Die Worte von Abraham Lincoln – "Mit Feindseligkeit gegenüber niemandem, mit Wohltätigkeit für alle, mit Festigkeit im Recht, wie es uns Gott gibt, das Recht zu erkennen" – rufen uns zu einer Vision der politischen Ethik auf, die von Gerechtigkeit und einer klaren Unterscheidung zwischen richtig und falsch geprägt ist. Diese moralische Klarheit stellte einen Kontrast zu den politischen Diskursen seiner Zeit dar und setzte Maßstäbe für zukünftige Generationen. Doch in den letzten Jahrzehnten, insbesondere unter der Präsidentschaft Donald Trumps, scheint diese klare Unterscheidung zunehmend verblasst zu sein. Trump, dessen Rhetorik sich weitgehend von den Idealen seiner Vorgänger unterscheidet, bietet ein eindrucksvolles Beispiel für das Fehlen einer moralischen Sprache in der politischen Führung.
Während Präsidenten wie Barack Obama oder George W. Bush noch fließend in der Sprache der Moral waren und ihre Reden mit einem Gefühl der Verantwortung und Pflicht durchzogen waren, fällt Trump durch seine Stille bezüglich ethischer Prinzipien auf. Dies zeigt sich nicht nur in seiner öffentlichen Kommunikation, sondern auch in der Art und Weise, wie er den Begriff der "Pflicht" umgeht. In seiner ersten Amtseinführung erklärte Trump: "Im Mittelpunkt dieser Bewegung steht eine entscheidende Überzeugung, dass eine Nation dazu da ist, ihren Bürgern zu dienen." Diese Haltung stellt einen grundlegenden Unterschied zu derjenigen von Präsident John F. Kennedy dar, der seine berühmte Rede mit der Frage abschloss: "Fragt nicht, was Amerika für euch tun kann, fragt, was ihr für Amerika tun könnt." Trump hingegen stellt den Dienst an den Bürgern in den Vordergrund und stellt den Staat als Mittel zum persönlichen Wohl dar. Dies hebt die Wichtigkeit von Gemeinwohl und moralischer Verantwortung zugunsten des Individualismus und des persönlichen Vorteils auf.
Die Wurzeln von Trumps öffentlicher Haltung und Kommunikation liegen in seiner Karriere vor der Politik, die er als Immobilienmagnat und Fernsehstar verbrachte. Im Gegensatz zu den politischen Karrieren von Washington, Lincoln oder Jefferson, die von intellektueller und öffentlicher Verantwortung geprägt waren, baut Trump seine Karriere auf dem Prinzip des ungebremsten Kapitalismus und der Selbstvermarktung. Seine bekannteste Veröffentlichung, "The Art of the Deal", spiegelt dieses Weltbild wider, indem sie den Wert von "bravado" und "hyperbolischer Wahrheit" propagiert. Trump beschreibt in diesem Buch seine Methoden der Selbstvermarktung und erklärt, dass "eine kleine Übertreibung nie schadet". Diese Haltung, die in der Geschäftswelt effektiv sein mag, birgt jedoch im politischen Kontext erhebliche Gefahren.
Trumps Unvermögen, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, gipfelte in mehr als dreißigtausend falschen Aussagen während seiner Amtszeit. Besonders auffällig war seine wiederholte Lüge über das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2020. Dieses Verhalten steht in scharfem Gegensatz zu den politischen Führern der Vergangenheit, die trotz ihrer menschlichen Fehler und Schwächen nie eine derartige Kultur der Täuschung und des Missbrauchs der Wahrheit etablierten. Die Vorstellung von Wahrheit und Lüge als Manipulationsinstrumente ist nicht neu, doch in der Ära Trumps erlebten wir eine neue Dimension der Täuschung, die nicht nur von den führenden politischen Akteuren, sondern auch von ihren Anhängern akzeptiert wurde.
Das Problem der Täuschung, das durch Trumps Beispiel hervorgehoben wird, ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein theologisches. Tyrannen, so die philosophische Vorstellung, neigen dazu, Lügen als ein Mittel zu legitimieren, das ihre Macht und Autorität stärkt. In der antiken Philosophie finden sich zahlreiche Beispiele für Herrscher, die das Spiel mit der Wahrheit als Strategie der Macht betrachteten. Plato, in seinem Werk "Der Staat", rät dem Philosophen-König, "noble Lügen" zu verbreiten, um die Bevölkerung zu lenken. Auch Machiavelli in "Der Fürst" sieht in der Täuschung und Manipulation der Wahrheit ein notwendiges Übel, das einem Herrscher hilft, seine Macht zu festigen.
Die Frage, die sich hier stellt, ist jedoch, ob eine solche Haltung in einer modernen Demokratie akzeptabel ist. Die Idee eines Gott, der nicht ein Tyrann ist, sondern eine Quelle der Wahrheit und der moralischen Klarheit, ist eine grundlegende Vorstellung, die den westlichen politischen und moralischen Diskurs seit Jahrhunderten prägt. Die Vorstellung, dass Gott die Tyrannen nicht belohnt, sondern vielmehr Gewalt und Täuschung verurteilt, ist eine wichtige Lehre, die in der politischen Praxis immer wieder zur Diskussion gestellt werden sollte.
Es ist entscheidend, dass sich die Gesellschaft immer wieder an die fundamentalen Werte der Verantwortung, der Wahrheit und der Gerechtigkeit erinnert. Dies ist nicht nur eine Frage der politischen Ethik, sondern auch eine der sozialen und kulturellen Verantwortung. Die Geschichte hat uns gezeigt, dass das Fehlen einer moralischen Sprache in der Politik zu einer gefährlichen Entfremdung von den Idealen führt, die eine Demokratie am Leben erhalten. Während die politische Welt sich verändert, bleibt die Verantwortung, in der öffentlichen Rede und in der Führung ethische Prinzipien zu wahren, eine ständige Herausforderung.
Wie der Fokus auf Größe und Gewinn das Verständnis von Moral verzerrt
Der Begriff der „Größe“ und alles, was damit verbunden ist, nimmt in der politischen Rhetorik eine zentrale Rolle ein, besonders in den Äußerungen und Strategien von Donald Trump. Sein Wahlkampfslogan „Make America Great Again“ ist ein Paradebeispiel für diesen Fokus auf Größe. Es ist ein Slogan, der auf ein idealisiertes Bild von Macht und Erfolg abzielt, ohne jedoch tiefere moralische oder ethische Überlegungen einzubeziehen. Im Gegenteil, er impliziert ein Bild von Macht, das stark von der Idee der Überlegenheit und der persönlichen Stärke geprägt ist. Eine ähnliche Idee finden wir im Slogan „America First“, der nicht nur als nationalistische Aussage verstanden werden kann, sondern als ein Appell an das Überlegenheitsgefühl der Nation.
Trumps Sprache ist durchzogen von Begriffen wie „größter“, „riesig“ und „gewinnen“. In seinen Tweets taucht der Begriff „größter“ in 361 Beiträgen auf, „riesig“ in 169 und „gewinnen“ in über 1.000. Dies zeigt nicht nur die Bedeutung, die der Begriff „Größe“ für seine politische Kommunikation hat, sondern auch, wie sehr die Idee des Sieges und des Erfolgs in seiner Rhetorik verankert ist. In seiner Rede vor dem republikanischen Nationalkonvent im August 2020 wird der Begriff „groß“ 32 Mal verwendet. Dabei beschreibt Trump seine eigenen Errungenschaften, wie etwa das „große Abkommen“ mit Südkorea, und verunglimpft gleichzeitig seinen Gegner, indem er behauptet, Joe Biden werde „Amerikas Größe zerstören“.
Diese häufige Verwendung des Begriffs „groß“ lässt sich nicht nur als rhetorisches Mittel zur Stärkung des eigenen Images verstehen, sondern auch als Hinweis auf ein moralisches Dilemma. Wenn Trump in seiner Rede vom 6. Januar 2021 erneut „groß“ erwähnt – diesmal 31 Mal – ist dies in Bezug auf seine Anhänger und Sympathisanten. In einer typischen Passage lobt er etwa Rudy Giuliani und bezeichnet ihn als „groß“, weil er „Mut“ habe und „kämpfe“. Doch dieser „Mut“ ist nicht der Mut, gegen Ungerechtigkeit oder für ethische Prinzipien einzutreten, sondern der Mut, Trumps unbegründete Ansprüche über die Wahl zu unterstützen.
Die Idee der „Größe“ in Trumps Rhetorik ist weitgehend von einer Vorstellung von Stärke und Durchsetzungsvermögen geprägt, die nicht mit moralischer Integrität oder ethischen Überlegungen zu tun hat. Es geht um den persönlichen Gewinn und den Triumph über Gegner, unabhängig von den Mitteln, die eingesetzt werden, um diesen Triumph zu erreichen. So beschreibt Trump auch seine Anhänger als Teil der „größten politischen Bewegung“ in der Geschichte des Landes, was eine mythologische Dimension erhält, in der der Sieg über moralische und ethische Fragestellungen hinweg triumphiert.
Es ist von zentraler Bedeutung zu erkennen, dass dieser Fokus auf Größe und Sieg zu einer Verwirrung von Emotionen und Moral führt. Trump appelliert immer wieder an das Gefühl der nationalen Stolz und der „wahren Liebe“ zu Amerika. Doch dieser Stolz und diese Liebe werden nicht auf moralische oder ethische Prinzipien gestützt, sondern auf eine starke, emotionale Erhebung von Überlegenheit und einem Feindbild. Der Versuch, den Angriff auf das Kapitol mit der Vorstellung von „Wahrheit und Gerechtigkeit“ zu verbinden, ist ein gutes Beispiel für diese emotionale Manipulation. Die Größe eines Publikums oder die Größe einer Bewegung ist kein Beweis für die Wahrheit, vielmehr ist es das Fehlen einer klaren moralischen Grundlage, das hier ins Spiel kommt.
Die Menschen, die sich von dieser Rhetorik ansprechen lassen, sind oftmals von der Idee einer Größe verführt, die keine tiefere moralische Reflexion fordert. Es geht nicht um die Frage, was moralisch richtig ist, sondern um die Frage, wie sich Macht und Einfluss maximieren lassen. Ein derartiger Fokus auf „Gewinn“ und „Größe“ kann jedoch langfristig eine Gesellschaft schädigen, in der es nicht mehr um ethische Überlegungen geht, sondern nur noch um den Sieg um jeden Preis.
Es ist entscheidend, dass in politischen und gesellschaftlichen Diskursen die Bedeutung von „Größe“ und „Gewinn“ nicht über die moralischen und ethischen Dimensionen der Entscheidungen hinwegsehen lässt. Die Vorstellung von Größe, wie sie oft in populistischen und autoritären Rhetoriken verwendet wird, stellt eine Vereinfachung komplexer moralischer Fragen dar und blendet die tatsächlichen Konsequenzen des Handelns aus. Der wahre „Gewinn“ liegt nicht in der Überlegenheit oder im Sieg, sondern in der Fähigkeit, auf ethische Prinzipien zu vertrauen und die Rechte und Würde aller zu achten.
Wie Tyrannen und ihre Anhänger die Gesellschaft prägen: Eine Betrachtung der politischen und theologischen Dimensionen
Nach den Ereignissen des 6. Januars distanzierte sich Donald Trump von der Gewalt, die er selbst angestiftet hatte. Dies führte bei einigen seiner Anhänger zu dem Gefühl, dass Trump sie verraten habe. Doch viele blieben ihm treu, wobei einige die Verschwörungstheorie verbreiteten, dass die Gewalt im Capitol nicht von Trump-Anhängern verübt worden sei, sondern von Linken, die sich unter die Menge gemischt hätten. Ein Trump-Anhänger erklärte: „Wenn die Gewalt wirklich von irgendwelchen Konservativen ausging, dann verurteile ich das. Gewalt ist nicht entschuldbar. Es ändert jedoch nichts an meiner Unterstützung für Trump.“ Diese Bemerkung verdeutlicht eine erstaunliche Form der Loyalität, die sich über die Politik hinaus auf Trump und seine Familie erstreckt. Die bedingungslose Unterstützung, die manche Anhänger für Trump empfinden, bleibt auch in den dunkelsten Momenten unerschütterlich, was die extremen Ausmaße dieser Ergebenheit verdeutlicht.
Es gibt sogar Stimmen, die diese leidenschaftliche Verehrung als bewundernswert ansehen. Doch die Verehrung Trumps brachte greifbare Schäden mit sich. Menschen, die ihn als „einen der größten Krieger Gottes“ betrachteten, wie es ein Anhänger formulierte, der am 6. Januar ums Leben kam, erlitten reale Konsequenzen – sie starben oder landeten im Gefängnis. Der größte Schaden, den Trump während seiner Amtszeit anrichtete, war wahrscheinlich das misslungene Krisenmanagement während der COVID-19-Pandemie. Trumps Überheblichkeit verhinderte, dass er die Schwere der Pandemie eingestand. Stattdessen suchte er nach Sündenböcken – China, den Medien und lokalen Behörden. Als Ergebnis dieser misslungenen Führung starben bis zum Ende seiner Amtszeit fast 400.000 Menschen, von denen viele Trumps Anhänger waren. Auch wenn Trump und viele seiner Vertrauten an COVID-19 erkrankten, hatten sie Zugang zu außergewöhnlicher medizinischer Versorgung und erholten sich größtenteils. Für die Menschen, die in Armut lebten, keine Krankenversicherung hatten und unter gefährlichen Bedingungen arbeiteten, war die Situation jedoch eine andere. Trotz dieser realen Folgen minderten sich die Anhängerzahlen Trumps nicht. Seine Unterstützer liebten ihn weiterhin, egal was geschah.
Einige seiner Anhänger gingen sogar so weit zu behaupten, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie – wie Maskentragen, Lockdowns und Social Distancing – selbst eine Art Tyrannei darstellten. Der republikanische Senator Rand Paul zitierte C. S. Lewis, um diesen Punkt zu unterstreichen: „Von allen Tyranneien ist eine Tyrannei, die im guten Glauben für das Wohl ihrer Opfer ausgeübt wird, möglicherweise die unterdrückendste.“ Senator Paul warf den staatlichen Gesundheitsbehörden vor, während der Pandemie tyrannisch zu handeln. Noch absurder war die Behauptung von Trumps ehemaligem Sicherheitsberater, Michael Flynn, dass die COVID-19-Pandemie „inszeniert“ worden sei, um die Kontrolle zu erlangen und die Präsidentschaftswahl vom 3. November 2020 zu sabotieren. Hier tritt erneut das Problem der Polarisierung zutage. Während Trumps Kritiker ihm tyrannische Impulse vorwerfen – sein Lügen und seine Selbstverherrlichung hätten die Pandemie verschärft – behaupten Trumps Anhänger, dass der wahre Schaden in der tyrannischen Übergriffigkeit der staatlichen Behörden lag, die ihm schadete.
Doch die pandemische Krise kann Trump nicht vollständig zugeschrieben werden. Die Verbindung zwischen Tyrannei und Plagen hat eine tiefe historische Bedeutung. In der Tragödie „Ödipus Tyrannos“ von Sophokles etwa wird die Stadt Theben von einer Pest heimgesucht, die als Strafe der Götter für die tyrannische Lebensweise des Herrschers Ödipus verstanden wird. Ödipus sucht verzweifelt nach einem anderen Schuldigen und weigert sich, die Wahrheit zu akzeptieren, dass er selbst der Ursprung der Strafe ist. Er beschuldigt sogar den Seher Tiresias, der ihm die Wahrheit sagt, als Verräter. Die tiefe Weisheit dieses antiken Dramas liegt in der Erkenntnis, dass der wahre Fehler in der Ablehnung der Wahrheit liegt, nicht in bösem Willen oder absichtlicher Grausamkeit. Diese Weisheit erinnert uns an die Gefahren der Selbstüberschätzung, die sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft zu verheerenden Folgen führen kann.
Der wahre Schaden durch Tyrannen entsteht nicht nur aus ihrer gewaltsamen Herrschaft, sondern auch durch ihre Weigerung, die Realität anzuerkennen und die Wahrheit zu akzeptieren. Tyrannen, die sich selbst als Retter und unfehlbare Führer betrachten, leben in einer verzerrten Realität, die von ihren Anhängern unterstützt wird. Diese Dynamik führt zu einer gefährlichen Form der Polarisierung, bei der diejenigen, die die Wahrheit aussprechen, als Feinde des Volkes abgestempelt werden. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, die krank ist, aber sich für gesund hält, in der die Suche nach einem „Heilsbringer“ die Menschen in den Untergang führt.
Die Konsequenzen dieser Denkweise sind in der Geschichte immer wieder sichtbar. Auch wenn wir nicht mehr an die Götter glauben, die Plagen als Strafe schicken, bleibt die Lektion der Tragödie von Sophokles relevant: Der Hochmut des Herrschers und seine Unfähigkeit, sich der Wahrheit zu stellen, führen unweigerlich zu einer Katastrophe. Es ist dieser Hochmut, der das politische Leben gefährdet und die Gesellschaft in einen Zustand der Verwirrung und Gewalt stürzt. Die Menschen, die einem Tyrannen folgen, sind oft selbst Opfer seiner falschen Vorstellungen und seiner Unfähigkeit, die Realität zu akzeptieren.
Die Lösung für dieses Problem liegt in der Weisheit und in der Anerkennung der Begrenztheit menschlicher Macht. Die Weisheit, die aus den Lehren der antiken Philosophen und den Überlegungen der Gründerväter der Vereinigten Staaten hervorgeht, zeigt uns den Weg: Es ist die Wahrheit, die uns befreien kann. Die Vorstellung, dass ein einzelner Mensch göttliche Macht oder uneingeschränkte Autorität über andere haben sollte, muss überwunden werden. Nur durch die Anerkennung der menschlichen Fehlbarkeit und die Achtung der Grenzen politischer Macht kann Tyrannei verhindert werden.
Warum streben Tyrannen nach göttlicher Macht?
Die Antike erkannte das Streben nach Macht und Ruhm als eine der treibenden Kräfte menschlichen Handelns. Bereits Sokrates beschrieb die Ambitionen des Alkibiades als den Wunsch, die Welt zu beherrschen. Alkibiades strebte nicht nur nach Macht über Athen oder die Griechen, sondern wollte, dass die gesamte Welt von seiner „Macht und seinem Namen“ erfüllt wäre. Diese Ambition, so Sokrates, sei das zentrale Merkmal seines Charakters. Es war nicht lediglich der Wunsch, geehrt zu werden, sondern der Drang, sich selbst als derjenige zu präsentieren, der mehr Ehre verdiente als jeder Mensch, der je gelebt hatte. Dies führt zu einer übersteigerten Vorstellung von der eigenen Größe und Bedeutung – ein Zustand, den Sokrates als „hohe Gesinnung“ bezeichnete. Thukydides beschreibt Alkibiades in ähnlichen Worten und erklärt, dass die Athener von seiner Größe und seinem Ehrgeiz eingeschüchtert waren, was letztlich dazu führte, dass sich das Volk gegen ihn wandte. Alkibiades rechtfertigte sein Verhalten mit dem Argument, dass er aufgrund seiner Herkunft und seiner Leistungen – nicht zuletzt durch seine Siege bei den Olympischen Spielen – das Recht habe, zu herrschen. In seiner Welt sollten außergewöhnliche Menschen nicht gezwungen werden, sich denen gleichzustellen, die weniger würdig sind.
Nach Alkibiades setzte Alexander der Große das Streben nach Weltherrschaft fort. Alexander war genauso tyrannisch wie sein Vorgänger. Er übernahm die höfischen Gebräuche der persischen Kaiser und ließ diejenigen töten, die sich weigerten, ihm wie einem Gott zu huldigen. Ein besonders bemerkenswertes Beispiel war der Mord an Callisthenes, einem Neffen Aristoteles’, weil dieser sich weigerte, Alexander als Gott anzuerkennen und vor ihm zu kriechen.
Niccolò Machiavelli wies darauf hin, dass Tyrannei eine heidnische Vorstellung sei, die sich auf Eigeninteresse, materielle Macht und weltlichen Ruhm konzentriere. Das Christentum, so Machiavelli, schätze dagegen Demut und die Verachtung für weltliche Güter und Ehre. Die Christen hätten einen geringeren Wert auf irdische Auszeichnungen und Besitztümer gelegt. In der heidnischen Welt jedoch wurden nur diejenigen Menschen vergöttert, die große Ruhme erlangt hatten, wie etwa Feldherren oder Staatsführer. Diese Form der „Vergöttlichung“ von Herrschern führte dazu, dass Figuren wie Alkibiades und Alexander als Götter verehrt wurden. Das Christentum stellte sich dem entgegen, indem es sich weigerte, den römischen Kaisern zu huldigen, was letztlich in der Verfolgung der Christen durch die römischen Behörden resultierte.
Tyrannei ist demnach nicht nur ein politisches Problem, sondern auch ein religiöses. Der Tyrann strebt nach Ruhm und Macht ohne Rücksicht auf Moral, höhere Wahrheiten oder das Gemeinwohl. Der amerikanische Prediger Jonathan Mayhew erklärte in einer Predigt von 1750, dass es blasphemisch sei, einen Tyrannen zu folgen. Mayhew hatte einen erheblichen Einfluss auf die amerikanischen Gründerväter wie John Adams, die seine Ansicht teilten, dass es eine christliche Pflicht sei, sich gegen Tyrannei zu erheben. Mayhew beschrieb Tyrannei als eine Macht, die den Menschen degradiert und die Künste unterdrückt, die wahre Größe der menschlichen Natur vernichtet und den Geist dämpft. Wo Tyrannei herrsche, könne nichts Großes und Gutes gedeihen. Für Mayhew und die amerikanischen Gründerväter war die Ablehnung von Tyrannei nicht nur eine politische Haltung, sondern ein moralisches Gebot.
Das Problem der Tyrannei liegt in der Tatsache, dass der Tyrann seine eigenen Interessen verfolgt, ohne Rücksicht auf das Wohl der Allgemeinheit oder auf moralische Grundsätze. Im Gegensatz dazu vertraten Sokrates und Platon die Ansicht, dass Tyrannei durch Bildung und die Förderung von Tugend, Gerechtigkeit und dem Gemeinwohl verhindert werden könne. Das Plagen durch Tyrannei könnte vermieden werden, wenn die Führungspersonen, Bürokraten und Bürger ehrlich, gerecht und an der Gemeinschaft orientiert wären. Doch da die Menschen oft der Tugend nicht entsprechen, sei ein System gerechter Gesetze erforderlich, das wiederum nicht immer funktioniert. Insofern gibt es in der anarchistischen Theorie eine gewisse Weisheit, die auf eine Gesellschaft ohne politische Macht oder gesetzliche Zwangsmaßnahmen abzielt. Doch die anarchistische Utopie bleibt eine bloße Vorstellung – ein Ideal einer Welt, in der sich die Menschen selbst in Würde und Verantwortung regieren. Bis wir zu einer solchen Welt gelangen, müssen wir weiterhin an der Schaffung gerechter Gesetze und der Erziehung von Bürgern und Führungspersönlichkeiten arbeiten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Frage nach der göttlichen Rechtfertigung der Herrschaft. In der antiken Welt gab es die Vorstellung, dass ein Herrscher ein von Gott legitimiertes Recht besaß, zu herrschen. Diese Vorstellung wurde in der christlichen Tradition jedoch zunehmend infrage gestellt. Platon wies darauf hin, dass Tyrannen oft glaubten, ihre Macht sei göttlich legitimiert. In einem Dialog mit einem jungen Mann namens Theages, der davon träumte, ein Tyrann zu werden, fragte Sokrates, warum er sich nach absoluter Macht sehnte. Der Wunsch nach göttlicher Macht ist nicht nur ein weltliches Streben, sondern auch ein Missverständnis darüber, was Macht und Größe wirklich ausmacht. Die wahre Größe liegt nicht in der Beherrschung von Menschen, sondern in der Tugend und Weisheit eines Führers.
Tyrannei ist somit nicht nur ein politisches, sondern auch ein tief verwurzeltes theologisches Problem. Der Tyrann strebt nicht nur nach Macht, sondern auch nach einer Illusion von göttlicher Herrschaft. Doch wahre Führung, die zu freiwilliger Unterwerfung führt, basiert nicht auf Gewalt oder Einschüchterung, sondern auf der edlen Tugend des Führers. Der Wunsch nach Macht kann nur dann in wahre Führung umgewandelt werden, wenn er auf der Grundlage von Weisheit und Gerechtigkeit steht.
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