Die Integration digitaler Kommunikation in die Paartherapie hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Verschiedene digitale Werkzeuge, wie E-Mails, Nachrichten und Videoanrufe, sind aus dem Alltag der meisten Paare und Therapeuten nicht mehr wegzudenken. Auch wenn die Therapeut*innen keine Online-Sitzungen durchführen, sind diese Kommunikationsmethoden Bestandteil der Therapie, die in der modernen Welt kaum noch ignoriert werden können. Diese Veränderungen wirken sich sowohl auf die Beziehung zwischen den Klienten und dem Therapeuten aus als auch auf die Qualität der Therapie an sich.

Ein wichtiger Faktor, der diese Entwicklung begünstigt, ist das Aufkommen der digitalen Nomaden. Diese Paare oder Familien leben einen nomadischen Lebensstil, arbeiten aus verschiedenen Ländern und sind dabei auf Remote-Arbeit angewiesen. 2020 gaben 10,9 Millionen amerikanische Arbeiter an, als digitale Nomaden zu leben, was einen Anstieg von 49 % im Vergleich zu 2019 darstellt. Für diese Klienten ist die Möglichkeit, Therapie online zu erhalten, von besonderer Relevanz, da sie nach Lösungen suchen, die sich nahtlos in ihren flexiblen Lebensstil integrieren lassen. Sie sind daher besonders aufgeschlossen gegenüber Online-Therapien und Videokonferenzen.

Allerdings gibt es auch eine wachsende Zahl von Klienten, die noch immer Vorbehalte gegenüber der Nutzung von Videokonferenzen in der Therapie haben. Ein Beispiel zeigt dies deutlich: Benny und Yvonne, ein Paar, das mit mir zu Beginn der Pandemie face-to-face arbeitete, stellte sich einer Situation, in der sie aufgrund einer Krankheit eines Partners eine Video-Session in Betracht zogen. Trotz ihrer technologischen Vertrautheit mit Videoanrufen traten viele technische Probleme auf: Die Verbindung war instabil, der Bildschirm unscharf, die Lautstärke ließ sich nicht anpassen. Es war schwer zu sagen, inwieweit diese Probleme auf die Technik oder eher auf eine passive Widerstandshaltung des Paares zurückzuführen waren. Diese Sitzung war zweifellos weniger produktiv als eine persönliche Sitzung, und auch die Klienten empfanden sie als weniger hilfreich. Ihre Skepsis gegenüber der Nutzung von Videokonferenzen war spürbar. Die Erfahrung verdeutlichte, wie schwierig es sein kann, trotz der technologischen Möglichkeit eine tiefere therapeutische Verbindung aufrechtzuerhalten.

Ein häufiges Phänomen bei weniger technikaffinen Klienten ist die Scham, die sie empfinden, wenn sie technische Schwierigkeiten haben. Sie fühlen sich oft verunsichert und nervös, was zusätzlich zu der ohnehin schon sensiblen Therapieatmosphäre führt. In diesen Fällen kann die Hilfe des Partners beim Einstellen der Kamera oder des Mikrofons eine zusätzliche Dynamik erzeugen, die die Therapie sowohl negativ als auch positiv beeinflussen kann. Manchmal kann das Überwinden dieser technischen Schwierigkeiten jedoch auch ein Gefühl der Verbundenheit schaffen, da das Paar zusammenarbeitet, um die „Hürde“ zu meistern.

Trotz dieser Hürden gibt es auch Vorteile in der Online-Therapie, vor allem im Hinblick auf die Beziehung zwischen Klienten und Therapeuten. Die Online-Sitzungen finden oft in den vertrauten, persönlichen Räumen der Klienten statt. Diese Nähe kann eine andere Art der Verbindung schaffen, da sie in einem eigenen, sicheren Umfeld sind. Die Paare sind oft in einer ungezwungeneren Atmosphäre, da der formelle Rahmen einer traditionellen Therapie entfällt. Sie sprechen über Dinge, die sie im persönlichen Gespräch möglicherweise nicht so schnell ansprechen würden – etwa die Einrichtung ihres Zuhauses, die Geräusche im Hintergrund oder private Themen wie die Schlafgewohnheiten. Dies kann dazu beitragen, dass sich die Klienten sicherer fühlen und Vertrauen aufbauen. Allerdings ist es auch die Distanz, die durch den Bildschirm geschaffen wird, die eine gewisse Kluft zwischen Therapeut und Klient bleibt. Während sich die Klienten in ihrer gewohnten Umgebung befinden, sieht der Therapeut nur den Ausschnitt, der durch die Kamera des Klienten möglich ist – meist den Oberkörper oder das Gesicht. Diese begrenzte Sicht kann die Wahrnehmung und das Verständnis der Beziehung zwischen Therapeut und Klient beeinflussen.

Die physische Distanz hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Visuelle, sondern auch auf die emotionale Ebene der Beziehung. Das Fehlen der Möglichkeit, dem Klienten körperlich nahe zu sein, etwa mit einem Taschentuch zu helfen oder beruhigende Gesten zu machen, verändert den Ausdruck von Empathie und Mitgefühl. Für viele Therapeuten bedeutet dies, dass sie auf verbale Hinweise angewiesen sind, um Unterstützung zu bieten, was in der persönlichen Therapie einfacher und intuitiver gelingt.

Ein weiterer Vorteil der Online-Therapie ist die erhöhte Erreichbarkeit des Therapeuten. Da Klienten in der digitalen Welt häufig über Nachrichten, E-Mails oder Chats mit ihrem Therapeuten in Kontakt treten, gibt es eine neue Dimension der Kommunikation, die im traditionellen Setting nicht existiert. Diese ständige Erreichbarkeit kann das Gefühl von Unterstützung und Verfügbarkeit verstärken, birgt aber auch Risiken, etwa in Bezug auf die Abgrenzung zwischen Therapie und Alltag. Die ständige Verbindung könnte dazu führen, dass die Klienten den Therapeuten als dauerhafte Bezugsperson in allen Aspekten des Lebens sehen.

Auch der Inhalt der Therapie wird durch die Online-Plattform verändert. Zwar bleiben die grundlegenden Themen und Ziele der Therapie gleich, doch die digitale Kommunikation bringt neue Möglichkeiten, Inhalte zu vermitteln. Die Therapeut*innen können während der Sitzung direkt auf Materialien zugreifen, sie mit den Klienten teilen oder Videos und Übungen zeigen, die während der Sitzung besprochen werden. Dies ermöglicht eine andere Art der Interaktion, die den Klienten neue Perspektiven auf ihre Beziehung und ihre Probleme eröffnet. Dies war besonders während der Pandemie von Bedeutung, als durch die internationalen Unterschiede im Tagesablauf, in den Zeitzonen oder bei den Covid-19-Vorkehrungen eine neue Form des Gesprächs aufkam, die den globalen Kontext einbezog.

Die digitale Paartherapie bringt sowohl Herausforderungen als auch Chancen mit sich. Sie verändert nicht nur die Form der Kommunikation, sondern auch die Art und Weise, wie Klienten und Therapeuten miteinander in Beziehung treten. Es ist entscheidend, diese Veränderungen zu verstehen, um die neuen Dynamiken der Online-Therapie zu nutzen und gleichzeitig die möglichen Hindernisse zu erkennen, die sich durch technische Probleme oder emotionale Barrieren ergeben können.

Wie die virtuelle Familientherapie im Umgang mit Risiko und Schutz von Jugendlichen funktioniert

Im Kontext der virtuellen Familientherapie kommt es nicht nur darauf an, den emotionalen Zustand der Beteiligten zu verstehen, sondern auch, wie riskante Verhaltensweisen und potenzielle Gefahren für Jugendliche wie Olivia im digitalen Raum effektiv adressiert werden können. Dies betrifft insbesondere Themen wie familiäre Konflikte, Schulprobleme, und die Gefahr von sexueller Ausbeutung, die in der Online-Therapie möglicherweise nicht so eindeutig wahrgenommen werden können wie im persönlichen Kontakt. Olivia, ein Teenager, der zunehmend Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Eltern hatte, stand im Zentrum solcher Herausforderungen.

Die Eltern von Olivia, Daniel und Suzanne, waren in ihrer Sorge um die Tochter tief verunsichert. Sie versuchten, ihre Tochter vor potenziellen Gefahren zu schützen, indem sie Regeln aufstellten, die jedoch oft zu Konflikten und Missverständnissen führten. Ein solcher Vorfall war der, als Olivia alkoholische Getränke bei sich trug, während sie das Haus verließ. Diese Situation erfordert die Überlegung, ob es notwendig ist, solche Informationen mit der Sozialarbeiterin zu teilen, um potenziellen Risiken, wie der Möglichkeit von Alkoholkonsum und weiterer Ausbeutung durch ältere Männer, entgegenzuwirken. Dabei muss jedoch vorsichtig und ohne Schuldzuweisungen vorgegangen werden, besonders im Kontext der Online-Therapie, wo Gespräche durch Dritte mitgehört werden können.

Ein weiteres Problem, das in der virtuellen Therapie zu berücksichtigen ist, ist die mangelnde nonverbale Kommunikation. Ohne die Möglichkeit, Körpersprache und subtile zwischenmenschliche Signale zu erfassen, ist es schwieriger, unausgesprochene Gefühle von Scham oder Versagen zu erkennen, die die Eltern möglicherweise in Bezug auf ihre Tochter empfinden. In der Zusammenarbeit mit einem Reflektorenteam, bei dem Daniel und Suzanne von ihren eigenen Erfahrungen und den Familientraditionen erzählten, konnten jedoch neue Perspektiven und Einsichten gewonnen werden. Besonders hilfreich war es, sich mit der Geschichte von Olivias Großmutter, Samantha, auseinanderzusetzen, die als starke und unabhängige Frau galt. Diese Geschichten über Widerstandsfähigkeit und Überlebensstrategien konnten den Eltern helfen, die Verhaltensweisen ihrer Tochter besser zu verstehen und zu reflektieren.

Olivia zeigte Verhaltensweisen, die durch ihre eigene Unabhängigkeitsbestrebung motiviert sein könnten – ein Drang, der auch in der Familie vererbt wurde. Sie identifizierte sich stark mit ihrer Großmutter und wollte vielleicht das Erbe dieser starken Frauen weiterführen. Doch das führte auch zu Konflikten mit ihren Eltern, die, während sie ihre Tochter schützen wollten, Schwierigkeiten hatten, ihre Bedürfnisse und Ängste vollständig zu begreifen. Die häufigen Schulwechsel und die daraus resultierenden Frustrationen könnten das Gefühl von Versagen bei Olivia verstärken, besonders im Vergleich zu den beruflich erfolgreichen Eltern. Diese Frustrationen machten sie anfällig für die Verlockungen älterer Männer, die ihr möglicherweise ein Gefühl von Zugehörigkeit und Anerkennung gaben.

Im Verlauf der Therapie wurde deutlich, dass Olivias problematische Beziehung zu ihren Eltern nicht nur durch ihre eigenen Unsicherheiten bedingt war, sondern auch durch die Generationenunterschiede und die Kluft zwischen den Werten ihrer Eltern und denen, die sie selbst lebte. Die Eltern, die in ihrer eigenen Jugend mit anderen sozialen Normen und Herausforderungen konfrontiert waren, erlebten eine starke Diskrepanz zwischen ihren eigenen Erziehungswerten und denen, die sie ihrer Tochter vermitteln wollten. Auch die digitale Kluft und die zunehmende Abhängigkeit von Technologie erschwerten die Kommunikation und das Verständnis zwischen den Generationen.

Die Eltern standen nun vor der Herausforderung, wie sie trotz der digitalen Distanz mit ihrer Tochter auf eine Weise kommunizieren konnten, die für sie beide von Nutzen war. Ein Hilfsmittel, das dabei sehr effektiv war, war das „Daisy Model“, das die verschiedenen Kontexte eines Gesprächs und die damit verbundenen Werte und Einflüsse visualisierte. Es hilft, die unterschiedlichen Perspektiven und Einflussfaktoren in einer Beziehung zu verstehen und gibt den Eltern die Möglichkeit, komplexe und oft widersprüchliche Gefühle auf eine Weise zu kommunizieren, die Olivia möglicherweise eher annehmen würde. Das Modell bietet einen Rahmen, um zu erkennen, wie Vergangenheit, Werte und verschiedene Kommunikationsstile die aktuelle Situation beeinflussen.

Die virtuelle Plattform, auf der diese Therapie stattfand, stellte eine zusätzliche Herausforderung dar. Neben den oben genannten Aspekten wie der Begrenzung der nonverbalen Kommunikation und der Möglichkeit, dass Gespräche von anderen, wie Olivia, mitgehört werden konnten, musste auch die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass die digitale Grenze der Therapie den Raum für tiefgreifende, emotionale Verarbeitungsprozesse einschränkte. Die Schwierigkeit, diese aufgestauten Gefühle in einem digitalen Format zu erfassen und zu bearbeiten, stellte einen erheblichen Hindernis dar. Doch durch die Anwendung eines reflektierenden Teams und den Einsatz von Werkzeugen wie dem „Daisy Model“ konnte den Eltern ein sicherer Raum geboten werden, um über ihre Ängste und Unsicherheiten zu sprechen und ein besseres Verständnis für die Herausforderungen ihrer Tochter zu entwickeln.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Therapeut:innen, die mit solchen Fällen arbeiten, die Risiken und Herausforderungen des digitalen Raums anerkennen und gleichzeitig sicherstellen, dass alle relevanten Informationen zum Schutz des Kindes an die zuständigen Behörden weitergegeben werden. Die Balance zwischen der Wahrung der Privatsphäre und dem Schutz des Kindes vor potenziellen Gefahren muss stets gewahrt bleiben. Der digitale Raum erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und Aufmerksamkeit, um sowohl das emotionale Wohlbefinden der Familie zu fördern als auch die Sicherheit des Jugendlichen zu gewährleisten.