fehlerhaft.