Für einen Augenblick schien alles möglich, für einen einzigen Sonntag wenigstens. Sich befreien von den Rechenaufgaben, von Misha Jakowlew und von der ganzen Welt, sich lösen von der Last des Menschseins, in eine andere, leichtere Existenz eintreten. Kostja und ich malten uns dieses neue Leben in lebhaften Bildern aus: ein Dasein ohne Pflichten, ohne Aufsicht, ohne ständiges Lernen – das unbekümmerte Leben eines Spatzen. Das flatternde Gefühl der Freiheit war uns greifbar nahe, als wir im Halbscherz, aber mit einer Art ernster Leidenschaft, darüber sprachen, uns zu verwandeln.

Doch sofort erhob sich die Frage: wie? In Märchen geht es einfach: Ivanuschka wirft sich nieder, und schon ist er ein Adler. Aber hier gab es keinen Zauberer, keinen verwunschenen Wald. Nur wir, unser Wunsch und die Worte, die ich selbst in mein Heft geschrieben hatte, geheim wie eine Formel, die nur ich kannte: „Ich will nicht lernen, in einen Vogel will ich mich verwandeln.“ Keine Poesie, sondern Beschwörung. „Horch auf das Wort, ich werde zum Vogel.“ Die Magie, so glaubte ich, läge in der Anspannung des Willens, in der völligen Konzentration, im unerschütterlichen Glauben daran.

Wir übten das Gehen und Hocken, ahmten den Spatzen nach, als ob die Bewegung schon der Anfang der Verwandlung wäre. Doch je mehr wir uns in die Vorstellung vertieften, desto deutlicher wurde, wie schwer es ist, wirklich „stark genug zu wünschen“. Was heißt es überhaupt, etwas so sehr zu wollen, dass es Wirklichkeit wird? Kostja war ungeduldig; er wollte den Sprung ins Unbekannte, ohne Zögern, ohne Probe. Aber ich spürte: Hier ging es nicht um eine Note in Mathematik, sondern um einen Grenzgang zwischen Vorstellung und Realität, zwischen Mensch und Tier.

Vielleicht ist genau das der Kern: Nicht die Verwandlung an sich, sondern das tiefe Begehren, aus dem eigenen Zustand auszubrechen, etwas völlig anderes zu sein. Schon früher hatte ich Fantasien dieser Art. Ich wollte ein Gerät erfinden, das fremde Stimmen zum Verstummen bringt, um in der Stille meinen eigenen Gedanken zu folgen. Ich wollte eines Morgens erwachsen aufwachen, Bartstoppeln im Gesicht, befreit von der Schule. Doch nichts davon geschah. Vielleicht, weil der Wunsch nicht stark genug war. Vielleicht, weil der Wille allein nicht ausreicht.

Und dennoch: In jenem Augenblick, als ich die Augen schloss und den Zauberspruch murmelte, glaubte ich daran wie nie zuvor. Ich saß still, ohne zu blinzeln, ganz auf diesen einen Gedanken gerichtet, der mein Inneres erfüllte wie ein schwebender, fast schmerzhafter Ton: Spatz sein. Nur noch Spatz sein. Kein Unterricht, keine Pflichten, nur der Himmel, das Fliegen, das Singen. Es war weniger ein Spiel als ein Aufbegehren, ein heimlicher Versuch, die Schranken der Wirklichkeit zu durchbrechen.

Wichtig ist zu verstehen, dass hinter diesem Spiel ein ernster Gedanke verborgen liegt: Die Kraft der Imagination ist kein bloßes Kinderspiel, sondern eine Quelle für Erfindungen, Entwürfe, neue Perspektiven. Der Wunsch, sich in etwas anderes zu verwandeln, ist nicht nur Flucht, sondern auch Sehnsucht nach Erkenntnis und Erfahrung. Doch zugleich zeigt sich hier die Spannung zwischen innerer Freiheit und äußerer Wirklichkeit – und die Frage, ob unser Wille, so intensiv er auch sein mag, wirklich imstande ist, die Grenzen des Möglichen zu sprengen.

Was geschieht, wenn der Wille zur Verwandlung stärker ist als die Wirklichkeit?

Zunächst schien alles wie immer. Ich saß auf der Bank, wie gewöhnliche Menschen zu sitzen pflegen, und mein Kopf war voll alltäglicher Gedanken: Schulnoten, Arithmetik, Misha Jakowlew. Doch ich wusste, dass jede Minute entscheidend war. Jakowlew konnte jeden Augenblick auftauchen, und die Aussicht auf seine Ankunft verdoppelte meinen inneren Druck, endlich zur Tat zu schreiten. Der Wunsch, mich in einen Spatz zu verwandeln, war kein Spiel mehr – er war ein ernster Entschluss, ein notwendiger Schritt, eine Prüfung meines Willens.

Mit der Zeit begannen die menschlichen Gedanken zu weichen. Etwas Fremdes, etwas Nicht-Menschliches schob sich an ihre Stelle. Es war nicht nur ein Spiel der Vorstellungskraft – es war eine echte, körperlich spürbare Veränderung. Ich fühlte den Drang zu zwitschern, zu hüpfen, zu flattern, mich in luftige Höhen zu schwingen oder das Innere eines Nistkastens zu erkunden. Arithmetik erschien mir plötzlich nichtig, die schlechten Noten belanglos, und Misha Jakowlew – der Stolz der Schule – ein unbeholfener Tollpatsch, unfähig zu fliegen.

Ein Kribbeln überkam mich – es war nicht einfach ein Gefühl, sondern eine Welle, die von den Beinen ausging, den Rücken hinaufkroch, in die Arme, über den ganzen Körper. Und dann – die Lust auf Hafer. Roher Hafer, staubbedeckt, am Boden liegend. Nicht etwa süßer Haferbrei mit Marmelade, wie ihn meine Mutter kochte, sondern Körner im Halm, wie sie Pferde und Spatzen bevorzugen. Warum dieser Hunger auf etwas, das mir bislang fremd war? Ich war doch kein Pferd, kein Spatz – oder etwa doch?

Ich öffnete die Augen – nicht aus Neugier, sondern aus Notwendigkeit. Und was ich sah, erschütterte mich: Da, wo eben noch meine Stiefel gewesen waren, standen nun nackte Spatzenfüße auf der Bank. Meine Arme waren zu Flügeln geworden, mein Rücken endete in einem Schwanz. Ich hatte es geschafft. Ich war kein Mensch mehr. Ich war ein Spatz.

Der Beweis für den Sieg meines Willens stand leibhaftig auf der Bank. Ich wollte es nicht nur – ich war es geworden. Der Gedanke erschütterte mich, aber er erfüllte mich auch mit Stolz. Meine Brust blähte sich, meine Flügel spreizten sich. Ich blickte zu meinem Freund Kostja Malinin, der noch immer unbeweglich neben mir saß, die Augen geschlossen, murmelnd: „Hör das Wort, ich werd ein Vogel!“

Nichts geschah. Kostja blieb Kostja, ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein wenig röter im Gesicht vielleicht, aber ganz ohne Federn. Ich wollte ihm etwas zurufen, erklären, wie einfach es war – doch was über meine Lippen kam, war das helle Zwitschern eines Vogels: „Tschilp-tschilp! Tschiep-tschiep!“ Kostja starrte mich an, ungläubig, fast flehentlich: „Barankin? Bist du das?“

Ja, ich war’s. Aber eben nicht mehr Barankin. Zumindest nicht in der bekannten Form. Ich war der Beweis, dass Entschlossenheit Wirklichkeit schafft. Kostja verstand es nicht. Er war zu schnell, zu laut, zu ungeduldig gewesen. Vielleicht hatte er es nicht ernst genug gemeint. Vielleicht hatte er sich nur gewünscht zu wünschen, ohne wirklich zu wollen. Ich flatterte auf den Zaun und wandte mich von ihm ab. Der Triumph schmeckte plötzlich schal, denn was ist schon ein Spatz allein?

In diesem Moment bog Jakowlew um die Ecke. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Wenn Kostja sich nicht beeilte, würde er geschnappt und zum Unterricht geschleift. Ich warnte ihn mit einem schrillen „Tschirr-tschirr!“, doch er hörte nicht mit den Ohren, sondern mit dem Herzen – und da, plötzlich, war es geschehen. Als Jakowlew die Bank erreichte, war Kostja verschwunden. An seiner Stelle stand ein zweiter Spatz.

Niemand bemerkte es. Misha suchte vergeblich nach seinem Mitschüler. Meine Mutter rief aus dem Fenster: „Wo sind Juri und Kostja?“ – und keiner der beiden wusste, dass sie längst nicht mehr dort waren, wo man sie vermutete. Die beiden Jungen waren geflogen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Was diese Episode lehrt, ist nicht einfach eine Parabel über Wunschträume oder kindliche Phantasie. Sie ist vielmehr ein radikaler Ausdruck dessen, wozu der menschliche Wille fähig ist, wenn er sich vollständig von den Zwängen des Rationalen löst. Die Verwandlung geschieht nicht durch Magie, sondern durch Konzentration, durch Entschiedenheit, durch das völlige Aufgehen im Ziel. Erst wenn kein Zweifel mehr bleibt, wird das Unmögliche greifbar.

Doch zugleich bleibt die Frage: Was bedeutet es, ein Spatz zu sein? Was verliert man, wenn man alles gewinnt? Der Körper folgt dem Geist, ja – aber was geschieht mit dem Geist, wenn der Körper sich wandelt? Die Geschichte erinnert uns daran, dass jede Flucht aus der Welt auch eine neue Einsamkeit mit sich bringt. Und dass jedes erfüllte Verlangen einen Preis hat, der sich oft erst im Nachhinein offenbart.