Ohne die Möglichkeit, eine Münze zu halbieren, gab es keine Möglichkeit, Betty und Andy eine gleiche Anzahl von Münzen zu geben. Also, was taten die Kinder? Sie warfen einfach die eine ungerade Münze weg und teilten die restlichen 10 gleichmäßig auf. Ohne jede Vorannahme zeigten die Kinder einen grundlegenden Instinkt für Gerechtigkeit – den Wunsch, entweder gleich zu belohnen oder, falls sie es für gerechtfertigt hielten, ungleich, aber gerecht zu belohnen. Sie erkannten, dass Dinge ungleich, aber dennoch gerecht sein können und dass Ungerechtigkeit mehr zählt als Ungleichheit. Das Experiment deutet darauf hin, dass die Fähigkeit, diese Unterscheidung zu treffen, früh beginnt und tief verwurzelt ist.

Auf den ersten Blick scheinen Gleichheit und Gerechtigkeit synonym zu sein – doch gibt es wesentliche Unterschiede. Ein Physiker könnte diese beiden Begriffe unterscheiden, indem er das Universum in seinen frühesten Momenten betrachtet, in denen diese Konzepte ihren Ursprung fanden. Weniger als eine Milliardstel Sekunde nach dem Urknall war das Universum in einem Zustand perfekter "Gleichheit" – eine Singularität unendlicher Dichte und Temperatur, in der alles, was war und was noch sein würde, als ein perfekt gleichmäßiger Punkt existierte. Alles war überall gleich. Fast sofort jedoch begannen Unterschiede zu entstehen. Kleine Quantenfluktuationen tauchten in dieser kohärenten Masse auf. Einige Bereiche des Universums begannen, mehr Energie und mehr Wärme zu haben als andere. Und als das Universum expandierte, wurden diese willkürlich verteilten Ressourcen zunehmend bedeutend, was letztlich zur Bildung von Sternen, Galaxien, Planeten und schließlich Leben selbst führte.

Später in diesem Kapitel werden wir uns näher mit diesen Quantenfluktuationen und der anschließenden Bildung kosmischer Strukturen befassen. Zuvor wollen wir jedoch die Natur der Ungleichheit in der menschlichen Welt betrachten. Sie kann in vielerlei Hinsicht in eine Gesellschaft eindringen: Geschlecht, Alter, Klasse, Behinderung, ethnische Zugehörigkeit, Religion, sexuelle Orientierung, Zugang zu Technologie und Zugang zu Chancen. Es ist eine komplexe Mischung. Doch viele dieser Faktoren sind untrennbar mit Wohlstand verbunden. Wohlstandsunterschiede nehmen verschiedene Formen an. Es gibt mit Sicherheit verzweifelte Armut in Teilen der Entwicklungsländer, wenn man sie mit reicheren Gesellschaften vergleicht, aber in den letzten Jahren hat die Ungleichheit innerhalb von Nationen stark zugenommen. 1980 machte die Ungleichheit innerhalb von Ländern weniger als die Hälfte der globalen Ungleichheit aus. Bis 2020 war dieser Anteil auf zwei Drittel gestiegen, verstärkt durch rasante Einkommenssteigerungen an der Spitze vieler Volkswirtschaften und chronische Stagnation für den Rest. Zwischen 2013 und 2023 verdoppelte sich die Zahl der Milliardäre auf der Welt und ihr gesamtes Vermögen. 52 Prozent des weltweiten Einkommens werden von den reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung aufgesogen. In vielen Regionen wird das Leben für die normalen Menschen zunehmend schwieriger; Oxfam berichtete, dass im Jahr 2022 mindestens 1,7 Milliarden Arbeiter in Ländern lebten, in denen die Inflation die Löhne übertraf.

Und was ist das Ergebnis? Wo es Unterschiede zwischen höher- und niedrigverdienenden Haushalten gibt – etwa beim Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung oder digitalen Technologien – starten die Kinder der Letzteren mit einem eingebauten Nachteil, den sie schwer, wenn nicht sogar unmöglich, überwinden können. Der deutliche Graben zwischen Reich und Arm, der nebeneinander in einigen der wohlhabendsten Gesellschaften der Erde existiert, hat unser Verständnis von Ungerechtigkeit verändert und sie sichtbarer und gegenwärtiger gemacht.

Im Laufe meines Lebens hatte ich viele Chancen und war äußerst privilegiert. Ich wurde in einem reichen Land in eine mittelständische Familie geboren. Doch das bedeutet nicht, dass ich nicht ab und zu die Stiche der Ungerechtigkeit und Ungleichheit gespürt habe. Die Zeit nach meinem Abschied aus der Managementberatung war eine dieser Zeiten. Mein anfänglicher 11-monatiger Vertrag im öffentlichen Dienst wurde schließlich dauerhaft, und ich verbrachte den Rest meiner Zwanziger mit der Arbeit im öffentlichen Sektor. Der öffentliche Dienst war ein ausgezeichneter Arbeitgeber, und ich verspürte ein großes Gefühl von Stolz und Sinn in meiner Arbeit. Gleichzeitig wusste ich, dass ich im Vergleich zu den meisten britischen Arbeitern ein gutes Gehalt hatte. Doch war mir auch bewusst, dass es eine große Lücke zwischen den Gehältern meiner Kollegen und mir und den Managementberatern gab, die ich noch kannte. Sie verdienten inzwischen sechsstellige Beträge, konnten sich teurere Kleidung, Autos und Wohnungen leisten und auch Geld in mehr Geld verwandeln, indem sie investierten und Vermögenswerte kauften, was die Kluft weiter vergrößerte. Ich schäme mich nicht, aber ich fühlte mich neidisch. Und ich fühlte mich wütend. Meiner Ansicht nach war die Arbeit, die ich als Beamter leistete, genauso wichtig und herausfordernd, doch irgendwie hatte ich weniger. Als unsicherer junger Mann fühlte es sich ungerecht an. Und während ich mit meinen eigenen kleinen Emotionen kämpfte, begann ich zu bemerken, dass diese Themen von Ungerechtigkeit und Ungleichheit immer wieder in der Welt um mich herum auftauchten.

Im Jahr 2005 arbeitete ich im Department for International Development (DfID), der britischen Regierungsbehörde, deren Mission es war, die globale Armut zu beseitigen. Fragen der globalen Gerechtigkeit und Gleichheit waren den ganzen Tag über in meinen Gedanken. Dies war niemals deutlicher als während der drei Tage im Juli 2005, die unglaubliche Höhen und Tiefen mit sich brachten. Es begann sehr gut. Beim 117. Treffen des Internationalen Olympischen Komitees in Singapur wurde London als Gastgeberstadt der Olympischen Spiele 2012 ausgewählt. Jahre des Biddings und der Verhandlungen zahlten sich aus, als die britische Hauptstadt im Wettstreit mit Madrid, Moskau, New York und Paris die erste Stadt wurde, die die Spiele zum dritten Mal ausrichtete. Ich verfolgte die Bekanntgabe mit meinen Kollegen im Büro. Als gebürtiger Londoner fühlte ich mich so stolz und glücklich. Ein gutes Beispiel für ungleiche Gerechtigkeit. Nicht jeder konnte gewinnen; nur eine Stadt konnte die Spiele ausrichten. Aber solange der Auswahlprozess klar und unvoreingenommen war, konnte niemand sich beschweren.

Der folgende Morgen brachte dann jedoch eine erschütternde Wendung. Ich verpasste den Bus zur Arbeit, entschied mich, zu Fuß zu gehen, und erfuhr erst im Büro von den schrecklichen Terroranschlägen. Drei Selbstmordattentäter zündeten Sprengstoff auf der Londoner U-Bahn und einem Bus, wobei 52 Menschen ums Leben kamen und 700 weitere verletzt wurden. Wie bei den meisten Selbstmordanschlägen war es eine Frage des guten oder schlechten Glücks, wer verletzt wurde und wer nicht. Alle Pendler waren gleich, aber das machte die entsetzliche Ungerechtigkeit, die einige von ihnen traf, keineswegs ungeschehen.

Inmitten all dessen richteten sich die Augen der Welt auf ein exklusives Hotel in Gleneagles, Schottland, wo die Führer der G8-Staaten sich trafen. Als Gastgebernation hatte Großbritannien erklärt, dass der Gipfel sich mit der Bekämpfung der globalen Armut befassen würde. Ich hatte große Hoffnungen, was er erreichen würde.

Warum der Verlust von Dialekten das kulturelle und biologische Erbe bedroht

Die Veränderung und der Verlust von Dialekten sind nicht nur eine sprachliche Entwicklung, sondern auch ein kulturelles und ökologisches Phänomen, das tief in der Struktur unserer Gesellschaften verankert ist. Der renommierte Forscher James Burridge hat ein faszinierendes Modell entwickelt, das die Muster der sprachlichen Veränderung mithilfe der Physik erklärt – speziell durch die Prinzipien der Oberflächenspannung. Laut Burridge wirken sich Faktoren wie Bevölkerungsdichte, Migration und die Form eines Landes auf die Verteilung von Dialekten aus. Diese äußeren Bedingungen sind vergleichbar mit den Kräften, die die Anordnung von Blasen in einem Glas beeinflussen. In Gebieten mit hoher Bevölkerungsdichte, in denen Menschen miteinander interagieren und sich vermischen, entstehen größere sprachliche Blasen, während in weniger bevölkerten Regionen die Dialekte stärker voneinander abweichen und individueller bleiben.

Burridge identifizierte, dass die gleiche Physik, die das Verhalten von Blasen beschreibt, auch voraussagen kann, wie sich Dialekte entwickeln und in Zukunft möglicherweise verschwinden könnten. Innerhalb der nächsten 50 Jahre wird prognostiziert, dass viele regionale Dialekte zunehmend der Sprachweise ihrer Nachbarn ähneln werden, wenn nicht sogar völlig verschwinden. Diese Veränderung wird durch eine Vielzahl von Faktoren bedingt, von denen Migration und technologische Entwicklungen die bedeutendsten sind. Die Dynamik von Sprache zeigt die Nähe zur natürlichen Evolution: Ein Dialekt verändert sich, wenn er mit anderen in Kontakt tritt, um eine effizientere Verständigung zu ermöglichen. So wie Tiere und Pflanzen in einem sich verändernden Ökosystem miteinander konkurrieren und sich anpassen müssen, so verändert sich auch die Sprache, um den gelebten Realitäten zu entsprechen.

Es ist jedoch nicht nur ein Phänomen der sprachlichen Veränderung, das sich abzeichnet. Der Verlust von Dialekten ist mit dem Verlust der biologischen Vielfalt in den betroffenen Regionen verbunden. Regionen, in denen viele Dialekte gesprochen werden, sind oft Gebiete mit hoher biologischer Vielfalt, wie tropische Regenwälder oder abgelegene Gebirgsregionen. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass in diesen Gebieten, die als „Hotspots“ für Biodiversität bezeichnet werden, ein enger Zusammenhang zwischen sprachlicher und biologischer Vielfalt besteht. In diesen Regionen verschwinden viele Sprachen, und mit ihnen auch viele einzigartige Pflanzen- und Tierarten. Der Verlust einer Sprache bedeutet oft auch den Verlust des traditionellen Wissens über die lokale Flora und Fauna. Dieses Wissen ist nicht nur für die Kultur der Menschen von Bedeutung, sondern auch für den Erhalt des Ökosystems, das auf nachhaltige Praktiken und ein tiefes Verständnis des natürlichen Umfelds angewiesen ist.

Es gibt interessante Parallelen zwischen den Prinzipien der Sprachentwicklung und der biologischen Evolution. In weniger bevölkerten Regionen, die wenig externe Einflüsse erfahren haben, sind die Sprachen oft vielfältiger, da die Isolation der Gemeinschaften eine größere sprachliche Variation begünstigt. In großen, industrialisierten Städten hingegen tendiert die Sprache dazu, sich zu vereinheitlichen. Diese Homogenisierung, die im Einklang mit der Vereinheitlichung von Ökosystemen steht, führt dazu, dass das Sprachspektrum enger wird und bestimmte lokale Varianten aussterben.

Linguisten und Biologen stimmen darin überein, dass der Verlust von Dialekten und Sprachen nicht nur eine tragische kulturelle Veränderung darstellt, sondern auch ein ernstzunehmendes ökologisches Problem ist. In vielen Teilen der Welt, vor allem in den sogenannten „Biodiversitätswilderness-Areas“, wo noch ein Großteil der natürlichen Lebensräume erhalten ist, gibt es eine bemerkenswerte Zahl an indigenen Sprachen. Diese Sprachen sind oft eng mit der lokalen Natur verbunden. Die traditionellen Gemeinschaften, die diese Sprachen sprechen, sind meist sehr gut mit ihrer Umgebung vertraut und tragen durch nachhaltige Praktiken dazu bei, dass diese Lebensräume erhalten bleiben. Doch sobald diese Gemeinschaften verloren gehen, verlieren auch die Sprachen und das Wissen, das mit ihnen verbunden ist, was in vielen Fällen auch negative Auswirkungen auf die lokale Umwelt hat.

Es ist nicht nur der Verlust von Traditionen und Kulturen, der alarmierend ist, sondern auch die tiefgreifenden ökologischen Folgen. Die Veränderungen, die durch den Verlust von Dialekten und den damit verbundenen Kulturen entstehen, betreffen nicht nur die Sprache selbst, sondern auch die Art und Weise, wie Menschen mit ihrer Umwelt interagieren. Der Verlust von Sprache und Wissen führt zu einer Vereinfachung und Standardisierung der sozialen und ökologischen Systeme, was auf lange Sicht das Überleben von Lebensräumen und Arten gefährdet.

Darüber hinaus ist die Veränderung von Dialekten und Sprachen ein kontinuierlicher Prozess, der von der internen Dynamik der Sprachgemeinschaften sowie von äußeren Einflüssen wie Urbanisierung und technologischem Fortschritt beeinflusst wird. In einer zunehmend globalisierten Welt verschwimmen die Grenzen zwischen Dialekten und Sprachen, was den Verlust regionaler Sprachformen beschleunigt. Doch auch innerhalb der großen Sprachen wie Englisch oder Spanisch gibt es noch zahlreiche regionale Unterschiede, die sich durch unterschiedliche Aussprache, Grammatik oder Wortschatz manifestieren. Diese Unterschiede sind wertvoll, da sie einen direkten Bezug zur lokalen Identität und Geschichte der Sprecher haben.

Wichtig ist, dass der Verlust von Dialekten nicht nur als ein bloßer Verlust von Wörtern oder Ausdrücken betrachtet wird, sondern als ein Verlust von Wissen und Identität, das in der Tiefe mit der Umwelt und den sozialen Strukturen einer Region verwoben ist. Das Verständnis dieser Wechselwirkungen kann uns helfen, sowohl die kulturellen als auch die ökologischen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, besser zu verstehen und darauf zu reagieren.

Warum Ungleichheit Teil des Systems ist und wie wir mit Ungerechtigkeit umgehen sollten

Die Frage der Ungleichheit ist nicht neu und begegnet uns auf vielen Ebenen unseres Daseins, sei es in der Natur, in sozialen Strukturen oder in politischen Systemen. In gewissem Sinne könnte man sogar sagen, dass ohne sie das gesamte Universum, wie wir es kennen, gar nicht existieren würde. Denn Ungleichheit ist ein grundlegendes Prinzip, das allen Systemen zugrunde liegt. Sie ist nicht einfach eine zufällige Erscheinung, sondern ein Mechanismus, den Systeme benutzen, um sich selbst zu organisieren und zu verteilen. Ohne diese Form der Verteilung würde ein System nicht effektiv funktionieren. Doch während Ungleichheit allgegenwärtig ist, ist es die Ungerechtigkeit, die als das eigentliche Problem in unserer Gesellschaft betrachtet werden sollte. Es ist die Ungerechtigkeit, die wir angehen müssen, nicht die bloße Existenz von Ungleichheit.

In der Physik gibt es das Konzept von Energie, das uns hilft, diese Dynamik zu verstehen. Der Energieaustausch in einem System folgt denselben Prinzipien, die in sozialen und politischen Prozessen vorkommen. Wenn wir von Ungleichheit sprechen, denken wir oft an Verteilung – an Ressourcen, an Macht, an Chancen. Doch die Ungleichheit selbst ist nicht der Feind, sondern die Art und Weise, wie diese Ressourcen und Chancen verteilt werden, und wie wir mit den systemischen Benachteiligungen umgehen. In gewisser Weise ist Ungleichheit ein notwendiges Element des Universums. Sie ist das, was das „Funktionieren“ überhaupt erst ermöglicht. Der Versuch, Ungleichheit vollständig zu eliminieren, könnte letztlich dazu führen, dass das System, in dem wir leben, aufhört zu funktionieren.

Ein weiteres Konzept aus der Physik, das hilfreich ist, wenn wir die Frage der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit betrachten, ist das der Stabilität und Instabilität. In stabilen Systemen wird das Gleichgewicht schnell wiederhergestellt, nachdem es gestört wurde. In instabilen Systemen jedoch kann der kleinste Stoß eine Katastrophe auslösen. Dies gilt nicht nur für physikalische Systeme, sondern auch für soziale und zwischenmenschliche Beziehungen. Zum Beispiel könnte man die Dynamik eines gescheiterten romantischen Verhältnisses mit einem instabilen physikalischen System vergleichen: Ein kleiner Fehler, eine falsche Entscheidung oder ein missverstandenes Wort kann eine Kettenreaktion auslösen, die das gesamte System zum Einsturz bringt. Ein stabiler Zustand in Beziehungen ist jedoch oft das Ergebnis von aktiver, beidseitiger Arbeit und der Bereitschaft, das System kontinuierlich anzupassen, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Die Mechanismen, die das Funktionieren von Systemen ausmachen, sind auch der Grund, warum der Versuch, einfach alles in einem System zu verändern, oft zu unerwünschten Ergebnissen führt. In vielen Fällen hat der Versuch, Dinge direkt zu beeinflussen, eine entgegengesetzte Wirkung. Zum Beispiel kann der Versuch, eine Gruppe von Menschen oder eine Gemeinschaft ohne Rücksicht auf die bereits bestehenden Dynamiken zu verändern, zu Spannungen führen, die schließlich das gewünschte Ziel in das Gegenteil verkehren. Ein anschauliches Beispiel ist das Bild von Blasen, die sich in einem Flüssigkeitssystem bewegen. Diese Blasen sind niemals statisch, sie verschmelzen, bewegen sich und streben nach einem Zustand des Gleichgewichts. Ähnlich verhält es sich mit sozialen Kräften und kulturellen Trends. Auch hier gibt es ständige Veränderungen und Bewegungen, die zu einem immer wieder neu konzipierten Gleichgewicht führen.

Die Frage, wie sich unser Verhalten und unsere Einstellungen entwickeln, ist oft auch eine Frage nach den uns umgebenden Kräften. Wie der physikalische Prozess von Energieflüssen kann unser Denken und Handeln von äußeren Kräften beeinflusst werden – sei es von sozialen Normen, kulturellen Erwartungen oder politischen Bedingungen. Besonders in Krisenzeiten, wie zum Beispiel in der Zeit der Covid-19-Pandemie, erleben wir, wie kollektive Verhaltensmuster durch die unmittelbare Umgebung geprägt werden. In Momenten von Unsicherheit und Umbruch kann der menschliche Geist einen natürlichen Drang verspüren, sich an bestehenden Systemen festzuhalten oder bestehende Gewohnheiten und Muster aufzugeben. Doch die wahre Herausforderung liegt in der Fähigkeit, systemisch zu denken, ohne in der Falle von Vereinfachungen und Reduktionen zu tappen.

Gerade in unserer modernen Gesellschaft gibt es eine Tendenz, verschiedene Phänomene zu stark zu vereinfachen, besonders wenn es um komplexe soziale und politische Fragen geht. Die Versuchung, alles bis zu den kleinsten, physikalischen Prozessen zurückzuführen – wie etwa die Reduktion von Politik auf atomare Interaktionen im Gehirn der Wähler – übersieht die Tatsache, dass menschliches Verhalten nicht nur von quantifizierbaren, physischen Prozessen abhängt, sondern auch von der Komplexität sozialer und psychologischer Dynamiken. Die Geschichte zeigt uns, dass komplexe Systeme nicht einfach durch das Zerlegen in kleinere Teile verstanden werden können. Die Antwort auf komplexe gesellschaftliche Probleme lässt sich daher nicht allein durch naturwissenschaftliche Methoden wie der Physik finden, auch wenn diese wertvolle Einsichten liefern kann.

Insofern liegt die Herausforderung darin, das richtige Gleichgewicht zu finden. Physik kann uns helfen, das Fundament der Prinzipien zu verstehen, die das Funktionieren von Systemen – seien sie naturwissenschaftlicher oder sozialer Art – beeinflussen, aber sie kann nicht die Antwort auf alle Fragen des Lebens bieten. Vielmehr geht es darum, wie wir dieses Wissen einsetzen, um bestehende Ungerechtigkeiten zu erkennen und sie systematisch zu bekämpfen, ohne in den Irrglauben zu verfallen, dass die Lösung durch das bloße Entfernen von Ungleichheit erreicht werden kann. Vielmehr ist es das Verständnis für das, was zu einem funktionierenden System beiträgt, das uns die nötigen Werkzeuge gibt, um die Dynamik der Gesellschaft auf eine gerechtere Weise zu gestalten.