Tamarine geben nicht nur einfache Laute von sich, sondern auch komplexere Geräusche, die Ähnlichkeiten mit den Lauten von Gua aufweisen. Diese Töne beinhalten Pfeifen und Zirpgeräusche, die tatsächlich einfache Sätze innerhalb ihrer Gruppe vermitteln können. Zum Beispiel können sie einander mitteilen, dass ein Raubtier in der Nähe ist. Dieses Verhalten verändert die Perspektive auf die Kommunikation von Tieren und erweitert das Verständnis darüber, was Sprache eigentlich ausmacht. Es gab eine Zeit, in der angenommen wurde, dass das Sprechen in Sätzen eine Fähigkeit ist, die ausschließlich dem Menschen vorbehalten ist. Doch die Forschung hat gezeigt, dass auch andere Primaten wie Schimpansen und Gorillas in der Lage sind, auf bemerkenswerte Weise zu kommunizieren.

In den 1940er und 1950er Jahren versuchten die Psychologen Catherine und Keith Hayes, einen jungen Schimpansen namens Viki in menschlicher Sprache zu erziehen. Trotz aller Bemühungen lernte Viki nur vier Worte: „mama“, „papa“, „cup“ und „up“. Sie starb im Alter von sieben Jahren an einer viralen Meningitis. Obwohl dieser Versuch im Wesentlichen scheiterte, eröffnete er die Tür zu weiterführenden Überlegungen zur linguistischen Kapazität von Primaten. Ein weiteres bemerkenswertes Experiment führte das Forschungsteam Allan und Beatrix Gardner durch, das den Schimpansen Washoe als Menschen aufzog und ihm Gebärdensprache beibrachte. Washoe lernte insgesamt etwa 250 Wörter in American Sign Language (ASL) und vermittelte diese schließlich an ihren Schimpansensohn. Auch Lucy, ein weiterer Schimpanse, erlernte ASL und zeigte sogar Humor, was erneut die Annahme widerlegte, dass nur Menschen in der Lage sind, komplexe, mehrdeutige Kommunikation zu praktizieren.

Die Kommunikation unter Primaten ist also viel komplexer, als lange angenommen wurde. Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass Schimpansen und Gorillas, wie der berühmte Gorilla Koko, der über 1000 ASL-Zeichen lernte, in der Lage sind, mit uns zu interagieren. Auch wenn Noam Chomsky als führender Linguist eine kritische Haltung zu den Fähigkeiten von Tieren hinsichtlich der menschlichen Sprache einnimmt, ist es offensichtlich, dass die sprachlichen Fähigkeiten der Primaten einen interessanten Blick auf die Grenzen und Ursprünge der menschlichen Sprache gewähren.

Es bleibt jedoch die Frage, was eigentlich „menschliche Sprache“ ausmacht. Die Antwort auf diese Frage fällt in das Gebiet der historischen Linguistik, einer der drei großen Unterdisziplinen der Sprachwissenschaft. Diese untersucht die Entwicklung der menschlichen Sprachen und deren Aussterben. Ein nützliches Werkzeug hierfür ist die Glottochronologie, die es ermöglicht, die sprachliche Verwandtschaft zwischen verschiedenen Sprachen zu ermitteln. So teilen sich etwa Englisch und Deutsch einen gemeinsamen Ursprung und zeigen noch heute viele sprachliche Ähnlichkeiten, trotz ihrer jahrhundertelangen Entwicklungstrennung. Die Glottochronologie hilft uns nicht nur dabei, die Verbreitung von Sprachen über die Welt zu verstehen, sondern auch, wie sich kulturelle und sprachliche Praktiken mit der Ausbreitung des Homo sapiens entwickelten.

Es ist ebenfalls erwähnenswert, dass etwa die Hälfte der heute noch gesprochenen 6000 bis 7000 Sprachen voraussichtlich bis zum Ende des 21. Jahrhunderts aussterben wird. Besonders betroffen sind viele indigene Sprachen, darunter die der nordamerikanischen Völker wie die Caddo, Menominee und Yuchi, deren Sprecherzahlen rapide sinken. Hier gibt es zwar Bemühungen, diese Sprachen zu retten, wie beispielsweise durch das Living Tongues Institute for Endangered Languages, doch der Kampf um den Erhalt dieser Sprachen ist ein stetiger und herausfordernder Prozess.

Die Entwicklung von Sprachen ist nicht nur eine Frage der Evolution, sondern auch eine, die durch kulturelle und soziale Einflüsse geprägt ist. Deskriptive Linguistik, die sich mit den Mechanismen der Sprache befasst, beschreibt fünf zentrale Elemente der Sprache: Phoneme, die kleinsten bedeutungslosen Einheiten von Lauten, Morpheme, die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten, Grammatik, Syntax und die Struktur von Sätzen. Diese Elemente bilden die Grundlage dessen, was wir als Sprache erkennen, aber auch das, was die menschliche Kommunikation von der der Tiere unterscheidet.

Ein weiteres faszinierendes Feld ist die Soziokulturelle Linguistik, die den Zusammenhang zwischen Sprache und Kultur untersucht. Sprachliche Normen variieren je nach Kultur, und diese Unterschiede beeinflussen die Art und Weise, wie wir die Welt und unser tägliches Leben wahrnehmen. Ein Beispiel hierfür ist der Umgang mit Zeit in verschiedenen Kulturen. In Mali verwenden die Bäuerinnen, die Bamanankan sprechen, eine 24-Stunden-Zählweise für den Tag, die jedoch in ihrer Alltagskommunikation durch speziellere Zeitkategorien ersetzt wird, die sich stark von den westlichen Konzepten von „9 bis 17 Uhr“ unterscheiden. Diese kulturellen Unterschiede in der Wahrnehmung von Zeit sind tief in der Sprachstruktur verankert und zeigen, wie sehr unsere Kommunikationsformen durch soziale und kulturelle Gegebenheiten geprägt sind.

In ähnlicher Weise beleuchtet die Forschung von Deborah Tannen den Unterschied in der Kommunikation zwischen Männern und Frauen in westlichen Gesellschaften. Ihre Arbeit zeigt auf, dass Männer häufig größere Gruppen bevorzugen, während Frauen tendentiell in kleineren, intimeren Gruppen kommunizieren, was zu unterschiedlichen Kommunikationsmustern und Missverständnissen führt. Diese Unterschiede, so Tannen, sind das Ergebnis sozialer Erziehung und beeinflussen die Art und Weise, wie wir als Erwachsene miteinander interagieren.

Sprache ist also mehr als nur ein Werkzeug der Kommunikation. Sie ist tief verwurzelt in der Kultur, der sozialen Struktur und der Evolution des Menschen. Und sie ist vielleicht nicht so einzigartig, wie wir einst dachten, da auch unsere tierischen Verwandten in der Lage sind, komplexe Botschaften zu vermitteln. Doch es bleibt zu beachten, dass das, was wir als menschliche Sprache betrachten, weit mehr umfasst als die bloße Fähigkeit zu kommunizieren. Es ist ein Produkt unserer kulturellen Entwicklung, unserer sozialen Strukturen und unserer biologischen Evolution.

Wie beeinflusst die Umweltkonditionierung unsere Kultur? Die Perspektive des kulturellen Materialismus von Marvin Harris

Marvin Harris widersetzte sich vor allem den kulturellen und interkulturellen Verbindungen, die den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Kulturen als flexibel oder anpassbar betrachteten. Anders als etwa Julian Steward, der mit seiner Arbeit auf quantitative Daten fokussierte, konzentrierte sich Harris auf die materiellen Lebensbedingungen der Kulturen, ohne dabei auf subjektive Berichte oder menschliche Informanten zurückzugreifen. Statt die inneren Leben oder das Folkloristische seiner Studienthemen zu erforschen, befasste sich Harris mit den Dingen, die er direkt beobachten und messen konnte – wie etwa den landwirtschaftlichen Kalendern, Werkzeugen und der Ernährung der Menschen.

In seiner berühmten Arbeit über die heiligen Kühe Indiens legte Harris seine Methodik dar. Die Frage, warum viele Inder Kühe nicht essen, wird häufig mit einer religiösen Begründung beantwortet – Kühe gelten als heilig und dürfen daher nicht geschlachtet werden. Harris nahm jedoch eine andere Perspektive ein und hinterfragte diese religiöse Erklärung. In seiner Analyse führte er aus, dass es sich bei dem Verbot, Kühe zu essen, möglicherweise eher um ein wirtschaftliches Tabu handelt als um ein religiöses Gebot. Kühe seien wertvoller lebendig als geschlachtet, da sie Milch, Nachkommen und Dung liefern, was für die Landwirtschaft von großer Bedeutung ist. Der Dung wird als Dünger oder Brennstoff genutzt, was die Kühe zu einem unverzichtbaren Teil des wirtschaftlichen Lebens macht. Harris schuf damit eine Theorie, die die religiösen Erklärungen nicht widerlegte, aber sie in einen wirtschaftlichen Kontext stellte.

Harris’ Theorie des kulturellen Materialismus geht davon aus, dass alle gesellschaftlichen Phänomene, sei es Religion, Politik oder Ideologie, tief in den materiellen und produktiven Lebensweisen der Menschen verwurzelt sind. Er betrachtete die Art und Weise, wie Menschen ihre grundlegenden biologischen Bedürfnisse decken, als den entscheidenden Faktor, der die Struktur ihrer Gesellschaften bestimmt. In seinem Buch „Our Kind“ untersuchte Harris zahlreiche Kulturen weltweit und zeigte auf, wie die verschiedenen Dimensionen der Gesellschaft – von der Mode der Produktion bis hin zur Religion – durch die Art und Weise beeinflusst werden, wie Menschen ihre Lebensgrundlagen sichern.

Der kulturelle Materialismus folgt einer klaren Methodologie. Zunächst betont er die Wichtigkeit, sich auf beobachtbare und quantifizierbare Daten zu konzentrieren. Das bedeutet, dass Forscher bei der Untersuchung von Kulturen wissenschaftliche Methoden anwenden und empirische Daten sammeln sollten, die dann überprüfbar und korrigierbar sind. In seiner Forschung zur Kultur stellte Harris sicher, dass seine Analyse auf objektiven, messbaren Variablen beruhte, die für kulturübergreifende Vergleiche herangezogen werden können.

Das Konzept des „Freelistings“, das in der ethnographischen Forschung verwendet wird, ist ein weiteres Beispiel für Harris' methodischen Ansatz. Hierbei wird eine Gruppe von Menschen gebeten, eine Liste von Begriffen zu erstellen, die mit einem bestimmten Thema verbunden sind, wie zum Beispiel „Pflanzen, die in meiner Familie verwendet werden“. Die gesammelten Listen geben den Forschern einen detaillierten Überblick über das Wissen und die kulturellen Praktiken einer Gemeinschaft. Besonders interessant ist, dass Harris’ Theorie des kulturellen Materialismus aufzeigt, wie sich das Wissen einer Gemeinschaft über die Umwelt und ihre Ressourcen mit der Zeit verändern kann – insbesondere unter dem Einfluss von Globalisierung und Modernisierung.

Ein gutes Beispiel für diese Methodik liefert Marsha Quinlan in ihrer Forschung über das Wissen zu Heilpflanzen auf der Karibikinsel Dominica. Sie führte Interviews mit den Einheimischen, die ihr eine Liste der Heilpflanzen gaben, die sie kannten. Auf Basis dieser Listen konnte sie ein umfassendes Bild darüber gewinnen, wie das lokale Wissen über Pflanzen an die nächste Generation weitergegeben wurde und wie dieses Wissen unter dem Einfluss der Globalisierung verschwand. Quinlan stellte fest, dass vor allem Frauen mehr Heilpflanzen kannten als Männer und dass der formale Bildungsweg negativ mit dem Wissen über Heilpflanzen korrelierte. Dies zeigt, wie traditionelle Wissenssysteme in modernen Gesellschaften durch die Einführung von formalen Bildungssystemen und durch den Einfluss globaler Märkte geschwächt werden können.

Die Ergebnisse von Quinlans Forschung verdeutlichen auch eine andere wichtige Dimension des kulturellen Materialismus: den Zusammenhang zwischen Globalisierung und dem Verlust von traditionellem Wissen. Die Verfügbarkeit von modernen Medikamenten und die zunehmende Vernetzung von Märkten führen dazu, dass das lokale Wissen über Pflanzen und natürliche Ressourcen immer mehr verdrängt wird. Dies ist ein entscheidender Punkt für das Verständnis der Mechanismen, die unser kulturelles Wissen und unsere Lebensweisen beeinflussen.

Die Ergebnisse aus der Kombination von freilisting und kulturhistorischen Analysen legen nahe, dass kulturelle Phänomene nicht nur als Folge von individuellen oder religiösen Präferenzen, sondern als Reaktion auf die ökologischen und materiellen Bedingungen, in denen eine Gesellschaft lebt, verstanden werden müssen. Globalisierung, Urbanisierung und technologische Fortschritte sind dabei tief in die Umstrukturierungen der lokalen Wissenssysteme verwoben. Die Kultur, wie wir sie heute kennen, ist daher ein Produkt der materiellen Bedingungen, die unseren Lebensunterhalt sichern – und diese sind stets im Wandel begriffen.