In der Forschung zu Gerechtigkeit und Verhalten am Arbeitsplatz hat die Multifoci-Gerechtigkeitstheorie zunehmend an Bedeutung gewonnen. Sie postuliert, dass verschiedene Quellen von Gerechtigkeit—wie Gerechtigkeit von der Organisation oder von Vorgesetzten—auf unterschiedliche Weise das Verhalten von Mitarbeitern beeinflussen können. Insbesondere hat sich gezeigt, dass Wahrnehmungen von Gerechtigkeit innerhalb von Gewerkschaften, insbesondere wenn die Führung der Gewerkschaft durch spezielle Schulungen beeinflusst wurde, signifikante Auswirkungen auf das Verhalten der Mitglieder haben können. Diese Erkenntnisse weisen darauf hin, dass die Gerechtigkeit der Führung nicht nur das freiwillige Engagement in sogenannten OCBs (Organizational Citizenship Behaviors), sondern auch das Lernen und kreative Verhalten von Arbeitnehmern beeinflusst.
In einer kürzlich durchgeführten Studie untersuchten Walumbwa und Kollegen (2009) den Einfluss von prozeduraler und distributiver Gerechtigkeit auf freiwilliges Lernverhalten. Sie stellten fest, dass Gerechtigkeit innerhalb der Organisation, sowie die zwischenmenschliche und informationelle Gerechtigkeit von Vorgesetzten, das Lernen von Mitarbeitern entscheidend beeinflussten. Ihre Studie zeigt, dass freiwilliges Lernen nicht nur als ein individuelles Bemühen um Selbstverbesserung verstanden werden sollte, sondern dass es auch als ein Produkt sozialer Austauschprozesse zwischen dem Mitarbeiter und der Organisation bzw. dem Vorgesetzten betrachtet werden kann.
Freiwilliges Lernen bezieht sich auf proaktive Verhaltensweisen von Mitarbeitern, bei denen sie eigenständig ihre Fähigkeiten und Kenntnisse erweitern, um ihre Leistung zu steigern. Die Studienergebnisse stützen die Hypothese, dass die Fairness der Führungskraft eine zentrale Rolle bei der Förderung von Lernverhalten spielt. Dies geht über die reine Fairness der Organisation hinaus, da die wahrgenommene Fairness der Führungskraft die Mitarbeiter stärker zu freiwilligem Lernen motiviert als die allgemeine Gerechtigkeit der Organisation.
Darüber hinaus untersuchten Walumbwa et al. die sozialen Austauschprozesse, die durch verschiedene Gerechtigkeitsquellen ausgelöst werden. Sie fanden, dass die Gerechtigkeit der Organisation zu einem sozialen Austausch mit der Organisation führte, gemessen an der organisatorischen Identifikation der Mitarbeiter, während die zwischenmenschliche und informationelle Gerechtigkeit von Vorgesetzten zu einer sozialen Austauschbeziehung mit den Führungskräften führte, die über das Konzept des LMX (Leader-Member Exchange) messbar war.
Eine weitere interessante Untersuchung von Khazanchi und Masterson (2011) zeigte, dass die Wahrnehmung von Gerechtigkeit durch die Organisation sowie durch Vorgesetzte nicht nur das Verhalten im Bereich der freiwilligen Lernverhalten beeinflusste, sondern auch das kreative Verhalten von Mitarbeitern. Sie untersuchten insbesondere das Zusammenspiel von wahrgenommener Gerechtigkeit und kreativen Verhaltensweisen wie der Ideenentwicklung und der Ideenpromotion. Ihre Ergebnisse bestätigen, dass die Fairness der Organisation das kreative Verhalten der Mitarbeiter beeinflusst, wobei die Gerechtigkeit der Führungskräfte einen noch größeren Einfluss auf die Generierung von Ideen hatte.
Wichtig ist, dass die Gerechtigkeit der Führungskraft und der Organisation nicht isoliert betrachtet werden sollte. Die Wirkung jeder Quelle von Gerechtigkeit wird durch die soziale Austauschbeziehung zwischen den Mitarbeitern und den jeweiligen Instanzen vermittelt. Diese sozialen Austauschprozesse sind ein zentraler Mechanismus, der es Mitarbeitern ermöglicht, positive Verhaltensweisen wie das freiwillige Lernen und kreative Ideen zu entwickeln. Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass diese sozialen Austauschprozesse durch die Art der Führung und die Fairness innerhalb der Organisation geprägt sind.
Ein weiterer Aspekt, der aus diesen Studien hervorgeht, ist der Einfluss der wahrgenommenen Fairness auf die Mitarbeiterleistung. Es wurde gezeigt, dass freiwilliges Lernverhalten, das durch Gerechtigkeit motiviert wird, letztlich zu einer verbesserten Leistung der Mitarbeiter führt, da sie durch die wahrgenommene Fairness sowohl im Bereich der Organisation als auch durch ihre Vorgesetzten motiviert sind, sich aktiv weiterzuentwickeln. Die soziale Identifikation mit der Organisation und die zwischenmenschliche Beziehung zu Vorgesetzten sind dabei Schlüsselfaktoren.
Zusätzlich zu den Ergebnissen dieser Studien wäre es wertvoll, die Interaktionen zwischen verschiedenen Quellen der Gerechtigkeit weiter zu erforschen. Während die meisten bisherigen Studien isoliert den Einfluss von Organisation und Vorgesetzten betrachtet haben, bleibt unklar, wie diese Quellen in Wechselwirkung miteinander treten. Es könnte von Interesse sein zu untersuchen, ob beispielsweise ein Mangel an Gerechtigkeit auf einer Ebene durch positive Wahrnehmungen auf einer anderen Ebene ausgeglichen werden kann oder ob die Wahrnehmung von Ungerechtigkeit an einer Quelle die positiven Effekte der anderen Quelle zunichtemacht.
Die Studien zeigen die Wichtigkeit eines umfassenden Verständnisses der sozialen Austauschprozesse, die durch unterschiedliche Gerechtigkeitsquellen aktiviert werden. Für Praktiker in Organisationen bedeutet dies, dass eine faire Führung und transparente, gerechte Prozesse innerhalb der Organisation nicht nur die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen, sondern auch das Lernen und die kreative Leistung der Mitarbeiter fördern können. Diese Erkenntnisse sollten nicht nur bei der Gestaltung von Führungskonzepten und Organisationsstrukturen berücksichtigt werden, sondern auch bei der Entwicklung von Programmen zur Mitarbeiterentwicklung und zur Förderung von Kreativität.
Wie soziale Netzwerke und kulturelle Normen die Wahrnehmung von Gerechtigkeit in Organisationen beeinflussen
In der Organisationsforschung wurde zunehmend erkannt, dass Gerechtigkeitswahrnehmungen nicht nur durch individuelle Erfahrungen oder formale Prozesse bestimmt werden, sondern auch durch soziale Interaktionen und die sozialen Netzwerke, in die ein Mitarbeiter eingebunden ist. Forscher wie Lind und Tyler (1988) betonen, dass soziale Informationen eine zentrale Rolle bei der Wahrnehmung von Gerechtigkeit spielen, insbesondere in komplexen sozialen Umfeldern wie Arbeitsplätzen. Die Wahrnehmung von Gerechtigkeit, so die Theorie, wird durch den Austausch und die Wahrnehmung von Signalen innerhalb des sozialen Kontextes beeinflusst. Lamertz (2002) fügte hinzu, dass soziale Hinweise, die durch Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten entstehen, eine erhebliche Rolle bei der Interpretation von Gerechtigkeit spielen.
Laut Lamertz (2002) verändert sich die Bedeutung sozialer Informationen im Laufe der Zeit. Zu Beginn einer Anstellung sind neue Mitarbeiter besonders auf soziale Hinweise angewiesen, um die Gerechtigkeit im Arbeitsumfeld zu bewerten. Diese sozialen Signale stammen von Kollegen und Vorgesetzten, mit denen der Mitarbeiter in direkten sozialen Beziehungen steht. Interessanterweise zeigt Lamertz, dass die Anzahl und die Art dieser sozialen Beziehungen – sowohl zu Gleichgestellten als auch zu Vorgesetzten – einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Gerechtigkeit haben. Während die soziale Identifikation mit Kollegen und Führungskräften die Wahrnehmung von interaktionaler Gerechtigkeit (also dem respektvollen und fairen Umgang miteinander) positiv beeinflusst, zeigt sich, dass die Wahrnehmung der prozeduralen Gerechtigkeit (also der Fairness von Entscheidungsprozessen) nicht im selben Maße durch soziale Netzwerke geprägt wird.
Chia, Foo und Fang (2006) gingen in ihrer Forschung noch einen Schritt weiter und untersuchten, wie genau Mitarbeiter soziale Netzwerke nutzen, um Informationen über Gerechtigkeit zu gewinnen und zu verbreiten. Ihre Ergebnisse bestätigen, dass die Quellen sozialer Informationen – also ob diese von engen oder eher oberflächlichen Beziehungen stammen – einen deutlichen Einfluss auf die Wahrnehmung von Gerechtigkeit haben. Bei der interaktionalen Gerechtigkeit suchen Mitarbeiter in der Regel den Austausch mit engen, intimen Beziehungen, die emotionale Unterstützung und persönliche Rückmeldungen bieten. Hingegen suchen sie bei prozeduraler Gerechtigkeit auch die Meinungen von weniger nahestehenden Kollegen, die eine objektivere, distanziertere Perspektive bieten.
Die Rolle der sozialen Netzwerke in der Wahrnehmung von Gerechtigkeit geht noch weiter. Umphress und ihre Kollegen (2003) befassten sich mit der Frage, wie sich unterschiedliche soziale Bindungen innerhalb einer Organisation auf die Wahrnehmung von Gerechtigkeit auswirken. Sie fanden heraus, dass Mitarbeiter, die über ein Netzwerk von positiven, freundschaftlichen Beziehungen verfügten, eine höhere Übereinstimmung bei der Wahrnehmung von interaktionaler Gerechtigkeit aufwiesen. Dies ist besonders wichtig, da diese Art der Gerechtigkeit oft schwieriger zu interpretieren ist – ein Kommentar eines Vorgesetzten kann als abfällig, sarkastisch oder einfach als ein Ausdruck von Stress wahrgenommen werden, je nachdem, mit wem der Mitarbeiter sozial verbunden ist.
Es zeigte sich auch, dass die Wahrnehmung von Gerechtigkeit stark von der Organisationskultur und dem sozialen Klima innerhalb eines Unternehmens geprägt wird. Mitrano (1997) konnte in einer Beobachtungsstudie in einer Klinik nachweisen, dass die kulturellen Normen einer Organisation die Erwartungen der Mitarbeiter bezüglich der Fairness von Ergebnissen, Prozessen und Interaktionen maßgeblich beeinflussen. So führen unterschiedliche professionelle Subkulturen zu unterschiedlichen Wahrnehmungen von Gerechtigkeit – zum Beispiel können Mitarbeiter einer Abteilung oder eines Teams völlig unterschiedliche Auffassungen von Gerechtigkeit haben, die auf den Normen und Werten basieren, die in dieser Gruppe geteilt werden.
Die Erkenntnisse aus diesen Studien sind besonders für Führungskräfte und Personalverantwortliche von Bedeutung. Sie zeigen auf, wie wichtig es ist, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das nicht nur formelle Prozesse der Gerechtigkeit berücksichtigt, sondern auch die sozialen Netzwerke und die damit verbundenen Beziehungen der Mitarbeiter. Eine starke soziale Kohäsion und positive, unterstützende Beziehungen können die Wahrnehmung von Gerechtigkeit stärken und somit die Zufriedenheit und das Engagement der Mitarbeiter fördern.
Darüber hinaus sollte auch das externe soziale Umfeld eines Unternehmens beachtet werden. Eine Studie von Kulik et al. (2012) zeigte, dass externe Meinungen, etwa in Diskussionsforen oder auf sozialen Medien, eine stärkere Wirkung auf die Wahrnehmung von Gerechtigkeit haben können als die Meinungen von internen Mitarbeitern. Diese externen Wahrnehmungen beeinflussen, wie Mitarbeiter die Gerechtigkeit innerhalb ihrer Organisation einschätzen, da sie als objektiver oder neutraler wahrgenommen werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahrnehmung von Gerechtigkeit in Organisationen nicht nur von internen, formellen Prozessen abhängt, sondern wesentlich von den sozialen Netzwerken und der Organisationskultur beeinflusst wird. Ein starkes soziales Umfeld, das von Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung geprägt ist, kann die Wahrnehmung von Gerechtigkeit verbessern und zu einer positiven Arbeitsatmosphäre führen.
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